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a tempo (2009/02)

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Mensch, mach Dich verständlich! Was willst Du eigentlich damit sagen? Was soll das Ganze?
Ja, hm, ich habe versucht …
(Kennt jeder, so einen „Dialog“)
Nun sag schon, was Du meinst!
Menschliche Erfahrung ist nicht übersetzbar. Mein Schmerz ist nicht Dein Schmerz.
????
Kunstwerke sind nicht übersetzbar. Der Klang ist kein Wort.
???

Meine Musik ist nicht Deine Musik. Wie soll ich mich verständlich machen? Mit Worten?

Kann ich nichts damit anfangen. Wie sollen wir uns denn verständigen?

Nicht nur ist meine Erfahrung des Kunstwerks nicht übersetzbar. Auch und gerade das Werk selbst ist unübersetzbar. Es ist nur als das, was es ist, lesbar.

Was sich der Sprache verweigert, bleibt unverständlich. Wie soll es einen Raum der Verständigung geben, der nicht in Sprache übersetzt ist?
Hm … gibt es nichts, das nicht mediatisiert wäre? Gibt es einen „Raum der Verständigung“, in dem nicht alles, um „verständlich“ zu erscheinen, übersetzt, vermittelt werden muss?

Kunstwerke sind nicht übersetzbar.

In Deinem Begriff der Unübersetzbarkeit nistet etwas, das mir zu schaffen macht.

Die Präsenz. Die Gegenwart des Einmaligen.

(An der Unübersetzbarkeit erkennen wir Präsenz.

Präsenz, so scheint es, ist die uns verborgenste Weise zu sein.)

Wir ertragen keine Präsenz. Selbst der Schmerz wird enteignet. Wir quantifizieren und messen ihn auf Skalen, machen ihn vergleichbar.

Ah, ich verstehe, ich kann Deinen Schmerz hier ablesen.

Nichts kann ich lesen. Auch die Musik wird enteignet.

Ah, ich verstehe, Du verwendest hier die Vergrößerung in der Umkehrung.

Nichts kannst Du verstehen.

Ich führe diesen imaginären Dialog mit mir immer wieder. Wir haben uns Messer und Gabel unserer Begriffswelt zurechtgelegt und zerlegen damit die Realität, stopfen uns voll damit. Vermeintlich.

Selbstversuch: Halten wir Messer und Gabel unserer Begriffe mal verkehrt herum, mit beherztem Griff in Messers Schneide und Gabels Spitze, und mit diesem Schmerz in der Hand lasst uns greifen nach dem Vorhandenen: Wir verschlingen’s dann nicht mehr, wir stochern nicht darin herum, schneiden’s nicht klein, nein, wir lassen’s auf Distanz, wir können’s nicht aufspießen, und spüren die Schmerzen der Begriffe, mit denen wir sonst, so selbstverständlich leicht die Realität tranchierten, an uns selbst.

Das Unbegriffliche ist das Unbegreifliche (geworden). Das ist das Problem.
Ein Verständnis von Musik, jenseits von dem, was an ihr abzählbar ist, setzt auf erkennende Teilhabe am Unbegrifflichen.

(Spätestens hier kommt dann die Entgegnung: laber, laber …)

Langsam. Diese Teilhabe ist aber nicht zu haben ohne das schmerzhafte Bewusstsein (Messers Schneide, Gabels Spitze fest in der Hand) der Unzulänglichkeit unserer Sprache, Worte, Begriffsbildungen.
(Um im Bild zu bleiben: Nur mit dem Schmerz in der Hand ist auch erst die Bemühung um das Unbegriffliche redlich.)

Der Topos von der Unübersetzbarkeit des Kunstwerks verdankt sich (so lese ich) der Romantik. Das Kunstwerk konstelliert eine Wahrheit, die durch die identitätssetzende Sprache der Begriffe nicht berührt werden kann. Heißt das, dass alle „Übersetzungsarbeit“ obsolet wäre? Müssen wir nur „blöd affirmativ glotzen“? Nein. „Übersetzung“ hat ihren Sinn, wenn sie erkennt, dass ihre Aufgabe nicht in der „Übertragung“ sondern in der Kenntlichmachung der „Unübersetzbarkeit“ liegt, in der Präparierung der Differenz, des Unterschieds, des Risses, oder welches Bild man für diesen Sachverhalt bemühen möchte.

Wo ist der Aufenthaltsraum der Musik? In der Schrift? In der Idee? In der Aufführung? Im Bewusstsein des Komponisten? Des Interpreten? Des Hörers? Des Vermittlers? Im Jetzt, im Nicht-Mehr? Im Entstehen, im Vergehen? Im Überall und Nirgends? Im Nichts?

(Manche wollen sie gesehen haben im Klassenzimmer der Analyse, andere in der Raucherecke der Genießer, wieder andere beim Hausmeister, der für die richtige Temperierung der ganzen Chose sorgt, andere beim Direktor, wo sie sich schick gemacht hat, das kleine Luder etc., etc., … wir sind alles vorlaute Petzen.)

Wir wissen nicht, wo sie ist.

Natürlich gibt es keinen Aufenthaltsraum der Musik. Und doch ist sie „irgendwo“.

Offenbar ist Musik in einem Raum, den man mit Worten nicht betreten kann, das heißt auch mit Begriffen nicht bestimmen kann, dessen Anerkennung aber konstitutiv ist für den Umschlag von Kenntnis in Erkenntnis, wenn wir von Musik reden wollen.

Der Band 48 der Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt trägt den Titel: „Sinnbildungen – Spiritualität in der Musik heute.“ Hier habe ich Wegbeschreibungen gefunden zum „Ort“ der Musik, die mir sehr einleuchten.

In seinem Beitrag: „Stille als Ereignis – zur Ortschaft des musikalischen Geschehens“ lässt Dieter Mersch das Denken nicht vom Etwas herkommen, sondern vom „Nichts“, der Stille: In der Leere „zeigt sich Sein als Ereignis, ‚Ereignung’, und rückt das Geschehnis in seiner jeweiligen Singularität in den Fokus, wovon jedes in seiner Einzigartigkeit sein eigenes, besonderes Zentrum bildet“ (S. 50).

Die herkömmliche Ordnung der Zeit sei eine Ordnung der Darstellung. (Wir konstruieren Zeit, indem wir einen Punkt auf dem Zeitstrahl eintragen und die Entfernung von einem anderen Punkt auf dem Zeitstrahl messen.) Zeit werde so in unserem Bewusstsein grundsätzlich durch etwas repräsentiert, das eben nicht Zeit ist, sondern als etwas „Bemessenes“. (Sie ist mediatisiert) Erfassbar sei aber Zeit auch „als Gabe“, sie gibt ein Ereignis. „Als indifferente Dauer bietet sie nichts als den Ort oder die Möglichkeit eines Geschehnis“ (a.a.O.). Eine Ästhetik des Ereignisses bringe nichts zum „Ausdruck“ sondern lasse „erscheinen“. Ihr eigene als Struktur die „Passibilität“, die Durchlässigkeit, eine Struktur, die „entgegennimmt, dass geschieht, nicht vorgibt, was geschieht“ (a.a.O.).

Diese Sicht biete nach Mersch „die Absehung von der Struktur des Medialen“ (weg vom Vermittelten hin „zur reinen Performanz der Ereignung“). Denn kein Medium erlaube die Darstellung von Nichts. Medien bewirkten stets nur die Transformation von Etwas, und zwar so, „dass sie die Gegebenheit von etwas voraussetzen“ (a.a.O.). Die Ästhetik des Ereignisses schärfe aber den Blick für das „Dass“ des Ereignisses und nicht so sehr für das „Was“. Und damit rücke das „Dass“ des eigenen Seins in den Fokus.

An einen ganz ähnlichen Ort gelangt im selben Heft Hans Zender mit der Frage: Spirituelle Musik – was ist das?

Spiritualität in der Kunst beziehungsweise in der Musik hat nach Zender nichts mit Gefühl, Funktion oder inhaltlichen Bezügen zu tun. Spirituelle Kunst findet sich zwar auch als sakrale Kunst, hat aber diesen Raum längst transzendiert. Ebenso wenig sei spirituelle Kunst(-Musik) gleichzusetzen mit Abstraktion.

Anstelle all dieser konventionellen Merkmale trete etwas anderes: Beim Betrachter/Hörer erwecke das sich ereignende Kunstwerk nachdrücklich das Bewusstsein der eigenen Präsenz in Raum und Zeit. Das Kunstwerk habe sich gesammelt zur ikonischen Präsenz und erzeuge im Rezipienten eine analoge Sammlung zu eigener Gegenwärtigkeit, und das ohne die Verwendung von selbstbezüglichen bildnerischen Formen oder von hinweisenden beziehungsweise erklärenden Symbolen.

Das Kunstwerk werde zum Ereignis. Und dieser Bereich der reinen Präsenz sei ein von jeder Sakralität, Konfession oder Symbolik unabhängiger Bereich.

„Musik erzeugt die Gegenwärtigkeit von Zeit, ihre Dauer – das heißt das Bewusstsein von Zeit in ihrer Präsenz“ (S. 32). Diesen Raum der „Präsenz“ sieht Zender als den Raum der „Genese unseres Bewusstseins“. In der Zen-Mediation ist es der Raum des „Denkens des Nichtdenkens“. Nach Zender sind alle Künste, Riten und Religionen „Übungswege, um dieses geistige Zentrum des Menschen zu entwickeln und in Funktion zu halten“ (a.a.O.).

„Einen Zugang zur Ebene der Spiritualität zu finden, bleibt für den heutigen Künstler die schwierigste aller Aufgaben und verlangt von ihm einen Bruch mit allen „bürgerlichen“ Vorstellungen von Kunst“ (a.a.O.).

Zender meint damit die Vorstellung vom Kunstwerk als objekthaftem Gebilde, als Selbstdarstellung des Künstlers, als Gefühls- und Trostspender, wie auch die Lossagung vom Kunstwerk als Erkenntniszusammenhang, der Abschied vom Kunstwerk als Ware, als Kommunikations- und Propagandamittel.

In der vollkommenen Zweckfreiheit der Kunst, die auf die reine Präsenz ziele und aus der reinen Präsenz komme, sieht Zender ein Erbe der europäischen Mystik. Sie habe nicht nur den Grund des neuzeitlichen Subjektivismus gelegt, „sondern auch die Keime, diesen zu übersteigen“. (…) „Die Überwindung des Subjektivismus ist eines der Hauptthemen der modernen Kunst, wenn nicht ihr Zentralanliegen“. Für Zender ereigne sich hier der „Treffpunkt von Moderne und Mystik“. Es gehe hier um eine ganz bestimmte Erfahrung von Fort-Schritt: vom Subjektivismus fort zu schreiten in einen transsubjektiven Bereich, „in dem ratio, empfindendes Temperament und individueller Geschmack nicht mehr die alleinigen Träger geistiger Prozesse sind“.

Können wir jetzt weiter reden? Verstehst Du, was ich meine?
Ehrlich gesagt, …?

Ich meine, es gibt neue (alte) Wege zum Ort der Musik. Auf diesen können wir die Musik „aufsuchen“, ohne sie zu einem „Möbel“ in unserem angestrengten individuellen Ausstattungstheater zu machen. (Und ohne nach der Übersetzung zu fragen, was sie denn als dieses Möbelstück zu bedeuten habe.) Alle diese Wege heißen: Es gibt keinen Weg. Es gibt nur die Gegenwart. Nur die Gegenwart meines wahrnehmenden Bewusstseins. Und die zu spüren wäre schon viel in einer Welt „des permanenten Boulevards“, in der auch die Kritik schon längst nicht mehr Distanz wahrt, sondern „Agentur zur Bestätigung der landläufigen Geschmackspräferenzen“ geworden ist (Thomas Steinfeld in der SZ an Weihnachten).

„Alles muss durch den Flaschenhals der Quote!“ – so sein Befund. Na denn Prost!

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