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Ohne multimediales Crossover – „WortKlangRaum“. Foto: David F. Kremser
Ohne multimediales Crossover – „WortKlangRaum“. Foto: David F. Kremser
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Dialograum der Künste

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Michael Denhoff und die Bonner Reihe „WortKlangRaum“
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Neue Musik ist längst multi-, trans- und intermedial. Spätestens seit den 1960er-Jahren wurde sie auch literarisch, theatralisch, skulptural und graphisch, was Theodor W. Adorno als „Verfransung der Künste“ beschrieb. Und der Computer verknüpft Klang selbstverständlich mit Video, Licht, Sprache, Bewegung et cetera. Gemäß der bürgerlichen Spartentrennungen des 19. Jahrhunderts finden die Künste jedoch bis heute weiterhin fein säuberlich getrennt voneinander statt: Musik im Konzert, Kunst im Museum, Theater im Theater, Literatur im Buch. Nur selten bringen Veranstalter zwei oder mehr Künste zusammen. Zu diesen wenigen gehört Michael Denhoff. Dem Komponisten, Maler, Dichter und homme de lettre ist interdisziplinäres und spartenübergreifendes Denken tägliche Schaffens- und Lebenswirklichkeit.

In der von ihm 2009 gegründeten und seitdem kuratierten Reihe „WortKlangRaum“ bringt Denhoff Neue Musik mit zeitgenössischer Dichtung und bildender Kunst zusammen. Ohne multimediales Crossover darf hier jede Kunstform sie selbst sein, um sich im eigenen Medium mit ihrem spezifischen Material zu entfalten. Dennoch stiftet der Wechsel von Solo- und Kammermusikwerken mit von Schauspielern rezitierten Texten im Anblick von Malerei oder Plastik mehr ästhetischen Dialog als manch technoid aufgeplustertes Gesamtkunstwerk. Veranstalter der einzigen kontinuierlichen Bonner Reihe für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts sind das Katholische Bildungswerk Bonn und der Verein „Dialograum Kreuzung an St. Helena für zeitgenössische Kunst und christlichen Kult“.

Die ehemalige Pfarrkirche St. Helena in der Bonner Nordstadt bietet dafür den geeigneten Raum: ein ausgeräumter Backsteinkubus, mit guter Akustik, Holzboden, flexibler Bestuhlung und kleiner erhöhter Bühne des ehemaligen Altarraums. Jeden ersten Mittwoch im Monat – Winter- und Sommerpause ausgenommen – finden jährlich insgesamt acht Konzerte unter jeweils anderer Themenstellung statt. Üblicherweise von etwa fünfzig bis sechzig Personen besucht – bei freiem Eintritt und möglichst spendablem Ausgang –, kamen nun zur 50. Ausgabe dreimal so viele Besucher. Unter dem österlichen Motto „ewig“ erlebten sie das Dresdner Stahlquartett mit dessen selbstgebauten Stahlharfen, bei denen auf Eisenschienen montierte und verschieden gestimmte Stahlstifte mit Bögen gestrichen werden. Drei Originalkompositionen von Ensemblemitgliedern entlockten den sperrigen Ungetümen wunderbar weich schwebende Sphärenklänge wie von Glasharfen. Den Abschluss bildete als Uraufführung Michael Denhoffs Adaption seines „Chorals für Charles Ives“ für Stahlquartett und Campanula. Der Instrumentenneubau mit Resonanzsaiten ist dem Cello und der Gambe verwandt und seiner Form wegen nach der Glockenblume benannt. Vom Komponisten selbst gespielt setzten dessen silberhelle Flageoletts dem sakralen Gesamtklang einen lichten Heiligenschein auf.

Den verbalen Kontrapunkt bildeten diesmal Rezitationen des Schauspielers Bernt Hahn mit Texten von Paul Celan, Hans Küng und Auszügen aus der altägyptischen Totenliturgie. Vernehmen ließ sich alles vor dem 6 mal 10 Meter großen Fastentuch von Andreas Reichel, das der Bonner Künstler eigens für St. Helena während der Karwoche gefertigt hatte. Neben Tusche und Acryl verwendete er dazu die in der Passionsgeschichte erwähnten Flüssigkeiten Blut, Gallensaft und Essig. Die allerersten Themen von „WortKlangRaum“ lauteten 2009 „überkreuz“, „ohnemacht“, „sinnlich“, „außersich“, „still leben“ und „voll endet“. Die Affinität zu religiösen Fragen durchzog auch spätere Programme mit klaren Kontrastbildungen, die den Dialog der Künste zum Zwiegespräch der Veranstaltungen weiteten: „fremd“–„vertraut“, „immer“–„endlich“, „miteinander“–„einsam“, „nah“–„fern“. Fast zeitgleich zum Jubiläum der Veranstaltungsreihe feierte Michael Denhoff seinen 60. Geburtstag. Die nächs­ten Programme „heftig“ und „ruhig“, „ohne“ und „mit“ stehen bereits fest, hoffentlich bis zur 100. Edition von und „mit“ Michael Denhoff.

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