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Die verlassene Fabrik. Foto: Website RADAЯ ensemble
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„RADAЯ ensemble“ würdigt Luigi Nono zu seinem 90. Geburtstag mit „La Fabbrica – Die verlassen Fabrik“

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In Lübeck kann sich der Konzertbesucher nicht beklagen. Vieles kann er hören, nahezu allabendlich, doch zumeist Klassisches. Andere Akzente setzt seit 2011 die Konzertreihe „Klangrauschen“. Unter dem plakativen Motto „musik für neugierige ohren“ will sie Aktuelles und Experimentelles sowohl junger als auch etablierter Komponisten bieten, so im letzten Programm (5. Juli) Werke von Luigi Nono (1924-1990), Georg Katzer (*1935) und Friedrich Goldmann (1941-2009).

Hinter dem Projekt steht  das „RADAЯ ensemble“, eine variabel besetzte Formation um die Pianistin Ninon Gloger, die für Organisation und künstlerische Leitung steht. Doch diesmal waren die Anforderungen besonders hoch. Neben Lichttechnik, Bühnenaufbauten und komplexer elektronischer Technik wirkten dreizehn Instrumentalisten mit, ein Dirigent, dazu eine Sängerin und eine Sprecherin. Das konnte nur Dank großzügiger Sponsoren verwirklicht werden, zu denen unter anderem die Possehl- und die Sparkassen-Stiftung gehörten, das Land SH und das Theater Lübeck, das seine Kammerspiele mitsamt Equipment zur Verfügung stellte.

Goldmann

Friedrich Goldmanns „Drei Ensembleszenen“, komponiert 2002, standen am Anfang, von Gerhard Scherer versiert geleitet. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass Goldmann, in der ehemaligen DDR tätig, zum Freundeskreis von Paul Dessau und Heiner Müller, aber auch dem von Luigi Nono gehörte. So konnten die Klangstrukturen, die drei Landschaften sehr unterschiedlicher Empfindungswelt öffneten, geschickt zu dem eigentlichen Anlass führen, zur Erinnerung an Luigi Nono, zu dessen 90. Geburtstag.

Nono

Als bedeutsames Opus hatte man „La fabbrica illuminata“ für Frauenstimme und Vierkanalzuspielung aus dem Jahre 1964 gewählt, worin Nono Texte von Giulino Scabia und Cesare Pavese verarbeitete. Es ist eines jener Werke, die Nonos soziales und politisches Engagement belegen, hier für Menschen in belastenden, entfremdenden Arbeitssituationen. „Fabrik der Toten wird sie genannt“, klagt Giuliano Scabia im Anfangschor der vielschichtigen Vertonung. Eine andere Ebene verarbeitet Aufnahmen des lähmenden Lärms einer Metallfabrik in Genua und mischt sie mit der elektronisch verfremdeten menschlichen Stimme, solistisch und chorisch. Doch verlässt Nono sich nicht allein auf die Konserve. Er fügt eine lebendige Stimme ein. Und gerade dieser Kontrast verstärkt das sinnliche Erleben. Großen Anteil an der Wirkung in dem Konzert hatte die souveräne Frauke Aulbert mit einem Sopran von klangvoller Variabilität und klarer Strahlkraft. Der Bühnenraum war abgedunkelt, nur ein Scheinwerfer hob die Sängerin heraus. So konzentrierte sich alles auf Stimme und Mimik, mit der sie die immense psychische Anspannung Wirklichkeit werden ließ. Da genügte ein irritiertes Wenden des Kopfes, um auf das bedrohliche Getöse der Maschinen zu reagieren, oder eine Erstarren, um den denaturierten Menschen zu zeigen. Beachtlich auch, wie sie in der Solokadenz das hoffnungsvolle Finale zu  Cesare Paveses tröstenden Worten gestaltete: „ … du wirst etwas wiederfinden“.  

Katzer

Kontrastiert wurde Nonos agitatorisches Musikstück durch „Die verlassene Fabrik“, Georg Katzers zweiteilige Komposition für Sprecher, Sopran und Ensemble. Zu ihr war der 1935 geborene Berliner 2005 durch Texte des in der DDR verfemten Wolfgang Hilbig (1941-2007) angeregt worden, der unter anderem als Werksheizer sein Leben fristete. Hilbigs Erfahrungen, dargestellt in einem autobiografischen Text (1972) und in dem Gedicht „Episode“ (1977), sind von eindringlich poetischer Aussage. Katzers Musik verstärkt sie, fängt mit teils illustrierend magischem Klang die sprachgewaltige Stimmung der Texte adäquat ein, im ersten Teil das beängstigend Trostlose eines zerfallenden Industriebaus, im zweiten, nahezu scherzohaften Teil die Imagination eines grünen Fasans „im düsteren Kesselhaus im Licht rußiger lampen“. Nahezu impressionistische Klangstrukturen von assoziativer Stärke findet er. Für den Zuhörer wurde das Erlebnis an diesem Abend durch das Mitwirken von Corinna Harfouch noch verstärkt. Sie stand auf einem Podest im Hintergrund der Bühne und sprach mit wunderbar klarer Artikulation und intensivem Sprachduktus, verstärkt nur durch wenige Gesten, über die Instrumentalisten hinweg. Zeitweise wurde eine männliche Stimme als polyphoner Konterpart hinzugefügt. Im zweiten Teil gesellte sich noch in waghalsigen Koloraturen die Vokalise des Fasans hinzu. Frauke Aulbert hatte hier ihren zweiten, faszinierenden Auftritt.

Insgesamt war das ein Konzert von tiefer Wirkung. Das Publikum erkannte das Besondere des Abends und dankte mit herzlichem Applaus für den Einsatz des präzisen Dirigenten, der stark geforderten Solisten und des Ensembles.

Klangwelten im Vorkonzert –
Ein Schulprojekt der Musikhochschule Lübeck

Beeindruckend schon war das Vorkonzert, ein zweites dieser Art bei einem Auftritt von RADAЯ. 18 Schüler der 7a des Katharineums, der Schule, in der auch Thomas Mann in Lübeck die Schulbank drückte, präsentierten diesmal ihr Stück „Verlassener Rummel im verwachsenen Dschungel“. Sie hatten es im Rahmen des Schulprojektes Neue Musik der Musikhochschule in zweimonatiger Arbeit unter der Leitung von den angehenden Schulmusikern Daniela Sanchez (Venezuela) und Danang Dirhamsyah (Indonesien) erarbeitet. Nicht Klangmalerisches war erlaubt, auch kein konservatives Nutzen der Instrumente. Empfindungen sollte in motivischer Verarbeitung dargestellt werden. Ein fein strukturiertes Werk wurde das und mit großer Konzentration von den 18 Schülern unter Leitung eines von ihnen dargeboten. Dirigierend und mit feinem Gespür für Relationen verwirklichte er seine Vorstellung von dem Stück, schuf aber auch für seine Mitschüler Raum für Improvisationen und forderte selbst mit der Cajón zum Dialog auf.

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