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Wort und Ton geschwisterlich vereint: Siegfried Palm in seinem Studierzimmer in Frechen. Foto: Charlotte Oswald
Wort und Ton geschwisterlich vereint: Siegfried Palm in seinem Studierzimmer in Frechen. Foto: Charlotte Oswald
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Das komponierende Cello unter Anleitung des Herrn Palm

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Für Siegfried Palm schrieb B.A. Zimmermann seine wegweisende Solosonate für Violoncello · Zum Tod des großen Musikers
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Siegfried Palm ist tot. Das ist eine jener Nachrichten, die einen mehr als einen schmerzhaften Augenblick innehalten lassen. Der neuen musikzeitung war Siegfried Palm über viele Jahrzehnte als redaktioneller Berater und Freund verbunden. Die sehr persönliche Hommage an den Cellisten auf dieser Seite schrieb Palms Weggefährte seit frühesten Tagen, Klaus Bernbacher.

Die Geschichte der Neuen Musik schrieben und schreiben nicht nur die Komponisten. Als Mitschöpfer erscheinen zugleich die Namen der Interpreten, mit denen sich eine Werkgeschichte verbindet. Mit der traditionellen „Widmung“ einer Komposition hat das nichts mehr gemein. Vielmehr inspirierten die technischen Fähigkeiten eines Instrumentalisten die Komponisten überhaupt erst zu bis dahin „unerhörten“ Klangerfindungen, deren Umsetzung in die klangliche Realität dann dem jeweiligen Interpreten vorbehalten blieb. In diesem Sinne haben, um nur einige Namen zu nennen, die Pianisten Alfons und Aloys Kontarsky, die Oboisten Lothar Faber und Heinz Holliger, der Flötist Severino Gazzelloni oder die Sängerin Cathy Berberian schöpferisch gewirkt. Und natürlich der Cellist Siegfried Palm. Die Liste der Uraufführungen, die sich mit seinem Namen verbinden, ist unendlich lang, und die Namen der Komponisten lesen sich wie ein Gotha der Neuen Musik: György Ligeti, Winfried Zillig, Boris Blacher, Rolf Liebermann, Morton Feldman, Milko Kelemen, Wolfgang Rihm, York Höller, Dimitri Terzakis, Tilo Medek, Wolfgang Fortner, Giuseppe Sinopoli, Mauricio Kagel, Cristobal Halffter, Isang Yun und Bernd Alois Zimmermann. Mit B.A. Zimmermann verband Palm eine tiefe Freundschaft, die etwas scheinheilig von Seiten des Komponisten begann. Dieser zeigte ihm die Partitur für das Cello-Konzert „Canto di speranza“ und verschwieg dabei heimtückisch, dass schon mehrere bekannte Cellisten, darunter Palms Lehrer Enrico Mainardi, das Werk wegen Unspielbarkeit abgelehnt hatten. Die Uraufführung des „Canto“ unter Ernest Bour gelang dann 1958 „respektabel“, wie Palm selbst sagte. Zu einem zentralen Ereignis in der Geschichte der Neuen Musik überhaupt wurde B.A. Zimmermanns für Siegfried Palm komponierte Solosonate für Violoncello.

Mit dem 1959/60 geschriebenen Werk nahm Zimmermann kompositorische Erfindungen vorweg, von denen die Neue Musik noch zwei Jahrzehnte zehrte. Siegfried Palm hat das ihm dedizierte Werk im Laufe der Zeit weit über zweihundertmal gespielt, und was damals als äußerst schwierig galt, das wird von der heutigen Musikergeneration oft als Pflichtstück verlangt und, wie es sich für den Fortschritt ziemt, entsprechend souverän gemeistert. Das große Vorbild Siegfried Palm spornt unverändert an. Kurz vor seinem Tod ist noch ein Buch von und mit Siegfried Palm im ConBrio Verlag, Regensburg, erschienen (Rezension, Seite 45). Der Titel „Capriccio für Siegfried Palm“ klingt fast altmodisch locker, so irgendwie nach Paganini. Es ist ein Gesprächsporträt entstanden, von Michael Schmidt arrangiert, das „Siggi“ Palm von einer weiteren Seite zeigt: als lockeren Plauderer und Geschichtenerzähler aus jungen und älteren Tagen. Der erste Lebensabschnitt verlief dabei eher „normal“: Jugendzeit in Wuppertal, wo der Vater Cellist im Wuppertaler Opernorchester und zugleich Palms erster Lehrer war. Manchmal durfte der junge Palm als Aushilfe sogar im Orchester mitspielen. Mit sechzehn erhielt er seinen ersten Vertrag.

Palms Opernbegeisterung stammt aus diesen frühen Tagen, sie verleitete ihn später zum bekannten Berliner Intendanten-Abenteuer an der Deutschen Oper, bei dem er immerhin Kagels „Aus Deutschland“ durchsetzte. Entscheidend für Siegfried Palms Lebensweg wurde nach dem Krieg die lange Mitgliedschaft als Solocellist im Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks unter Hans Schmidt-Isserstedt. Der Konzertmeister des NDR-Sinfonieorchesters Bernhard Hamann nahm Palm in sein Streichquartett auf. In dieser Hamburger Zeit entstanden bei Palm das Interesse und die Begeisterung für die Neue Musik.

Von diesen Zeiten schwärmen auch ältere Musica-Nova-Freunde heute noch. Palm fielen zuletzt dazu nur noch eher melancholische Kommentare ein, wenn er auf die musikalische Gegenwart gerade in dieser Stadt blickte. Im übrigen war der am 25. April 1927 in Barmen geborene Siegfried Palm bis zuletzt, ehe ihn gesundheitliche Schwierigkeiten bedrängten, ein vitaler Aktivist und ein bei aller Skepsis humorvoller Optimist. Für die Belange der Musik setzte er sich nicht nur als Cellospieler ein, er war zugleich eine wichtige Persönlichkeit des musikpolitischen Lebens in der Bundesrepublik: als Leiter der Musikhochschule Köln, als Präsident verschiedener großer Musikverbände, darunter der Internationalen Gesellschaft der Neuen Musik IGNM, als langjähriger Präsident des Deutsch-Französischen Kulturrates, zu dessen Ehrenpräsident er nach seiner aktiven Zeit ernannt wurde. Siegfried Palm hat sich über seine solistische Karriere hinaus stets für die gesellschaftlichen Belange der Musik verantwortlich gefühlt. Dazu gehörte auch der unermüdliche Einsatz für die jungen Musiker. Ihnen hat Siegfried Palm bis zuletzt auf internationalen Kursen sein reiches Wissen und seine Erfahrungen weitergegeben. Wer mit seinen Schülern über ihren Lehrer spricht, vernimmt nur Worte der Hochachtung, Zuneigung und Bewunderung. Einer dieser Palm-Schüler übrigens heißt Georg Faust und brachte es bis zum Ersten Solocellisten bei den Berliner Philharmonikern.

Siegfried Palm starb im Alter von achtundsiebzig Jahren in seinem Haus in Frechen. Nehmt alles in allem, so würde es Shakespeare am Ende gesagt haben, Siegfried Palm war ein großer Künstler und ein großer Mensch.

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