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Hebt die Hand zum Gruß. Michael Wertmüller neben Lukas Bärfuss. Foto: Basche
Hebt die Hand zum Gruß. Michael Wertmüller neben Lukas Bärfuss. Foto: Basche
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Verpuffter Anschlag und mitreißende Filmmusik – Ein Wochenende bei MaerzMusik

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Zweispältiges Wochenende bei MaerzMusik 2014 mit einem Musik-Theater-Blindgänger von Michael Wertmüller und wirklich fantastischer Filmmusik von Johannes Kalitzke mit dem Ensemble Modern. Biedermeiertum auf der Musiktheaterszene steht einem Filmmusik-Phänomen gegenüber.

„Anschlag“ ohne Schlagkraft

Michael Wertmüller und Lukas Bärfuss versuchten sich mit einem sogenannten „Anschlag“, der jedoch missglückte. Was aber nicht zu sehr zu bedauern sein dürfte. Auf dem Festival für aktuelle Musik breitete sich musikalisch Musical-Gestottertes, aber mehr noch unterirdisch szenisches Getue aus. Die Schere, die eine Sängerin während der Aufführung zückte hätte man besser ganz zu Beginn des Werks angesetzt – aber das gegen den eigenen Anspruch sich einstellende biedere Gewolle rollte ab wie am Schnürchen.

Was musikalisch wenigstens noch wie ein schlecht und kitschig wiederbelebter Hindemith klang, dem man Elektrosonden von Richard Strauss und Phil Glass implantierte, war szenisch einfach nur schlicht bieder. Vor allem aber: schlicht!

Worum es geht? Mindestens, will man dem Komponisten Wertmüller und Librettisten Lukas Bärfuss glauben, um das Ganze, das Ende des Universums, den Kältetod. Dazu werden Texte herbeigebracht, die recht drastisch Krankheit und Wissenschaftsverständnis früherer Zeiten widerspiegeln. Nachgedichtete Zeitdokumente, teils aus den dunklen Kammern der Literaturgeschichte. Man kann das Libretto nennen oder einen Texthaufen. Wie auch immer. Besser ist es nachgelesen in den Archäologien von Michel Foucault oder den düsteren Kapitel aus Jean Baudrillards Werk.

So bleibt der Versuch eines Theater des Schreckens. Und was ist davon auf der Bühne gelandet: Eine Inszenierung des Schreckens, ein sterbensödes Bewegungstheater mit erhobenem Zeigerfinger, wodurch das alles ins Lächerliche abglitt. Da kommt zum Beispiel mal ein Nebelwölkchen aus einem Kanönchen und wabert in kaltblauem Licht über die auf dem Laufsteg liegenden Musiker, während es aus den Lautsprechern bedeutungsschwanger dräut. Das übertrifft fast den Effekt von versteckten Milchschnitten im abgeschlossenen Schrankkasten von Mama und Papa. Bis zum Anschlag erschreckend dürftig ist das und gar nicht „den Kanon kontextuell dekonstruierend“. Piffpaffpuff.

Auf wen oder was können Sie am ehesten verzichten?
Neue-Musik-Event-Veranstaltungen. (Michael Wertmüller in den 11 Fragen der nmz)

Es passt zur Szene, dass der Komponist neben seinem Wortlieferer zum Schlussapplaus die linke Hand zum Revolutionsgruß erhebt. Das ist wenigstens ehrlich gemeint, wenn auch die Bedeutung in der Peinlichkeit der Geste zerfließt – die zeichentheoretische Differenz zu „Klaus & Klaus“ bei ihrer Polonäse Blankenese ist dabei nur marginal, egal von wo man schaut. Es bleibt meist großartig musiziertes Brimborium von hervorragenden Musikern und Sängern.

Die Weber – Johannes Kalitzke und das Ensemble Modern

Ganz anders berührte der Abschlussabend mit Live-Musik zum Stummfilmklassiker „Die Weber“ von 1927. Johannes Kalitzke hat die Musik zu diesem Film neu entworfen, Uraufführung war am Theater Augsburg im Jahr 2012. Man hält es fast nicht mehr für möglich, welch farbige und mitunter rauschhafte Musik heute noch möglich ist. Orchesterfarben tun sich da auf, die man lange zu hören vermisst hat. Dabei eilt filmmusikalischer Untermalung nicht gerade der Ruf voraus, eigenständige Werke zu hervorzubringen. Das ist Kalitzke aber unzweifelhaft gelungen. Der Film erhält eine zusätzliche Dimension, die Bild und Texttafeln nicht bieten.

Gewiss, es gibt dieses Auf-den-Filmsequenz-Punkt gesetzten Tupfer, die Musiktyp-Zitate, es gibt die Abbildung des Bildes in die Musik hinein. Aber grundsätzlich scheint das Werk an einem anderen Punkt anzuknüpfen, der hinter dem Bild selbst liegt und einen Kommentar aus dem Blickwinkel der Gegenwart zum verfilmten Drama Gerhart Hauptmanns hinzufügt. Die Musik macht sich nicht eins mit dem Film, sie konterkariert gerne dort, wo man ein Mitgehen der Komponisten erwarten würde, wäre sie nur Dienerin der Szenerie. Unmittelbar ohrenfällig wird das insbesondere bei den Aufstand-Szenen gegen Ende des Filmes, wo die Musik zum Beispiel Pausen setzt, statt sich mitreißen zu lassen.

Die Musik rollt parallel zum Bild, bewegt sich dabei aber viel freier im Raum, als die strengen Bilder und die unzweideutigen Gesten der Schauspieler. Wo das Bild keinen Zweifel lässt, streut ihn der kritische Komponist ein. So kann die Komposition Kalitzkes schillern, spiegeln, kreisen, einsaugen, ausstoßen …

Die Musik ist in ihrer Klangwirkung so geschmeidig, dass sie den Bildern eine Farbigkeit hinzufügt, die nicht bloß Buntheit bedeutet. Das über 30-köpfige Orchester des Ensemble Modern hörte man gerne so saftig klingen, so gut balanciert; gute Kompositionen und Dirigenten können das hervorkitzeln. Eine packende Aufführung, ganz ohne filmmusikalische Tricksereien.

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