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Tigran Martirossian, Wilhelm Schwinghammer, Katerina Tretyakova, Kartal Karagedik, Iulia Maria Dan, Jürgen Sacher, Katja Pieweck. Foto: Kark Forster.
Tigran Martirossian, Wilhelm Schwinghammer, Katerina Tretyakova, Kartal Karagedik, Iulia Maria Dan, Jürgen Sacher, Katja Pieweck. Foto: Kark Forster.
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Sprengkraft der Noten – Figaro im Hamburg

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An der Hamburger Staatsoper erfindet sich Regisseur Stefan Herheim seinen Mozart neu. Joachim Lange ließ sich überraschen.

Der Norweger Stefan Herheim ist ein Opern-Filou. Ein Wundertüten- Regisseur, der sich wie ein Kind über die verblüfften Gesichter freuen kann, auf die er ein unvermutetes Lächeln zaubert. Dessen Phantasie auf kongeniale Partner ausstrahlt und von da zurückwirkt. Diesmal sind es Christof Hetzer (Bühne) und Gesine Völlm (Kostüme). Der aber auch klugen Dramaturgenrat (Alexander Meier-Dörzenbach) aufsaugt. So war man denn bei den vielen Figaros landauf, landab auf den von Herheim in Hamburg besonders gespannt.

Da nahm man sowohl Flimms altersweise gelassenen Ausflug in die Sommerfrische in Berlin, als auch das Leipziger Treppen hoch, Treppen runter der Vorachtundsechziger im aufgemotzten Rokokoschloss, als Anlauf und als Vorlauf. Musikalisch freilich war der Auftakt in Berlin schon das Ziel dieses Figaro-Marathons. Namentlich für die konkurrierenden Gräfinnen ist es halt Pech, wenn Dorothea Röschmann das Maß vorgibt. Gewiss hatte das Ensemble in Hamburg jede Menge Charme, spielerischen Witz und geizte nicht mit Selbstironie. Wovon sie besonders dank der barocken Notenkostüm- und Perückenpracht jede Menge brauchten. Doch im direkten vokalen Vergleich mit der Berliner, aber auch der Leipziger Besetzung, war das eine eher ernüchternde Bestandsaufnahme fürs Hamburger Ensemble. Wobei Christina Gansch als vielversprechende Barbarina aufhorchen ließ. Auch Wilhelm Schwinghammer mit seinem eine Spur zu vornehm geratenen Figaro und die geschmeidige Susanna von Katerina Tretyakova steuerten vokal ihren Teil zum Ensemblespiel bei. Ottavio Dantone am Pult der Philharmonischen Staatsorchesters bleibt gelegentlich hinter dem Feuerwerk, das auf der Bühne abgeht, zurück.

Dort veranstaltet Stefan Herheim aber keine Exkursion in die konspirativen Geistesnischen der revoluzzernden Aufklärer, die so unbewusst wie effektvoll die Große Revolution für Frankreich und Europa vorbereiteten. Er beschränkt sich auch nicht auf eine perfekt getimte Beziehungskomödie mit dem Deja vue Bonus eines Heutzutage-und-Hierzulande-Effekts. Nein, er erfindet einfach diese längst rauf und runter interpretierte Buffa neu. Aus dem Geiste der Musik. Oder noch genauer aus der Sprengkraft der Noten.

Dieser sowohl in Sachen Personenführung als auch Notentext perfektionistische Regisseur macht den Noten regelrecht Beine, ihre geheime obsessive Richtung deutlich, lässt sie zu Frauen und Männern werden, die suchen, lieben, enttäuscht sind, explodieren wir ein Feuerwerk, die das Licht im Saal angehen lassen und dann wieder hinter Mozarts genialisch hingeworfenen Notenblättern verschwinden. Und das ist alles keineswegs metaphorisch gemeint. Schon die Ouvertüre ist mit einer Video-Liebeserklärung von Momme Hinrichs und Torge Möller von fettFilm unterlegt, bei der einem das Herz aufgeht. Da kriegen die Noten Beine, fangen an zu rennen, zu reiten zu werben, um am Ende zu einem Spermien-Schwarm zu werden. Will wirklich jemand behaupten, dass Mozart sich da nicht gebogen hätten von Lachen?

Und so geht es dann in dem Bühnennotenkäfig weiter, der mit den Seiten der Partitur tapeziert ist, die dann auch mal runterfallen wie Laub und alle beim ersten Finale unter sich begraben. Die aber auch als verräterischer Zettel oder Vertrag oder zur Orientierung dienen, hinter oder unter denen man sich aber auch verstecken kann. Bei Bedarf sind sie die Blätter im nächtlichen Park. Und so werden die Figuren aus und in den Noten lebendig. Sind aufgedonnert wie dem Ancien Regime entsprungen und prall von Leben und anzüglich frivol zupackend wie von Mozart und DaPonte erfunden.

Jubel in Hamburg. 

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