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Christoph Schlingensief - Foto: Homepage
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Guter Kopp bei halber Lunge: Christoph Schlingensief macht kräftig weiter

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Es ist ein Spiel mit der Form der Talkshow. Es geht um Provokation und die Enttarnung bewusster Manipulation. Zehn Jahre nach seiner Satire «Talk 2000» bringt Aktionskünstler Christoph Schlingensief den Film «Christoph Schlingensief - Die Piloten» in der Regie von Cordula Kablitz-Post auf die Leinwand. Im Studio für die sechs Pilot-Sendungen einer Talkshow, das in der Berliner Akademie der Künste aufgebaut ist, herrscht Chaos - vor, während und nach der Aufzeichnung. «Man versteht hier sehr wenig», sagt Talk-Gast und Publizistin Lea Rosh.

Rapper Sido drückt es deutlicher aus: «Ich glaub, hier wird viel Scheiße gequatscht.» Der Einladung des ewigen Provokateurs, Theater-, Film- und Opernregisseurs Schlingensief gefolgt sind viele, darunter Claudia Roth, Oskar Roehler, Rolf Hochhuth, Rolf Zacher, Gotthilf Fischer und Jürgen Fliege. Sie alle haben keine Ahnung, was an dem Abend passiert, sind «einfach mal gekommen».

Dann werden sie unter anderem konfrontiert mit Schauspielern und deren erfundenen Geschichten: Hochhuths Nebensitzerin hat sich in ihn verliebt, Jürgen Fliege bekommt Fan-Besuch. Alles ist laut, chaotisch, von Unklarheit geprägt und mittendrin tummelt sich der Moderator, Schlingensief, der immer wieder beginnt, von seiner Augenkrankheit und seinem im Sterben liegenden Vater zu sprechen.

Und so ist der erste Pilot, der im Januar 2007 - etwa ein Jahr vor Schlingensiefs Lungenkrebsdiagnose - aufgezeichnet wurde, dem Künstler zufolge auch «eine Krankensendung» - «eine Sendung mit Kranken für Kranke». Schlingensief entlarvt, entblößt sich und andere, scheut, um zu provozieren, auch nicht vor Geschmacklosigkeiten zurück. Mit Grünen-Chefin Claudia Roth, die am Morgen der Aufzeichnung einen Freund verloren hat, der in der Türkei erschossen wurde, stößt er auf den toten Freund an und muss diese Szene dann angeblich wegen des Filmschnitts wiederholen. «Das war super super böse», sagt er später selbst über diesen Moment seiner «Talkshow in 6 Folgen, die nie ausgestrahlt wird».

Nach dem fünften «Piloten» bricht Schlingensief das Projekt ab und fährt zu seinem kranken Vater. Die sechste Sendung wird ein halbes Jahr später nachgeholt: Im Gespräch mit dem Medienwissenschaftler Boris Groys analysiert der Moderator darin die vorangegangenen «Piloten». Zwischen den Talkshow-Szenen begleiten die Zuschauer des Dokumentarfilms Schlingensief auf einer Autofahrt, während der er über seine Arbeit reflektiert, oder beobachten ihn während eines sehr intimen Telefonats mit seinem schwer kranken Vater. Und so erzählt der Film mindestens ebenso viel über die Person und den Künstler Christoph Schlingensief wie über die Mechanismen einer Talkshow.

(«Christoph Schlingensief - Die Piloten», Dokumentarfilm, Deutschland 2007, 95 Minuten, FSK: 12, Regie: Cordula Kablitz-Post, Darsteller: Christoph Schlingensief, Tobias Buser, Nicole Konstantinou u.a.)

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