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Tannhäuser in Dortmund. Foto: Theater Dortmund
Tannhäuser in Dortmund. Foto: Thomas M. Jauk / Stage Picture
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Verlangen nach Erlösung – Dortmunds Schauspieldirektor Kay Voges präsentiert seine erste Opernregie

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Viel Sprengstoff enthielte die Neuinszenierung des „Tannhäuser“ in der Dortmunder Oper – so hieß es in den Tagen vor der Premiere am 1. Dezember. Manche prognostizierten sogar einen handfesten Skandal. Und hatten wohl noch frisch in Erinnerung den in die Nazi-Zeit verlegten „Tannhäuser“ in der Düsseldorfer Rheinoper zu Anfang der laufenden Spielzeit, den Intendant Christoph Meyer direkt nach der heftig kritisierten Premiere nur noch konzertant über die Bühne gehen ließ. So weit wird es mit dem Dortmunder „Tannhäuser“ aber ganz sicher nicht kommen.

Tannhäuser ist in ein weißes Gewand gehüllt, trägt eine Dornenkrone und die Stigmata an Händen und Füßen. Außerdem hängt er leidend am Kreuz. Ist Tannhäuser also Jesus? Diese direkte Parallele will Kay Voges in seiner Inszenierung nicht ziehen – aber um Erlösung geht es beiden, Jesus wie Tannhäuser. Um Befreiung von Schuld, individuell und universal. Und um (Gott-)Verlassenheit, wie Tannhäuser sie am Ende erfahren muss, nachdem er nach Rom gepilgert und dort vergeblich um Erlass seiner Sünde gefleht hat. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – Jesu Worte am Kreuz von Golgatha könnten die Tannhäusers sein.

Kay Voges, als Schauspieldirektor in Dortmund höchst erfolgreich, legt mit seinem „Tannhäuser“ nun seine erste Opernregie vor. Er setzt dabei vor allem auf visuelle Mittel. Videokünstler Daniel Hengst entwickelte bewegte Bilder, die unter anderem mittels zweier HD-Projektoren sichtbar werden: auf der Bühnenrückwand und dem Gaze-Vorhang, auf allerlei Monitoren, aus denen sich das übergroße Kruzifix zusammensetzt. Fromme Szenen einer Maria im Nazarener-Stil mit pochendem Herzen, aber auch Sequenzen über die Grausamkeit der heutigen Welt, Tagesschau-Fragmente und Ähnliches – und durchaus witzige Videos wie beim Einzug der Sänger in die Wartburg. Da gehören selbst Angela Merkel und Vladimir Putin zu den Ehrengästen! Zwischendurch taucht das Bayreuther Festspielhaus auf – gekrönt vom Dortmunder „U“ (das Wahrzeichen eines ehemaligen Dortmunder Brauereigebäudes, jetzt als Kunst- und Kulturzentrum genutzt), was beim Publikum zu Recht herzliche Lacher auslöste.

Aber zurück zur Titelfigur: Tannhäuser nimmt (wie Jesus) das Leiden an, bricht mit der vermeintlich wohligen Welt der Venus, die Voges als eine einengende Familien-Idylle der 1950er Jahre auffasst: Bürgerliches „Glück“ in einer Mietskaserne, mit Kanne Bier in der Hand und eingeschalteter Glotze – das kann es für ihn nicht sein! Als Suchender landet Tannhäuser bei seinen coolen Minnesänger-Freunden von einst, angeführt von Landgraf Hermann, dessen Tochter Elisabeth wie eine strahlenumkränzte Heilige daherkommt. Die schickt ihn nach Rom – mit dem bekannten Ergebnis. Vergeblich auf ihren Geliebten wartend, sucht Elisabeth den Freitod. Auch hier eine eindringliche Videosequenz: Elisabeth streift durch die Flure des Opernhauses, legt in der Garderobe Kostüm und Perücke ab – und steigt in eine Badewanne, die sich zeitlupenhaft mit Wasser füllt, bis ihr Leib vollständig bedeckt ist. Das geht unter die Haut!

Es sind diese starken, wirkmächtigen Bilder, die Voges’ Wagner-Deutung prägen. Und sie sind wohldosiert, wirken nie überladen. Gleichwohl lassen sie sich nicht immer dechiffrieren. Imposant ist Daniel Roskamps Bühne, über der eigentlich ständig eine Art Kirchengewölbe schwebt. Am Ende entschwebt es wie eine Rakete in den Himmel – Tannhäusers Himmelfahrt?

Gabriel Feltz, seit dieser Spielzeit neuer GMD am Haus, entwickelt mit den Dortmunder Philharmonikern einen sehr differenzierten Orchesterklang von großer dynamischer Breite. Sängerisch glänzt vor allem Christiane Kohl als Elisabeth. Ihr Gebet zu Beginn des 3. Aufzugs („Allmächt’ge Jungfrau, hör mein Flehen!“) gehört zu den sängerischen Höhepunkten des Premierenabends. Für Daniel Brenna ist die Tannhäuser-Rolle ein echtes Wagnis. Er ist ein guter Schauspieler, aber stimmlich nicht auf der Höhe: im Piano brüchig, in der Höhe oft forciert. Die Rom-Erzählung bewältigt er nur durch pure Deklamation. Das mag ins Regiekonzept passen, aber eine Oper ist eben eine Oper – und da will gesungen werden.

Hermine May ist als Venus sehr verführerisch und hat Sex-Appeal in ihrer Stimme, Christian Sist trumpft als Landgraf Hermann mit großem, etwas stark tremolierendem Bass auf. Die Schar der Minnesänger, die sich im bizarren Outfit zur rauschenden Party in der Sängerhalle einfinden, macht ihre Sache gut (Gerardo Garciacano als Wolfram, John Zuckerman als Walther, Morgan Moody als Biterolf, Fritz Steinbacher als Heinrich der Schreiber, Martin Js. Ohu als Reinmar von Zweter).

„Ich nehme Wagner ernst und suche nach den für uns aktuellen Konflikten in der Oper“, erläuterte Kay Voges. Das ist ihm gelungen – und seine Inszenierung erschöpft sich längst nicht beim ersten Hören und Sehen.

www.theaterdo.de

Weitere Termine: 21. 12. 2013; 5. und 19. 1., 8. und 23. 2. 2014

 

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