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Rhythmisierte Friedensbotschaft: zur Berliner Uraufführung von Jonathan Harveys „Weltethos“ nach Hans Küng

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Wer die Uraufführung von „Weltethos“ besuchte, tat dies vermutlich nicht, um ein neues Werk zeitgenössischer Musik zu hören, sondern um einem außergewöhnlichen Ereignis beizuwohnen. „Kein Weltfriede ohne Religionsfrieden“ – so lautet die Botschaft der Stiftung „Weltethos“, die das gleichnamige Werk in Auftrag gegeben hat. Sie stammt von Hans Küng, dem wohl couragiertesten Theologen unserer Zeit, der sich seit Jahren weltweit für die friedliche Koexistenz der Religionen einsetzt. Er hat die Stiftung 1990 ins Leben gerufen und ist Hauptinitiator des 80-minütigen Werks, das der Britische Komponist Jonathan Harvey für Berliner Philharmoniker, Rundfunkchor und Kinderchöre des Berliner Georg-Friedrich-Händel-Gymnasiums unter der Leitung von Sir Simon Rattle musikalisch umsetzte.

„Lasst uns Menschen menschlich sein!“ fordert der Refrain aus Kindermund. Küng ist maßgeblicher Mitgestalter des Werks: von ihm stammt die Auswahl der Texte, die er den Schriften der sechs großen Weltreligionen entnimmt und durch eigene Texte erläutert. Diese Nebeinanderstellung von Konfuziansimus, Judentum, Hinduismus, Islam, Buddhismus und Christentum geleitet schnell zum Fazit: Alle Religionen vertreten im Grunde dasselbe ethische Prinzip der Menschlichkeit. Es hat sogar den Weg in den Volksmund gefunden: Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andren zu. Hierin liegt Küngs Hypothese: wir konzentrieren uns zu intensiv auf das, was die Kulturen und Religionen unterscheidet, statt auf das, was sie vereint - eine Quintessenz, die er „Weltethos“ nennt.         

Die Musik zeigt sich von untergeordneter Bedeutung. Jeglicher Handschrift entbehrend kommt sie eher der Vertonung und Rhythmisierung des Textes gleich, Letzteres in geradezu exzessivem Maße. Die eintönigen, sprech-gesanglichen Linien des Kinderchors lassen die Textlastigkeit des Werks fast penetrant erscheinen. Auch die in allen sechs Sätzen wiederkehrenden langen Flüsterchorpassagen sind von einer solcher Monotonie, dass selbst komplexere Rhythmen diese nur bedingt zu brechen vermögen. Gewiss ist es für den Komponisten keine leichte Aufgabe, mit einer strukturell und inhaltlich determinierten Textvorgabe in Prosaform umzugehen. Dennoch erstaunlich, wie dröge und leidenschaftslos es klingen kann. Mit der Absicht, auch musikalisch egalitär zu verfahren, geht das Konzept wohl auch zu weit: um die Vorherrschaft westlicher Musikstrukturen zu vermeiden, arbeitet der Komponist mit musikalischen Mischformen: zwar wecken traditionell-chinesische Klänge eines Cimbaloms oder etwa eine arabische Tonleiter sofort bildliche Vorstellungen der jeweiligen Kultur, zusammengemischt ertrinken die vielen Charakterelemente aber in einem unergründlichen Meer der Vielfalt: Ein ständiges Schwanken zwischen Klischee und musikalischer Verwirrung.

Die gemischten Gefühle im Saal, spiegeln sich nicht allein im mageren Beifall, sondern auch in der merklich unerfüllten Erwartungshaltung. Zu schön wäre es doch, wenn die musikalische Umsetzung dieser Botschaft ein Meisterwerk wäre!  

Wenn es auch nicht das erste Mal ist, dass Musik eine Friedensbotschaft übermitteln sollte, so ist es doch einmalig, dass dies von einer ethischen Instanz, wie Küng sie verkörpert, ausgeht. Die furchtlose Konsequenz, mit der er Zeit seines Lebens agiert hat, ist beeindruckend. Für sein Anfechten des Unfehlbarkeitsdogmas hatte ihm die Kirche einst die Lehrbefugnis entzogen – ein Verdikt, das später widerrufen wurde. Auch ein Unterfangen wie „Weltethos“ ist ein Produkt von Mut, Vision und überzeugter Initiativkraft. War es musikalisch auch keine Offenbarung, so bot der Abend doch Gelegenheit, sich einer seltenen Qualität zu vergegenwärtigen: dem unerschrockenen Willen, Missstände mit allen verfügbaren und vertretbaren Mitteln zu verbessern.

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