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Christoph Lieben-Seutter. Foto: Thomas Hamel
Christoph Lieben-Seutter. Foto: Thomas Hamel
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„Ein solcher Saal ist immer eine Kompromisslösung“

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Im Gespräch mit Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant von Elbphilharmonie und Laieszhalle in Hamburg
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Durch den Bau der Elbphilharmonie auf dem Kaispeicher in der Hamburger Hafencity soll die Hansestadt zusätzlich zur bestehenden Laieszhalle einen der besten Konzertsäle der Welt und ein neues Wahrzeichen erhalten. Das derzeit nach Entwürfen der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron entstehende Konzerthaus sollte zunächst im Herbst 2010 eröffnet werden, Verzögerungen im Bau führten im Sommer zu einer Verschiebung um eine Spielzeit, der kürzlich vorgelegte Zeitplan sieht nun eine Fertigstellung im November 2011 und den Spielzeitbeginn im Mai 2012 vor. Die ursprünglich veranschlagten Kosten von 241,3 Millionen Euro werden um bis zu 209 Millionen überschritten. Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant von Elbphilharmonie und Laieszhalle, kann aufgrund der bestehenden Planungsunsicherheiten noch keine Verträge mit Künstlern abschließen. Mit dem vom Wiener Konzerthaus nach Hamburg gewechselten Kulturmanager sprach Peter Krause über Programmschwerpunkte, Musikvermittlung, die notwendige Erhöhung des Kulturetats und Erfahrungen mit vergleichbaren Projekten.

neue musikzeitung: Die Diskussion um die Elbphilharmonie verbinden Politiker mit dem Ziel, Hamburg müsse zur Musikstadt werden. Wie definieren Sie den Begriff?
Christoph Lieben-Seutter: Ich halte die Diskussion um die Musikstadt für nicht zielführend. Hamburg hat ein wunderbares, reichhaltiges Konzertleben, das nur noch nicht wirklich eine Anreise von weit her wert ist. In Wien, München, London oder Paris planen Besucher auch anhand des musikalischen Angebots, wann sie dorthin fahren. Auffallend ist zudem, dass hier die Klassik auch gesellschaftlich nicht ganz so verankert ist wie andernorts. Sie würden sich wundern, wie oft ich auch Opinionleadern den Unterschied zwischen Oper und Konzerthaus erklären muss.

nmz: Wo stehen denn die drei Hamburger Symphonieorchester aktuell?
Lieben-Seutter: Es gibt drei Orchester mit großem Potenzial. Der NDR verfügt über eines der deutschen Toporchester, die Philharmoniker sind ein exzellentes Opernorchester, das nicht genügend Mittel hat, um sich als Konzertorchester über die Stadt hinaus nachhaltig positionieren zu können, die Symphoniker sind eher eine Regionalgröße, allerdings mit einem sehr engagierten Intendanten, der wichtige Aufbauarbeit leistet und dem mit dem Engagement des neuen Chefdirigenten Jeffrey Tate ein Coup gelungen ist.

nmz: Welche Benchmarks setzen Sie für die werdende Musikstadt?
Lieben-Seutter: Bleiben wir mal in Deutschland: Da würde ich München und Köln nennen. München ist von der Einwohnerzahl her vergleichbar, Köln ist viel kleiner, hat aber durch den Bau der dortigen Philharmonie eine ähnliche Entwicklungsgeschichte, durch die sich die Zahl derer, die sich für die Klassik interessieren, signifikant erhöht hat, und die der Musik eine ganz neue Akzeptanz in der Stadt beschert hat.

nmz: Gibt es neben Köln das Beispiel einer Stadt, die durch politische Zielvorgaben in kurzer Zeit in die Spitzenliga aufgestiegen ist? Und was müsste Hamburg dazu tun?
Lieben-Seutter: Wenn eine Stadt einen tollen Forschungsstandort entwickeln möchte, investiert sie nachhaltig in diesen Bereich. Dann kommen gute Wissenschaftler und bleiben auch, wenn das Arbeitumfeld stimmt. Genau dies ist auch in der Musik möglich. Die Entstehung der Philharmonie in Luxemburg wäre ein Beispiel, das ich genau verfolgt habe. Einwohnermäßig ist die Stadt winzig, man sprach davon, die Macher seien größenwahnsinnig. Dort ist indes ein Bedarf geweckt worden durch das extrem erweiterte Angebot.

nmz: Die Elbphilharmonie wird von einem Hotel und Apartments umgeben sein. Bedeutende Konzerthäuser beherbergen auch Bibliotheken, Hochschulen und Institute für Neue Musik, sind in einen kulturellen Humus eingebettet. Außer dem Klingenden Museum wird es in Hamburg kaum solchen Humus geben. Geht das?
Lieben-Seutter: Der Humus hilft natürlich, ich glaube aber nicht, dass die räumliche Nähe zu den genannten Einrichtungen so einen entscheidenden Vorteil bringt. Der typische Klassik-Konzertbesucher kommt ja aus der bürgerlichen Mittelschicht. Diese Menschen leben in Hamburg eher stadtteilorientiert, scheuen mitunter den Weg in die fernen Musiktempel. Das Musikangebot ist zudem recht kleinteilig strukturiert, es gibt keine Anbieter, die die ganze Bandbreite abdecken.

Jahrmarkt der Eitelkeiten

nmz: Für einen runden Tisch aller Mitspieler dieser Musikszene, der öffentlichen wie der privaten, gibt es nach Ihren Worten „noch zu große Empfindlichkeiten“. Ab wann reden denn mal alle miteinander?
Lieben-Seutter: Wir reden natürlich laufend miteinander, aber von manchen wird hier die irrige Erwartungshaltung geschürt, dass der Elbphilharmonie-Intendant die Musikszene neu zu ordnen hat. Das heizt halt den Jahrmarkt der Eitelkeiten an und führt zu durchaus nachvollziehbaren Reaktionen mancher alteingesessener Player. Der große runde Tisch ist somit eher ein Politikum, nach dem vor allem diejenigen schreien, die um ihre bisherige Monopolstellung fürchten und eine Schutzklausel durchsetzen wollen. Dabei sollte es nicht darum gehen, wie der Kuchen aufgeteilt wird, sondern darum, wie wir einen größeren Kuchen gebacken kriegen.

nmz: Nun bieten Sie aber in der Laieszhalle Programme an, etwa mit den „Nordic Concerts“, die in Besetzung wie Stückwahl als bewusster Gegenpol zu den privaten Klassikveranstaltern erkennbar sind.
Lieben-Seutter: Die „Nordic Concerts“ sind nicht als programmatische Ansage gedacht, sondern einfach eine gute Möglichkeit, schon im Vorfeld der Elbphilharmonie kostendeckend, weil sponsorenfinanziert, erstklassige Orchesterkonzerte anzubieten, die sich das Publikum auch leisten kann. Denn bei Gastorchestern ist das Preisniveau hier so hoch, dass an Publikumsnachwuchs nicht zu denken ist. Für die Academy of St.-Martin-in-the-Fields kosten die guten Plätze in der Laeiszhalle beispielsweise 150 Euro, wobei auch schlechtere Plätze mit Sicht auf die Bühne nicht unter 90 Euro zu haben sind. Das ist klar am Markt vorbeigeschossen, wie man ja auch an der Auslastung erkennen kann.

nmz: Gibt es mit der Kulturbehörde so etwas wie Zielvereinbarungen über die Auslastungszahlen der Elbphilharmonie?
Lieben-Seutter: Es gibt keine Zielvorgabe, aber eine von uns erstellte Beispiel-Spielzeit mit prognostizierten Aufwendungen und Einnahmen. Diese basiert auf einer durchschnittlichen Auslastung von etwa 80 Prozent. Die Zielvorgabe lautet, ein internationales Konzerthaus hinzustellen und dann auf hohem Niveau mit vielseitigem Programm zu betreiben und möglichst vielen Leuten zugänglich zu machen.

nmz: Das heißt, Sie müssen nicht mit dem Vorwurf rechnen, der Ihrem Kollegen in Essen gemacht wurde, sein Programm sei zu ambitioniert? Die Auslastung zu gering?
Lieben-Seutter: Am Ende des Tages weiß man, was unter dem Strich steht. Uns werden öffentliche Mittel in Aussicht gestellt, mit denen wir auskommen sollen. Niemand wird aber erwarten, dass man in der ersten Spielzeit eines neuen Konzerthauses sofort die perfekte Programmmischung mit absoluter Auslastung hinkriegt. Man spricht ja von einem „eingeschwungenen Zustand“: Am Anfang ist der Hype, alle wollen das neue Haus sehen. Wenn dann jeder einmal in der Elbphilharmonie war, geht die Auslastung auf natürliche Weise wieder zurück. Nach drei Jahren sollte es sich aber eingeschwungen haben, dann müssen Angebot und Nachfrage aufeinander abgestimmt sein.

nmz: Als Erfolgsmodell haben Sie die 1986 eröffnete Kölner Philharmonie genannt. Eine neue Konzerthalle allerdings in Zeiten, in denen die bestehende Musikhalle keineswegs Zuwächse zu verzeichnen hat, zu bauen – ist das Kulturpolitik auf der Höhe der Zeit?
Lieben-Seutter: Die Laeiszhalle ist zwar selten ausverkauft, aber terminlich überbucht, kann also den Bedarf seitens der Veranstalter nicht decken, von denen die meisten übrigens zurzeit auch steigende Auslastungszahlen feststellen. Der Freizeitsektor und die Kultur insgesamt sind ein boomender Markt, allerdings hat die Klassik strukturelle Probleme. Man muss also in Publikumsgewinnung und -bindung investieren. In der Hochkultur gibt es aber immer noch diese Scheu vor professionellem Marketing. Solche Berührungsängste sind natürlich Unsinn. Das Potenzial für neues Publikum sehen wir jedenfalls sehr stark, neben dem erweiterten und gut vermittelten Konzertangebot wird auch die architektonische Attraktion der Elbphilharmonie das ihre dazu beitragen. Hinterfragen könnte man, ob es nicht richtiger wäre, einen multifunktionalen Konzertsaal zu bauen, etwa im Hinblick auf elektronisch verstärkte Konzerte. Ein solcher Saal ist allerdings immer eine Kompromisslösung. Wir wollen hier ausdrücklich einen absoluten Spitzensaal für große Orchester und akustische Musik bauen.

nmz: Fehlt Hamburg nicht ein Opernhaus des 21. Jahrhunderts, das dann auch für große Konzerte taugt?
Lieben-Seutter: Vielleicht nicht ein Fulltime-Opernhaus, aber ein multifunktionaler, konfigurierbarer Saal mit Theaterausstattung und Orchestergraben für Oper, Tanz, Performance und Konzert wäre fein. Auf dem Kaispeicher in der Hafencity allerdings noch schwieriger zu realisieren als der reine Konzertsaal.

nmz: Wenn Essens Philharmonie-Intendant Michael Kaufmann denn an den Menschen der Stadt vorbei programmiert hat, wo würden Sie Ihre programmatische Leitlinie verorten – im Spannungsfeld zwischen Zukunftsmusik und Gefälligkeit?
Lieben-Seutter: Ich sehe mich nicht als Künstler, der ein Kunstwerk namens Konzertprogramm schafft und dieses verteidigen muss, sondern als Mittler zwischen Künstlern und Publikum. Meine persönliche Freude ist natürlich auch jene der Künstler, also Schätze zu heben, von denen die meisten Menschen noch gar nichts ahnen: Entdeckungen zu machen, Verbindungen aufzuzeigen und Überraschungen zu präsentieren. Trotzdem muss man das Publikum dort abholen, wo es sich befindet. Wir werden also versuchen, die Menschen mit verlockenden Programmen und hoher Qualität an Bord zu holen, um ihnen dieses Gefühl zu geben: „Bei uns bist Du richtig.“ Wenn uns das Publikum dann vertraut, dann kann man es auf eine Reise mitnehmen, auf der es auch unbekanntes Terrain erkunden kann. Ein „Friss oder stirb“-Programm wird es bei uns aber nicht geben. Auch keine Feigenblatt-Avantgarde. Ich halte sehr viel von intelligenten Mittelwegen.

nmz: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Weltmusik? Und wie würden Sie die definieren?
Lieben-Seutter: Weltmusik ist für mich per Ausschlussprinzip alles, was nicht westlich orientierte Klassik, Pop oder Jazz ist. Darunter fallen dann so unterschiedliche Dinge wie tibetische Mönchsgesänge und malinesischer Blues oder auch die klassische indische Musik. Ich sehe da durchaus die Gefahr der exotischen Beliebigkeit, andererseits gibt es ja wirklich noch so viel wunderbare Musik rund um den Globus zu entdecken. Gut ausgewählt scheint so ein Angebot eine fruchtbare Repertoireerweiterung für Klassikhörer zu sein, das „Weltmusik“-Publikum bringt wiederum eine Sensibilität und Neugier mit, die den Einstieg in die Klassik erleichtert.

„Education für Erwachsene klingt nach Volkshochschule“

nmz: Bleiben wir bei der Gewinnung neuen Publikums. Wie wollen Sie die 40-jährigen erreichen, die zwar zu Paul Potts pilgern, aber das klassische Klassik-Angebot meiden? Sprechen wir von „Education“-Programmen für Erwachsene.
Lieben-Seutter: Wir wollen musikaffine Menschen ansprechen, für die der Weg zur Klassik gar nicht so weit ist. Wer sich für gute Popmusik begeistert, ändert mit der Zeit ja auch seine Hörgewohnheiten und will mit 40 beim Konzertbesuch vielleicht nicht mehr unbedingt wie ein Teenager behandelt werden. In der zeitgenössischen Klassik gibt es auch Schnittmengen zur improvisierten Musik, zur Elektronik, zum Jazz. Auch in der Popszene beschäftigen sich Menschen mit durchaus so komplexen Inhalten wie in der Neuen Musik. Hier müssen wir Brücken bauen und zeigen, dass ein Konzert mit Musik von Lachenmann gar keine fremde Rezeptionshaltung fordert. „Education für Erwachsene“ klingt so nach Volkshochschule. Optimalerweise wird Musik so präsentiert, dass die „Gebrauchsanweisung“ automatisch mitkommt – ein bisschen mehr Kommunikation zwischen Bühne und Saal tut da manchmal schon Wunder. Was Paul Potts betrifft, so wollen wir mit Outreach-Programmen auch in klassikferne Stadtteile gehen: Die Musik kommt zu den Menschen, holt sie ab, auch aus den so genannten bildungsferneren Schichten. Ob wir damit nun besonders viele Freunde der Kommerz-Klassik oder die Hörer von Klassik Radio bekehren, werden wir sehen. Klassik bleibt ein Minderheitenprogramm und eher die Musik für die zweite Lebenshälfte.

nmz: Wie beurteilen Sie die Höhe des Hamburger Kulturetats für Musik? Sind die Ausgaben adäquat für eine Musikstadt?
Lieben-Seutter: Hamburg ist ja die Hochburg des Privatengagements und Mäzenatentums, da ist die öffentliche Hand von jeher zurückhaltend. Ich halte es aber gleichwohl für notwendig, dass jetzt substanziell nicht nur in die Klassik, sondern in die Kultur insgesamt investiert wird.

nmz: Mit dem Ziel einer Verdoppelung des Kulturetats?
Lieben-Seutter: Unbedingt. Es kann nicht sein, dass nicht einmal der Ausgleich der Tarifsteigerungen bei den Personalkosten für die Theater aufgefangen wird. Ein Signal in die falsche Richtung.

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