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Foto: Neuburger Kammeroper
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„Joconde“ (1814) von Isouard ist die Entdeckung der Neuburger Kammeroper 2016

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Das ist echte Opernarchäologie: Seit 1969 kultiviert das Ehepaar Horst und Annette Vladar Musiktheater-Pflege der besonderen Art zwischen den großen süddeutschen Festivals. Im kleinen Stadttheater Neuburg an der Donau mit 285 Plätzen realisieren diese Pioniere der Off-Oper-Bewegung jeden Sommer eine Entdeckung in deutscher Sprache. Immer – das ist in diesem Fall Markenzeichen und Auszeichnung – „neben der Spur“ und deshalb immer mit Erfolg!

Das Aufführungsmaterial wird nach umfangreichen Recherchen eigens erstellt, eingerichtet, übersetzt und manchmal bedachtsam gekürzt. Mehrere der hier vorgestellten Werke kamen inzwischen in den Fokus der historisch informierten Aufführungspraxis (Salieri, Mayr), aber längst noch nicht alle. Das Projektreservoir des Vereins bleibt unerschöpflich.

Vor allem erstaunt, dass von der Neuburger Kammeroper auf die deutsche Frühromantik (Spohr) und auf die französische Opéra-comique gelenkte Impulse bisher allzu wenig Widerhall fanden. Ihre Ambitionen sind regional und überregional noch immer sträflich unterschätzt.

Jetzt feierte unter dem Titel „Abenteuerlust“ die komische Oper „Joconde ou Les coureurs d’aventures“ von Nicolas Isouard (1775-1818) auf das Textbuch von Charles-Guillaume Etienne Premiere. Schon ist es zwanzig Jahre her, dass in Folge der Produktion der Oper „Wer für wen?“ („L’une pour l’autre“) dieses maltesischen Komponisten die Städtepartnerschaft zwischen Neuburg und Naxxar auf Malta begründet worden war. Die von Bussen aus Augsburg bis zu internationalen Enthusiasten und Experten reichende Anhängerschaft der Neuburger Kammeroper kann sich jetzt bis Ende Juli an einem Werk erfreuen, das – uraufgeführt 1814 – die hohe Kultur des Ensemblesatzes und Situationswitzes der Opéra-comique zwischen Grétry und Boïeldieu aus den Fußnoten der Musikgeschichte hinauf ins idyllische Bühnenlicht holt.

Der erste Teil spielt in einem von Michele Lorenzini liebevoll auf Prospekt und Seitenkulissen gemalten Schlosspark in sanft pulsierenden Farben, später folgt ein absichtlich leicht gröberes ländliches Genrebild. Die Kostüme mit viel Samt und Leinen komplettieren diese Visualisierung bemerkenswert stimmig.

Die Handlung von „Joconde“ versetzt das Partnertausch-Motiv von „Così fan tutte“ und Marivaux in ein eher verspieltes Ambiente, die liedartigen und mehrteiligen Solonummern zeigen mehr gelassenes Raisonement als leidenschaftliche Affekte: Gräfin Mathilde (Annika Liljenroth) und ihre Freundin Edile (Astghik Khanamiryan) verfolgen ihre beiden im Zorn geschiedenen Liebhaber, verkleidet als falsche Zigeunerinnen. Grund ist, dass Graf Robert (Karsten Münster) und sein Vertrauter Joconde (Patrick Ruyters) im Wetteifer über Kreuz die Treue ihrer Geliebten auf die Probe stellen wollten. Diese – frühzeitig informiert vom gemeinsamen Freund Lysandre (Michael Hoffmann) – fallen zum Schein auf diese Perfidie herein und provozieren so das Zerwürfnis. Die beiden Herren schwören jetzt allen Frauen Rache, mit den Waffen des Flirts und der Galanterie. Doch als sie sich in eindeutiger Absicht dem Bauernmädchen Jeannette (Janina Pudenz), die als Rosenkönigin erst recht auf ihre Unbescholtenheit achten sollte, nähern, greifen die verlassenen Geliebten ein: Verwirrungen, kleiner Eklat, großes Happy-End und Jeannette bleibt bei ihrem Matthes (Wolfgang Veith).

Prinzipal Horst Vladar zieht auch auf der Bühne als Dorfrichter die Fäden und belebt als Spielleiter eine Aufführungspraxis, wie sie um 1820 wohl von wandernden und stehenden Ensembles praktiziert wurde. Die Handlung spricht für sich, wird klar erzählt: Nicht als epochales Sittenbild, eher als komödiantischer Bilderbogen zwischen Loire-Renaissance und Biedermeier. Das ist stimmig, weil warmherzig und von allen Mitwirkenden mit spürbarer Spiellust getragen. Jeder Impuls dieser Aufführung wirkt grundehrlich, treffsicher in allen Pointen und Posen. Alois Rottenaicher am Pult nähert sich mit seiner Gruppe von Musikern des Akademischen Orchesterverbandes München dieser Partitur und deren stellenweise berückenden Vokalsätzen aus der Perspektive des etwas bodenständigeren Singspiels, der fast dreißig Stimmen starke Chor ist voll bei der Sache (Einstudierung: Norbert Stork).

Wieder einmal zeigt die Neuburger Kammeroper, was für gelingendes und bewegendes Musiktheater fundamental wichtig ist: Ensemblegeist, Freude an der Interaktion mit dem Aufführungsort und eine nach bald fünfzig Jahren noch immer selbstverständliche Spontaneität. Es ist nicht das geringste Verdienst, dass sie mit ihrer Spielform ganz ohne Education-Brimborium echte Begeisterung erzeugt. Da sind Opern-Neulinge nach „der ersten Halbzeit“ noch immer genauso bei der Sache wie davor und am Ende der zweiten Aufführung gibt es satten, ehrlichen Schlussapplaus mit je drei Einzelvorhängen für alle Solisten.   

Wieder am 29./30./31. Juli 2016 im Stadttheater Neuburg an der Donau - Telefon: 0 84 31/55-2 41, 2 40 - Kultur [at] neuburg-donau.de (Kultur[at]neuburg-donau[dot]de)

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