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Lachenmanns „Got lost“ im Württembergischen Kunstverein: Stefan Schreiber, Yuko Kakuta und Martina Striebe. Foto: Martin Siegmund
Lachenmanns „Got lost“ im Württembergischen Kunstverein: Stefan Schreiber, Yuko Kakuta und Martina Striebe. Foto: Martin Siegmund
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Showdown im Kunstverein: Die Stuttgarter Ausstellung von Michaël Borremans eröffnet mit Helmut Lachenmanns „Got Lost“

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Seine Gemälde umgibt Stille, Totenstille. Menschen mit starrem Blick oder geschlossenen Augen, mit leichenfahler Haut, oft auch von androgyner Gestalt, sind darauf abgebildet. Gesichter wie Totenmasken, Körper ohne jene beseelte Aura, die die Lebenden umhüllt. Die am Wochenende im Württembergischen Kunstverein eröffnete Ausstellung mit Zeichnungen, Filmarbeiten und Malereien des belgischen Künstlers Michaël Borremans zeigt entrückte Wesen: ohne Bezug zu anderen Menschen, einsam, kommunikationslos, gefangen in surrealen, paradoxen oder ironisch gebrochenen Situationen.

Ein Mann, der konzentriert nur seine Hand anblickt. Eine Frau ohne Unterleib, den Rücken zum Betrachter gedreht. Eine halbnackte Frau, die mit geschlossenen Augen an einer Wand steht und deren Körper scheinbar nur dadurch gerade gehalten wird, dass ihr Haarzopf an einem Seil hochgezogen wird. Der Eindruck einer Erhängten drängt sich auf, obwohl nichts auf dem Bild auf einen Suizid hindeutet. Wohl das überwältigendste, ungewöhnlichste Gemälde dieser Ausstellung.

Und weil die Bilder von solcher Lautlosigkeit, von solcher bedrückenden Bewegungslosigkeit sind, ist es umso erstaunlicher, dass die Staatsoper Stuttgart zusammen mit dem Kunstverein auf die Idee kam, gerade diese Ausstellung mit Musik zu füllen. In einem Spezial ihrer Reihe „Zeitoper“ führte sie jetzt mitten in der Bilderschau Borremans' Helmut Lachenmanns sich exaltiert gebärdendes, sich unbändig an der Vielseitigkeit der menschlichen Stimme erfreuendes „Got lost“ von 2007/08 auf. Das 25-Minuten-Stück, das sich mit seiner Besetzung für Klavier und Singstimme in die Tradition des Kunstliedes einreiht, war damit erstmals in einer szenischen Aufführung zu sehen. Xavier Zuber, Musikdramaturg der Staatsoper, hat Regie geführt, freilich in Kooperation mit dem Künstler, der die Kostüme für den Pianisten und die Sängerin sowie die drei Statisten beisteuerte: Alle tragen die gleichen grauen Anzüge mit Westernapplikationen, dazu Westernhüte und -stiefel.

In „Got lost“ lässt Lachenmann die Sopranistin verspielt mit drei sehr gegensätzlichen Texten jonglieren: Einer Zettel-Botschaft im Aufzug eines Berliner Hauses, Nietzsches „Wanderer“ und einem Text von Fernando Pessoa, in dem es um die Lächerlichkeit von Liebesbriefen geht. Viel ist davon nicht zu verstehen. Vielmehr werden die Worte zerlegt, bedient sich die Sängerin fröhlich der unterschiedlichsten Artikulationsarten: Da wird gezischt, auf die Wangen geklopft, gehechelt, da wechselt gutturales Girren mit ariosen Tremoli in höchster Höhe. Das Klavier kontrapunktiert die vokalen Eskapaden mal durch feine Farbtupfer, mal durch wild Virtuoses.

Man kann das leicht und heiter aufführen, denn es gibt opernparodistische Momente, viele ironische Brechungen in diesem Stück. Man kann aber den mehrdeutigen Titel auch sehr ernst nehmen und eine Tragödie der Sprachlosigkeit daraus machen. „Got lost“ bezieht sich einerseits auf den Satz „Heute ging mein Wäschekorb verloren“ – der höflichen Aufforderung eines Menschen an seine Mitmieter, das geklaute Transportmittel für schmutzige oder gereinigte Kleidung wieder herauszurücken –, andererseits darf man auch ein „gottlos“ darin lesen. Dann erhalten die einsamen Rufe, die die Sängerin in den Korpus des Flügels richtet und die nur durch ein Echo beantwortet werden, mystische Qualitäten. Was den Bezug zur Ausstellung rechtfertigt: Gottesferne ist in den Exponaten selbstredend omnipräsent. Die Bilderwelt Borremans' spiegelt sich dann auch eindrücklich in der Inszenierung wider: In der Androgynität der Protagonisten genauso wie in den hölzernen Gesten, den maskenhaften Gesichtszügen oder der Bewegungslosigkeit der drei Statisten. Auch im Antlitz der Sopranistin, deren Augen mit fleischfarbenem, transparentem Pflaster verdeckt sind – eine Reminiszenz an das Bild einer augenlosen, wächsernen Ente. Und das Spiel mit künstlichen Bärten nimmt gar Bezug auf den Titel der Ausstellung: „Eating the beard“ (den Bart essen).

Xavier Zuber hat „Got lost“ aber auch überzeugend als Beziehungstragödie inszeniert: Der Mann am Klavier (virtuos: Stefan Schreiber) und die Sopranistin (mitreißend: Yuko Kakuta) liefern sich zwischen Europaletten, die sich um den Flügel stapeln, ein musikalisches Duell ohne Gleichen, an dessen Ende die Frau – die zuvor noch ausgiebig zu Steinen gegriffen hatte – alle Viere von sich streckt.

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