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Josef Anton Riedl. Foto: Astrid Ackermann
Josef Anton Riedl. Foto: Astrid Ackermann
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Vom Unverbrauchten, Unbenutzten, Ungewagten – Zum Tod von Josef Anton Riedl

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Was gibt‛s Neues pflegte Meister Joe, wie Viele ihn nannten, immer am Beginn seiner zahlreichen Anrufe im Bayerischen Rundfunk zu formulieren. Und er freute sich damals, zu Beginn der achtziger Jahre, darüber, dass eine jüngere Generation in der ebenfalls noch jungen Klassikwelle des BR junge, zeitgenössische Akzente setzte. Die Zeit damals, die war unglaublich offen.

„Dinge sind da möglich gewesen, an die man sich heute kaum zu denken getraut,“ formulierte Josef Anton Riedl wenige Jahre vor seinem Tod. Und hielt die aktuelle Zeit gar nicht mehr für so vergleichbar toll. Er lebte damals, weit jenseits der achtzig in also schon weit fortgeschrittenem Lebensalter, mit direktem Blick in das Blaue Land hinein, ins Herz der Alpen mit Ahnung vom Alpenhauptkamm, am Rand von Murnau.

Von hier aus hatte der Blaue Reiter Elemente der Erfindung der Abstrakten Malerei ins Hirn und ins Herz der Weltkunst hinein eingespeist. Hier war Riedls Denkzentrum und sein Archiv und seine Inspirationsquelle. Hier empfing er Meister und Großmeister der aktuellen Musikentwicklung. Von hier aus hat er – selbst Großmeister des Unverbrauchten und Unbenutzten und Ungewagten in der zeitgenössi-schen Musik – seine Ideen komprimiert.

1952 habe ich zum ersten Mal neue-musik-Veranstaltungen in München gemacht, nachdem ich Pierre Schaeffer, den ausgewiesenen Exponenten der musique concrète in Paris kennengelernt und in Algerien erlebt hatte. In seinem Studio habe ich später dann alles abgehört, was abzuhören ging. Zuvor habe ich in Aix en Provence eine Tagung mitgemacht, bei der Schaeffer dominant präsent war, anlässlich der Präsentation seiner zehnsätzigen Sinfonie, die einzig von einem einzigen einsamen Menschen handelt. Da wusste ich, in so einem Umfeld werde ich aktiv sein. Meine Erlebnisse aus Aix habe ich versucht sozusagen ins Deutsche zu übertragen. Schwierig in einer Zeit, zu der die Münchner Musikhochschule für das bekannt war, was sich nicht  getan hat. Ich habe trotzdem und immer und überall gehört, ich war in der muscia viva, bei Carl Orff. Seine Schlagzeug-Affinität hat mich direkt angesprochen, sein Schlagwerkorchester. Mit Karl Amadeus Hartmann stand ich in Kontakt, mit Fritz Büchtger und seinem Studio für Neue Musik. Ja, und dann habe ich angefangen, selbst Konzerte zu veranstalten.“

Die Stadt gab Geld. Später wurden daraus die Klangaktionen, Konzerte mit experimentellen Ansätzen, auch mit und für Kinder sowie Jugendliche, Geschichten mit Spaß und Witz und Humor und Intelligenz – vor allem aber mit unendlich vielen Klangerzeugern. Seine Sensibilität ließ papermusic entstehen, grafische Notationen die vom Publikum in einem kreativen Akt selbst umzusetzen waren in Klangassoziationen voller Farben und Düfte und sinnlicher Versuchungen. Mit den Großen der Zeit war er verbunden, mit Pierre Boulez und Mauricio Kagel, mit Karlheinz Stockhausen und Dieter Schnebel, mit John Cage und LaMonte Young war er in Kontakt – um die nur stellvertretend zu nennen. Mit Edgar Reitz arbeitete er im filmischen Bereich. Die Musik zum Reitz-Film Geschwindigkeit wurde legendär, live gespielt zu den Reitz‘schen Bildern. Oder auch im Konzert, mit den selbst imaginär zu produzierenden Bildern. „Die Zusammenarbeit mit Reitz war mir sehr wichtig. Zumal, als wir an dem Film Geschwindigkeit arbeiteten. Da gab es Befürchtungen im Vorfeld um die angemessene Musik. Ich habe aber gesagt, keine Angst, ich mach keine echte Musik. es gibt auch kein Ohrengekratze. Da kommt nur Schlagzeug. Und das hat dann so gefallen, dass es ein Renner geworden ist. Für mein eigenes Komponieren habe ich schon auch auf das Elektronische Siemens Studio in München Zugriff gehabt. Das hatte eine große Ausstrahlung. Es war neben dem Kölner Studio von WDR und Stockhausen das sinnlichere.“

Nicht nur Riedl sondern viele seiner Kollegen, die am elektronischen Pult (auch in München) arbeiteten, fanden das auf Dauer zu zeitaufwendig und befassten sich erneut und weiterhin auch mit tradierten Klangerzeugern. Zu seiner eigenen kompositorischen Arbeit formuliert Riedl den Kernsatz: „Die Farbe der Sprache, die Farbe einer Sprache, nicht deren Semantik, soll die Musik dominieren. Die Sensibilisierung, das ist wichtig.“ Der introvertierte, karg formulierende Riedl lässt sich abtrotzen, dass ihm der abendländisch gewachsene und gewordene Johann Sebastian Bach wichtig ist: Bach und das Theoretische. Warum Bach so wurde, die gesamte Haltung, wie das durchorganisiert ist.

Der stille, der zähe, der unbeugsame, der kämpferische Josef Anton Riedl, der Komponist und Veranstalter, der Anreger und Anschieber, der Urheber experimenteller Musik, der Türöffner, der Poet, der Provokateur. Mit Beginn der fünfziger Jahre im vergangen Jahrhundert widmet Riedl sich seiner spezifischen Lautpoesie, die aus Texten reine Lautfolgen macht, sie sozusagen entsemantisiert, sie aus den rein logischen Sinnzusammenhängen herauslöst und dem Klang auf diese Weise neue Wirkräume ermöglicht. Er komponierte visuelle Musik und Multimedia-inszenierungen. Deren bildhafte Qualität bewegte sich immer auf demselben Anspruchsniveau, das er seinen musikalischen Konzepten zugrunde gelegt hatte.

Das Kunstprogramm der XX. Olympiade München 1972 trug im erklingenden Bereich deutlich Riedls Handschrift, vom Anspruch her immer auf Augenhöhe und Ohrenhöhe mit den Graphic-Design-Konzepten des legendären Otl Aicher und im Verbund mit der ebenso legendären hfg (Hochschule für Gestaltung Ulm). Ohne Riedl gäbe es so viel nicht nur in München nicht sondern in Bonn nicht, im Rest der Welt nicht.

In der ehemaligen Bundeshauptstadt leitete er viele Jahre lang das Kultur Forum und die Tage Neuer Musik. Die Münchner Zentrale des Goethe-Instituts schickte ihn rund um die Welt zu Weltausstellungen und Klangaktionen mit zeitgenössischer deutscher Musik zwischen Riedl und Stockhausen, Kagel und König und all den anderen, immer vom Erklingenden her gleichermaßen perfekt gedacht wie vom Visuellen her gedacht und gemacht. „Das Provinzielle an München ist die Angst, provinziell zu sein,“ lästerte er immer wieder und gerne und durchaus berechtigt. Josef Anton Riedl war nie provinziell, trotz ländlichen Lebensmittelpunktes. Sein Wunsch, dass München keine zweite Olympiade kriegen sollte, ist ihm von Naturschützern erfüllt worden. Wer jetzt freilich im Bayerischen Rundfunk nachfragen soll Was gibt´s Neues? das muss die Zukunft weisen: Am Karfreitag des Jahres 2016 ist Josef Anton Riedl in irgendeinem biblischen Alter gestorben, hat er den Planeten verlassen. Wann er ihn betreten hat, das ließ er immer offen.

Josef Anton Riedl im Gespräch from Die Bildmischer on Vimeo.

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