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Frank Dostal hat gut Dichten. Foto: Martin Hufner
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Kadaverkunst versus Geniekult oder: Kreidler versus GEMA, zweiter Akt

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GEMA-Aufsichtsrats-Mitglied Frank Dostal wollte dem Komponisten Johannes Kreidler die Ohren waschen – und entlarvte dabei unfreiwillig einen Generationenkonflikt zwischen Verwertungsgesellschaft und Kreativen.

Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der GEMA Frank Dostal (64) und der Komponist Johannes Kreidler (28) waren am vergangenen Wochenende zusammen auf ein Podium der Tagung zum Thema „Kreative Arbeit und Urheberrecht“ geladen. Gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung, wurde die Tagung im Rahmen des Projekts „Arbeit 2.0 – Urheberrecht und kreatives Schaffen der digitalen Welt“ vom Hartware MedienKunstVerein und i.Rights.info in der Phoenix-Halle Dortmund veranstaltet. Akteure aus Kunst, Journalismus und Wissenschaft diskutierten mit Medienrechtlern und Vertretern der Verwertungsgesellschaften sowie der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die zentrale Frage, ob das Urheberrecht wirklich die Autoren schütze oder nur die wirtschaftlichen Interessen der Verwerter fördere. Deutlich wurde nach der mehrheitlichen Position, dass die „Lobby der Kreativen“ ihrer Funktion in digitalen Zeiten nicht mehr gerecht werde; für etliche Kreative agiere sie sogar kontraproduktiv. Denn die von ihnen vertretenen Schutzrechte behinderten nicht nur kreative Prozesse –  nur in der Auseinandersetzung mit der bestehenden Kultur, das heißt auch im konkreten Rückgriff darauf, könne ja wirklich Neues geschaffen werden. Auch stünden die Verwertungsgesellschaften – speziell die GEMA – der Selbstvermarktung weniger bekannter Künstler im Weg, wie der Musiker und Kulturmanager Martin Juhls am eigenen Beispiel darlegte.

Johannes Kreidler präsentierte dem Panel eine kurze Filmdokumentation seiner Kunstaktion product placements, mit der er in den vergangenen Wochen ein enormes Medienecho erzeugt hatte. Mit einem Kleinlaster voller Formularanlagen war der Komponist am 12. September bei der GEMA-Generaldirektion in Berlin vorgefahren, um ein Stück von 33 Sekunden Dauer mit 70.200 Samples anzumelden. Die „Papierskulptur“ sollte die verkrustete bürokratische Handhabe der Verwertungsgesellschaft symbolisieren, seine „musiktheatrale“ Aktion eine öffentliche Diskussion über eine zeitgemäße Form der Verbreitung und Vergütung von Musik anregen.

GEMA-Vertreter Frank Dostal, selbst Texter und Musikproduzent von Hits wie dem „Lied der Schlümpfe“, wähnte sich unter den Verfechtern der Rekreativität deplaziert. Samplen und Zitieren sei ihm suspekt. Den Rückgriff auf vorhandenes ästhetisches Material bezeichnete er als  „Kadaverkunst“. Er sieht sich als echten Künstler, der beim Dichten noch in sich reinhorche, statt sich einfallslos bei fremden Werken zu bedienen. Dostal ließ bei der Schilderung seiner originären Arbeitsweise buchstäblich ins Schlafzimmer blicken: Während Komponisten wie Kreidler „Denksport“ betrieben, sitze er nackt im Bett, wälze sein bewährtes Reimlexikon und destilliere daraus Verse wie „Die Bayern finden lange Hosen dumm / und in Bagdad lief ich nur im Nachthemd rum“.

Vom Podium in seiner Verantwortlichkeit für die GEMA angesprochen zu werden, mochte Dostal gar nicht. Nach Kreidlers Filmpräsentation zu dessen GEMA-Aktion las er seinem „jungen Freund“ allerdings die Leviten: Weder habe er Kreidler bislang als Musiker wahrnehmen können, noch auf einer GEMA-Mitgliedsversammlung erblickt, wo er sich für seine Sache auf ehrliche Weise hätte engagieren können. Statt dessen hege er den Verdacht, dass seine Aktion nichts als ein raffinierter PR-Gag gewesen sei. Die Herablassung eines millionenschweren Producers gegenüber einem jungen Künstler, der dem Mainstream sperrige, anspruchsvolle Kompositionen gegenüberstellt, lässt sich vielleicht noch mit dem Bildungsrückstand entschuldigen, mit dem der Senior-Rocker sich selbst brüstet (Dostal habe die Schule geschmissen, um der neue Little Richard zu werden). Schäbig wirkt in dem Zusammenhang allerdings der Zynismus von einem, der im Chor mit den Wirtschaftsvertretern dafür plädiert, dass die Künstler sich mehr um ihre eigene Vermarktung kümmern sollten.

Kreidler wusste seine Sache in der Tat, wenn nicht zu vermarkten, immerhin öffentlichkeitswirksam zu propagieren; der Trailer zu seiner Kunstaktion wurde auf Youtube rund 85.000 Mal gesehen und sein ebendort präsentiertes Musikstück product placements 30.000 Mal gehört. Geld kriegt er dafür deswegen noch lange nicht. Wer profitiert denn also von den Verträgen, die die GEMA kürzlich mit Aggregatoren wie Youtube und MySpace abgeschlossen hat? Die Mitglieder der Verwertungsgesellschaften, behauptet Dostal, die seien es schließlich, die im Sinne einer demokratischen Vereinspolitik die Verteilungsschlüssel festlegten, also wer zu welchen Teilen an den GEMA-Ausschüttungen beteiligt werde. Ein entscheidendes Detail hat er dabei allerdings unterschlagen: Nur ordentliche Mitglieder sind bei der GEMA überhaupt stimmberechtigt. Ein ordentliches Mitglied ist aber nur, wer auch ein ordentliches Einkommen mit seinen Werken erzielt – und das sind von 62.888 Mitgliedern laut Selbstauskunft der GEMA gerade mal 3.026 (Stand 2007), also fünf Prozent. Die Stimme eines von Majorlabeln promoteten Spaßdichters zählt. Ein Komponist Neuer Musik, der Gegenwartskunst in der sogenannten ernsten Musik und damit Randsparte, muss ohne Stimme laut werden. Wer also tatsächlich seine Tantiemen durch die künftigen Youtube-Zahlungen an die GEMA wird steigern können, heißt aller Wahrscheinlichkeit nach Dieter Bohlen oder Frank Dostal.

Das „Patronizing“, das Dostal dem jungen Kreidler entgegenbringe, sei ausgesprochen unangenehm zu beobachten, kritisierte der Dirigent und Komponist Christian von Borries Dostals Verhalten auf dem Podium, benannte damit die allgemeine Stimmung der Tagungsteilnehmer und den Generationenkonflikt zwischen den Parteien. Dostal erklärte daraufhin jedem, der es wissen wollte, dieser Effekt tue ihm Leid. Kreidler wusste indessen, dass Dostal die Rückständigkeit der GEMA mit jedem seiner Worte entlarvt hatte und begrüßte sein Auftreten als weiteren Charakter in seinem „Musiktheaterstück“. Auf den nächsten Akt darf man gespannt sein; bis zum letzten ist jedenfalls noch eine Menge PR nötig.

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