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Almira in Kassel. Foto: Stephan Kaiser
Almira in Kassel. Foto: Stephan Kaiser
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Große Wirkung mit wenigen Mitteln – Ruggiero Fedelis Oper „Almira“ nach 300 Jahren in Kassel wieder aufgeführt

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Mit „Wiederentdeckungen“ ist das oft so eine Sache: nicht selten drängt sich der Eindruck auf, dieses oder jenes soeben erst wieder „ausgegrabene“ und stolz dem Publikum präsentierte Werk wäre besser vergessen geblieben. Genau dies kann man über die „Almira“ von Ruggiero Fedeli aber nun ganz und gar nicht sagen.

Anlässlich der 1100-Jahrfeier der Stadt Kassel wurde Fedelis 1702 entstandene Oper jetzt wieder aufgeführt – 300 Jahre nach ihrer ersten und letzten Realisierung. Der Erfolg war riesig.

Ruggiero Fedeli, um 1655 in Venedig geboren, war zeitlebens ein europaweit agierender Musiker mit glänzenden Kontakten, der zunächst in seiner Heimatstadt tätig war, dann unter anderem in Bayreuth und Berlin, in Dresden und in Braunschweig. Bis Landgraf Karl von Hessen-Kassel ihn 1701 an seinen Hof holte, um dort einen professionellen und künstlerisch auf dem neuesten Stadt der musikalischen Dinge arbeitenden Opernbetrieb zu installieren – die Einführung des Kastratentums inbegriffen. Fedeli blieb Kassel über zwanzig Jahre lang treu bis zu seinem Tod 1722, ohne seine umtriebigen Aktivitäten außerhalb des Hofes dadurch einzuschränken: in Berlin, Braunschweig und Wolfenbüttel ward Fedeli in all den Jahren regelmäßig gesehen und gehört. Wenn sich die Musikakademie Kassel jetzt also Fedelis „Almira“ annimmt, ist dies der richtige, der passende Ort.

Fedelis Musik ist absolut auf der Höhe ihrer Zeit und vertritt durch und durch den Stil der norditalienischen Oper, der dann schnell auch in Hamburg aufgegriffen wurde. Dort oben im Norden war es Reinhard Keiser, der im Anschluss an Fedeli das Libretto von Giulio Pancieri ein weiteres Mal vertonte, wenig später, im Jahr 1705, widmete sich auch Georg Friedrich Händel dem Stoff.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Almira, Tochter des verstorbenen Königs Alfonso VI. von Kastilien, wird aus der Vormundschaft Consalvos entlassen und soll die rechtmäßige Herrschaft übernehmen. Schon wittern die Söhne Consalvos, zwei machtgeile Herren namens Osmano und Raimondo ihre Chance auf den Thron und buhlen um die Gunst Almiras. Ihr Vorteil: sie erfüllen genau die Kriterien, wie sie der verblichene Alfonso – zur eigenen Überraschung Almiras - testamentarisch festgelegt hat. Allein: Almira liebt weder Osmano noch Raimondo – sondern Fernando, eine burschikose Frohnatur, die so gar nicht standesgemäß für eine künftige Königin ist.

In der Kasseler Neuinszenierung mutiert Fernando (eine Hosenrolle) zu einem bis über beide Ohren verliebten Malergesellen. Und in wen hat sich dieser verguckt? In Almira! Auch wenn er sich, wissend um seinen Stand, kaum Hoffnung auf Erwiderung dieser Liebe macht. Wenn er doch nur wüsste, dass diese Liebe schon längst auf Gegenseitigkeit beruht! Aber da wäre die Oper dann ganz schnell zu Ende. Bei Fedeli werden aber erst einmal alle möglichen Gefühlsverirrungen und –verwirrungen ausgebreitet. Ein Spiel um Macht, Liebe und Eifersucht, ein Geflecht aus verzweifelnder Hoffnung und immer noch ein wenig hoffender Verzweiflung.

Regisseurin Sonja Trebes und Ausstatterin Brigitte Schima schlagen visuell eine Brücke vom Frühbarock ins Jetzt – und lassen so das Thema Treue, Ehrlichkeit et cetera ganz direkt spürbar werden. Dabei begnügen sie sich auf der Bühne im Großen Saal der Kasseler Musikakademie mit wenigen sparsamen Mitteln. Aber gerade diese Reduktion ist der große Pluspunkt dieser Fedeli-Wiederbelebung wi auch das intelligente „Eindampfen“ der Grundsubstanz auf rund 130 Minuten Spieldauer.

Eine Handvoll Requisiten genügen: ein Badezuber, der als Versteck und Liebesnest dient; ein Sessel als Thron, ein leerer Bilderrahmen, eine Fotokamera, ein hölzerner Schemel, dazu in den Boden eingelassene Klappen, in die das Personal blitzschnell versinken kann – oder aus dem heraus weiße Laken hervorgezaubert werden. Dazu eine subtile Lichtregie und eine sich eng an das musikalische Geschehen orientierende Personenführung, die jede Sekunde dieser Oper spannend werden lässt, mal unglaublich witzig, mal mit großer Melancholie.

Cembalist Gregor Hollmann, Dozent an der Kasseler Musikakademie und Professor an der Musikhochschule Münster, ein ausgewiesener Spezialist für Alte Musik, hat Fedelis Notenmaterial (da ist außer bei den Solo-Arien nichts instrumentiert) eingerichtet für ein rund 20-köpfiges Instrumentalensemble mit zwei verschiedenen Continuo-Gruppen. Das Ganze sprüht nur so vor Farbigkeit und Expressivität. Die Akteure sind weitgehend Neulinge in Sachen Barockoper, Studierende, die sich explizit um dieses Fedeli-Projekt beworben und ihre Aufgaben im letzten Semester akribisch einstudiert haben. Dann folgten neun Proben, um die Sache aufführungsreif zu machen, wobei solistische Orchester-Aufgaben im Laufe der noch folgenden Vorstellungen im Rotations-Prinzip abgeleistet werden. So kommt jeder der Musiker an die Reihe! Ganz enorm ist überdies das sängerische und schauspielerische Potenzial der sechs Vokalsolisten. Da sind ansprechende, berührende und rundum überzeugende Stimmen zu erleben.

Mit von der Partie daneben auch Studierende des Studiengangs Visuelle Kommunikation der Kunsthochschule Kassel, die sich mit dem Almira-Stoff auseinandergesetzt haben. Daraus sind Plakat und Programmheft der Aufführung entstanden.

Wie aber geht die Geschichte letztendlich aus? Natürlich mit einem Happy End! Fernando, der kecke Maler, entpuppt sich als längst totgeglaubter Sohn Consalvos. Nun steht der Verbindung mit Almira nichts mehr im Wege: dem väterlichen Testament, demzufolge der Zukünftige aus der Sippe Consalvo zu stammen hat, wird voll und ganz entsprochen.

Bleibt zu hoffen, dass Fedelis „Almira“ auf neugierige Theatermacher trifft, auf Intendanten, Dirigenten oder Regisseure, die den Wert dieser Oper erkennen. Der Anfang ist jedenfalls gemacht.

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