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Foto: Katarzyna Fortuna
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Wenn es nicht aufhört, zu ticken – Kammermusik trifft Musiktheater – „… der Sinne Uhrwerk“ von Christian Banasik in Düsseldorf uraufgeführt

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Donaueschingen verkündet die Großform. Erfrischend hält man in der Neue Musik-Provinz dagegen. Die Ensemblekultur, so die Botschaft in diesem Fall aus Düsseldorf, ist noch längst nicht am Ende. Auch nicht als Kammermusik. Das Potential ist reich – sofern man seine Dramatik spürt.

Wobei Kammermusik in diesem Fall ganz wörtlich zu nehmen war. Ein Setting ganz wie in der klassischen Hausmusik, die ja auch noch weiter lebt, obwohl sie längst tot gesagt ist. Der Spielort: die Beletage eines dieser wunderbaren Bürgerhäuser in der Düsseldorfer Altstadt, wo Schumann und Heine auch schon vorbeigelaufen sind. Mit dem Unterschied, dass hier in neuerer Zeit das Polnische Kulturinstitut eingezogen ist. Jetzt, zum 20-Jahr-Jubiläum, hat sich eine weitsichtige Leitung neben einem die Künste umspannenden Festprogramm, auch eine Auftragskomposition bestellt. Was nach Routine klingt, und was es doch nicht war. Im Gegenteil.

Die Mischung macht’s

Zu tun hatte dies zunächst einmal mit Christian Banasik, einem in der Stadt und darüber hinaus gut vernetzten Komponisten im Umfeld von Elektronik und aktuellen Medien. Dass Banasik sich vorgenommen hatte, dem Auftrag des Kulturinstituts alles andere als die fest- und feierkulturelle Seite abzulauschen, war spürbar mit dem ersten Einsatz. Herausgekommen ist denn auch nicht die sonst ja immer drohende, so genannte Gelegenheitskomposition. Vielmehr erwies sich die kammermusikalisch-musikdramatische Arbeit „… der Sinne Uhrwerk“ (der Rätseltitel nach einem Gedichtfragment des Barockpoeten von Lohenstein) schnell als das, was sie war: auskomponiertes Wagnis, Ausnahmezustand. Durchaus auch für Banasik selber, indem er bis auf eine dezente Videoprojektion (Stephan Kugler/Stefan Zimmermannn) doch (für seine Verhältnisse) sehr weit ins „klassische“ Fach gegriffen hatte: Streichquintett plus Sänger-Duo. Das Genre zünftiger Haus- und Kammermusik musikdramatisch aufgeladen mit dem Hallraum der Oper, des Musiktheaters. Eine umwerfende Mischung.

Was hier vor allem dem körperlichen Einsatz der beiden exzellenten Solisten zu danken war, die sich Banasik von der Rheinoper einerseits, von der freien Szene andererseits geholt hatte. Mit Händen greifbar die aufgeladenen Yin- und Yang-Bögen aus dunkel glühenden Registern des famosen Bassisten Lukas Koniecny und, ihm gegenüber in der rappelvollen schönsten Stube des Polnischen Kulturinstituts, die extrem geführten, in jedem Moment zum Ausbruch neigenden Linien des dramatischen Soprans von Irene Kurka. Insbesondere deren Bereitschaft, nicht nur ins Extreme zu gehen, sondern sich dort aufzuhalten, hat dieser Produktion ihren Stempel aufgedrückt.

Rasendes Wachsein

Was gesungen wurde (Gedichte von Wislawa Szymborska, Julia Hartwig, Jaroslaw Markiewicz, Heinrich Heine, Daniel Caspar von Lohenstein), war nur in Bruchstücken verständlich; von was gesungen wurde, hat die Musik freilich rückhaltlos mitgeteilt. Deren Material hatte sich Banasik aus den Concerti Grosso des Arcangelo Corelli geholt. Ein Werk mit Düsseldorf-Bezug, insofern Corelli sein op. 6 dem Kurfürsten Jan Wellem gewidmet hatte. Entstanden ist daraus in der Anverwandlung ein schwirrender, von fünf Mitgliedern der Düsseldorfer Symphoniker schlüssig ausgeführter Streichersatz. Sechzehntel, die in der Luft stehen, die irgendwo anfangen und abreißen. Wie das plötzliche Erwachen, das Herausgerissenwerden aus einem Traum und dem nachfolgenden Zustand erzwungenen Wachseins. Dann hört man es ja wieder, das Ticken „der Sinne Uhrwerk“. Nicht der Traum, sagt Wislawa Szymborska, das Wachsein ist rasend. Wie diese hellwache, in unseren Tiefenschichten bohrende Musik. Zum Wiederhören empfohlen.

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