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Markus Däunert. Foto: privat
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„Viele meiner Kollegen denken daran, das Land zu verlassen“ – Markus Däunert zum Brexit

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Gerade erschien die Debüt-CD der Aldeburgh Strings mit Werken von Benjamin Britten. Initiator der CD und, vor allem, des Ensembles ist der Deutsche Markus Däunert. Er hat die Aldeburgh Strings vor zehn Jahren gegründet und leitet das Ensemble – nicht als Dirigent, sondern „nur“ als Konzertmeister. Jetzt könnte der Brexit das bisher Erreichte zerstören. Aus aktuellem Anlass sprachen wir mit Markus Däunert, der (nicht nur) die britische Musikszene hervorragend kennt.

Burkhard Schäfer: Herr Däunert, unter welchen Umständen kam es zur Gründung der Aldeburgh Strings? Was und welche Ideen verbergen sich hinter dem Orchester?

Markus Däunert: Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal nach Aldeburgh kam, wurde ich durch den Ort Snape und die Offenheit seiner Organisatoren beim Britten-Pears Young Artist Programme zu der Idee inspiriert, hier ein Streicherensemble ins Leben zu rufen. Inspiriert durch meine Erfahrungen bei der Gründung des Mahler Chamber Orchestra, konnten wir Jonathan Reekie, den damaligen Direktor von Aldeburgh Music, davon überzeugen, uns die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, dieses sich weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus erstreckende Projekt zu realisieren. Hunderte von Probespielen wurden auf der ganzen Welt abgehalten. Aus etwa tausend Bewerbern wurden 30 Kandidaten ausgewählt. Die Musiker der Aldeburgh Strings kommen aus zwölf verschiedenen Nationen. Man muss erwähnen, dass das Britten-Pears Orchestra – zum damaligen Zeitpunkt das Flaggschiff des Britten-Pears Young Artist Programme – noch eine rein britische Angelegenheit war. Unter der Leitung und Offenheit eines Jonathan Reekie und des künstlerischen Leiters des Aldeburgh Festival, Pierre-Laurent Aimard, zeichnete sich ein Wandel im Gesicht dieses multikulturellen Ausbildungszentrums für hochbegabte junge Musiker in Snape ab. Es öffnete seine Pforten, wurde internationaler, die Atmosphäre änderte sich. Das künstlerische Niveau der Studenten lag nun noch höher, der Austausch zwischen Musikern ganz unterschiedlicher Kulturen und Ausbildungssysteme aus aller Welt gab dem ganzen viele neue Impulse.

Burkhard Schäfer: Lassen Sie uns über den Brexit reden: Besteht Anlass zur Sorge, dass die jüngsten politischen Entwicklungen auch das Orchester, ja das ganze Projekt treffen?

Markus Däunert: Ich kenne keinen unter meinen zahlreichen Kollegen in Großbritannien, der für den Brexit gestimmt hat. Nahezu jede Altersgruppe ist hier vertreten und wird hier repräsentiert. Wir müssen die Entwicklungen wirklich noch abwarten, aber die Sorge, dass die Musiklandschaft negativen Veränderungen unterworfen werden könnte, ist hoch. Die Situation ist über Nacht praktisch auf den Kopf gestellt worden. Ein Beispiel: In fast allen großen bedeutenden Orchestern Großbritanniens arbeiten die Musiker als Freelancer. Verträge wie in einem deutschen Orchester gibt es kaum. Gerade in den letzten Jahren haben sich viele Musiker aus der EU entschieden, in Großbritannien zu arbeiten und ihr Können und, vor allem, ihren Spirit miteinzubringen. Die Aldeburgh Strings bilden hier ein perfektes Beispiel. Es ist derzeit nicht abzusehen, was mit all den Musikern, die im Moment keine britische Staatsbürgerschaft besitzen, passieren wird.

Burkhard Schäfer: Wie schätzen die jungen Musiker denn selbst die Situation jetzt nach dem Brexit ein?

Markus Däunert: Es ist der essentielle Gedanke und Wunsch, in einer Gemeinschaft aufzuwachsen, zu lernen und zu arbeiten. Dies in der „kleinen“ und „großen“ Welt, in der Familie, unter Freunden, Kollegen und/oder im weiteren Sinne innerhalb einer Gemeinschaft von Staaten, die sich gegenseitig stützen, bereichern und zusammenhalten. Ein Kollege beschrieb es mit den Worten „Dystopia“. Die Angst, die Sorge, aber auch die Wut darüber, dass man diesen so wichtigen Gedanken – in friedlicher, sich gegenseitig stützender, vom Austausch erfüllter Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten – verlieren wird, ist für manch einen unerträglich. Insbesondere jungen Menschen wird etwas genommen, womit sie ganz selbstverständlich aufgewachsen sind. Viele meiner Kollegen denken daran, das Land zu verlassen oder eine neue Staatsbürgerschaft innerhalb der EU zu erlangen. Man muss sich einmal überlegen, wie groß das Ausmaß der Enttäuschung sein muss, um der Heimat den Rücken zu kehren!  

Burkhard Schäfer: Sie kennen sowohl die britische als auch die zentraleuropäische Musikszene. Was meinen Sie: Ist die Musik der Insel immer noch von der sprichw örtlichen „Splendid Isolation“ umweht? Anders gefragt: Gibt es eine „typisch englische Musik“?

Markus Däunert: Von Pierre Laurent Aimard hörte ich einmal, dass England seinem Empfinden nach viel weiter von Europa entfernt sei, als er je angenommen hätte. Dies öffnet viele Wege zur Interpretation. Sicherlich distanzierte man sich auf der Insel im vergangenen Jahrhundert von einigen europäischen Entwicklungen, insbesondre denen der Neuen Wiener Schule, aber nicht aus purer Ablehnung oder Ignoranz. Ich fühlte in Großbritannien immer eine große Offenheit und Neugierde, einen Respekt vor Individualität und Toleranz, kulturelle Unterschiede betreffend. Die Sache verhält sich auf schwer erklärbare Weise ambivalent. Dies zeigen uns auch die jüngsten Ereignisse. Jeder der zeitgenössischen Komponisten Großbritanniens – als Beispiel nehme ich hier George Benjamin, Harrison Birthwistle, Oliver Knussen, Thomas Adès, Colin Matthews, John Woolrich oder Peter Maxwell Davies – hat seine ganz eigene Tonsprache, die ich nicht als „typisch englisch“ bezeichnen würde. Mögen sie mir es verzeihen, sollten sie es anders sehen (lacht).

Burkhard Schäfer: So populär wie beispielsweise die skandinavische Musik oder die des Baltikums ist die Gegenwartsmusik der Britischen Insel aber hierzulande nicht, oder?

Markus Däunert: Tatsächlich schafft es die Neue Musik aus Großbritannien kaum über die Grenzen der Insel hinaus – und das in Zeiten der Globalisierung! Das ist schon erstaunlich. Natürlich gibt es Galionsfiguren wie einen Simon Rattle, der auch britische Werke jüngeren Datums auf die Programme setzt, aber das sind eher Einzelfälle. Man muss – leider – feststellen, dass es generell zwischen vielen Ländern kaum einen Informationsfluss gibt. Die Szenen schotten sich geradezu ab. Das bemerke ich in Italien genauso wie in Deutschland, der Schweiz oder Frankreich. Sogenannte „Sonderwege“ oder „Lager“ gibt es natürlich immer noch, nur sind sie noch differenzierter ausgeprägt und man kann sich als Hörer im Wald verirren.

(Das Interview führte Burkhard Schäfer)

Zur Person: Markus Däunert

1970 im damaligen (Ost) Berlin geboren. Studium an den Musikhochschulen „Hanns Eisler“ Berlin und „Franz Liszt“ Weimar. Gründungsmitglied und ehemaliger Konzertmeister des Mahler Chamber Orchestra. Regelmäßiger Gast bei den Berliner Philharmonikern. Markus Däunert unterrichtet eine Violinklasse an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und am Konservatorium Hamburg. Diverse CD und DVD-Aufnahmen für die Deutsche Grammophon, EMI, Virgin Classics, Linn, Decca, Arte, Euroarts und Sony.

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