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„SpiegelArt“: Studierende der Hochschule Osnabrück improvisieren eine Performance. Foto: Katrin Rohlfs
„SpiegelArt“: Studierende der Hochschule Osnabrück improvisieren eine Performance. Foto: Katrin Rohlfs
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Improvisation als gemeinsame Vision

Untertitel
Symposium der Arbeitskreise Elementare Musikpädagogik und Musik- und Bewegungserziehung/Rhythmik in Ochsenhausen
Publikationsdatum
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Wie eigentlich entsteht Qualität in der Improvisation? Was macht eine gelungene Improvisation aus? Was haben Interaktion und Improvisation miteinander zu tun? Kann Improvisation gelernt und gelehrt werden, und wenn ja, wie? Welchen Stellenwert haben Denken und Fühlen in der Improvisation? Wie stehen sich Interpretation und Improvisation gegenüber? Welche Settings begünstigen authentisches Verhalten beim Improvisieren?

Auf diese und ähnliche Fragen versuchten über 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposions „ImproVISatION“ im Rahmen eines sogenannten „World-Cafés“ Antworten zu finden. Vielfältige Eindrücke aus zahlreichen improvisierten Performances sowie eigene Erfahrungen im Improvisieren mit Musik und Bewegung hatten sie in den zwei Tagen zuvor sammeln können. Zur Auseinandersetzung mit dem Thema Improvisation hatten die Arbeitskreise Elementare Musikpädagogik (AEMP) und Musik und Bewegung/Rhythmik (AMBR) in Zusammenarbeit mit der Landesakademie Ochsenhausen vom 20. bis 22. April 2012 eingeladen. So versammelten sich in den ehrwürdigen Gemäuern des ehemaligen Klosters nicht nur über 40 Lehrende aus den entsprechenden Fachbereichen und Studiengängen an deutschen Musikhochschulen und anderen Ausbildungsinstituten in Begleitung von zahlreichen Studierenden, sondern auch etwa 150 hochschulexterne Interessentinnen und Interessenten.

Ein Meilenstein für beide Disziplinen

Dieses Symposion stellt einen Meilenstein in der Geschichte der Musik- und Bewegungserziehung dar. Seit jeher waren Elementare Musikpädagogik und Rhythmik nicht nur inhaltlich voneinander getrennte Fachbereiche und boten an den Hochschulen unterschiedliche Studiengänge an, sondern es gab sogar vielfältige Divergenzen und Abgrenzungen, die besonders in der aktuell älteren Generation auch heute noch zu spüren sind. Nicht so bei den Newcomern: Für heutige Studienbewerber und Studierende ist der Unterschied in den Studiengängen zunächst kaum mehr zu erkennen. Die Elementare Musikpädagogik hat sich der Rhythmik durch den Ausbau des Bewegungsanteils angenähert, ihre pädagogischen Referenzen auf alle Zielgruppen ausgeweitet und zunehmend einen Schwerpunkt auf die künstlerische Ausbildung ihrer Studierenden gelegt. Die zielgerichtete und vielfältige Forschung der Elementaren Musikpädagogik bietet hingegen auch der Rhythmik neue Anknüpfungspunkte.

Nach einem ersten Kontakt der Arbeitskreise vor vier Jahren ist die Vision entstanden, sich aufeinander zuzubewegen und sich durch ein gemeinsames Symposion mit einem beide Bereiche verbindenden Thema besser kennenzulernen. Das Thema Improvisation bot neben der zentralen Bedeutung in den verschiedenen musikpädagogischen Kontexten allen Beteiligten Identifikations- und Anknüpfungsmöglichkeiten. 

Neben dieser historisch begründeten Vision haben die Initiatorinnen und Initiatoren des Symposions auch inhaltliche Visionen verfolgt: Dass Elementare Musikpädagogik und Rhythmik seit jeher viel mit Improvisation in Musik und Bewegung zu tun haben, ist eigentlich allgemein bekannt. Ein so naheliegendes Thema zum Leitmotiv dieses großen Forums zu machen, mag demnach verwundern. Werner Beidinger (Universität Potsdam und Sprecher des Arbeitskreises AEMP) wünscht sich eine stärkere Fokussierung auf die Möglichkeiten improvisatorischer Prozesse im Rahmen der Studiengänge. Zugunsten einer Produkt- und Kompetenzorientierung kämen sie häufig zu kurz.

Dem aktuellen Forschungsstand bezüglich der Improvisation in der Musik- und Bewegungserziehung, auf den Klaus Weigele, der Leiter der Landesakademie Ochsenhausen, zu Beginn hinwies, wurde auf dem Symposion vorwiegend praktisch begegnet. Von unterschiedlichen Seiten wurde das Thema beleuchtet, betrachtet und diskutiert. 14 Gruppen von Studierenden aus 14 Hochschulen haben schon am ersten Abend gezeigt: Zur Aufgabe, maximal 7 Minuten Improvisation auf die Bühne zu bringen, gab es 14 verschiedene Lösungsmodelle. Welche Medien, welche Spielregeln, wie viel Choreographie, wie viel Spontanität? Diese Performances haben bereits viele Diskussionsanlässe verursacht: Misst sich eine gelungene Improvisation an den Maßstäben einer komponierten oder choreographierten Gestaltung? Wie kann man „Improvisation üben“?

Noch mehr unterschiedliche Ansätze zeigten die über 30 Workshops schon allein durch ihre vielfältigen Themenstellungen. Einladende und motivierende Titel machten die Auswahl schwer. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich zwischen Improvisation mit verschiedenen Medien entscheiden, etwa mit Lauten und Silben, Tanz, Bewegung, am Klavier, mit Stimme und Sprache, am Xylophon, mit Körperpercussion oder in szenischer Gestaltung. Fokussiert wurden Möglichkeiten der Improvisation mit unterschiedlichen Zielgruppen, beispielsweise mit Kindergartenkindern, in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung oder beim Klassenmusizieren. Auch wurde Improvisation in unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Kontexten wie Konzertpädagogik und Musiktherapie vorgestellt. Im Zusammenhang mit Neuer Musik oder populärer Musik konnten innovative Ansätze erprobt werden. In manchen Workshops standen fachliche und didaktische Fragen im Mittelpunkt: Gibt es einen Widerspruch zwischen Leitungsrolle und Improvisationsprozess? Welche Bedeutung hat die Wahrnehmung in der Improvisation?

Zwischen Vorgabe und Freiheit

Je nach persönlicher Auswahl konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe des Wochenendes Erfahrungen in der Improvisation als Kunstform sammeln oder vertiefen. Dabei wurde deutlich, dass die Improvisation zum einen eine spezielle künstlerische Disziplin ist, andererseits aber auch Mittel zum Zweck sein kann, etwa indem durch improvisatorische Aufgabenstellungen in der Bewegung eine Sammlung von Inhalten für spätere Choreographien entsteht. Ebenso kann Improvisation eine befreiende Wirkung für die Musizierenden erzielen oder in sozialen Prozessen die Interaktion der Teilnehmenden verstärken. Auch in Bezug auf das Verhältnis von Vorgabe und Freiheit waren unterschiedlichste Rahmenbedingungen zu finden. Engere und weitere Aufgabenstellungen, mehr oder weniger Vorgaben ließen die Teilnehmenden vielfältige Möglichkeiten im methodischen Umgang mit Improvisation erfahren. Reflektierende Fragen und Gedanken im Zusammenhang mit der Praxis kamen leider in der begrenzten Zeit häufig zu kurz. Sie hätten geholfen, die praktischen Inhalte noch mehr mit den Fragestellungen des World-Cafés zu verknüpfen.

Einen Höhepunkt gab es am zweiten Abend zu sehen: Der Schweizer Geiger Paul Giger, freischaffender Künstler und Komponist, ließ sich auf eine spannende – eben improvisierte – Situation ein. Tamara McCall, Ann-Barbara Steinmeyer und Marno Schulze als Tänzerinnen und Tänzer traten dem Geiger spontan und ungeprobt auf der Bühne gegenüber. 30 Minuten Performance mit sensibler Interaktion zwischen Musik und Bewegung amüsierten und begeisterten die Zuschauer.

Beim abschließenden Plenum war nicht nur die Atmosphäre deutlich gelöster als zu Beginn: Eine kollektive Improvisation mit 300 Beteiligten sorgte für Heiterkeit und die Gewissheit, dass zweieinhalb Tage sicher Veränderungen hervorgerufen haben. Dorothea Weise, (Universität der Künste Berlin und Vorsitzende des AMBR) wies auf die Repräsentanz des großen Spektrums und die Vielfältigkeit der Dimensionen von Improvisation beim Symposion hin. Sie lud die Teilnehmenden ein, sich mit Lust und Mut dem Thema weiterhin aktiv und reflektierend zu widmen und sich der Allgegenwärtigkeit von Improvisation bewusst zu werden. 

Seitens der Arbeitskreise erhofft man sich als Resultat des Symposions, dass die Potenziale der Improvisation ins Bewusstsein gerückt wurden, vor allem aber in den Studiengängen und den verschiedenen Berufsfeldern eine Weiterentwicklung bezüglich der künstlerisch-improvisatorischen Fähigkeiten Eingang findet. Eine Auswertung der Inhalte und Ergebnisse durch die Arbeitskreise ist für September vorgesehen. Das bedeutet eine weitere Zusammenarbeit von AEMP und AMBR – Annäherung ist also keine Vision mehr, sondern Realität geworden. Wünschenswert wäre überdies eine Dokumentation der Beiträge zum Symposion, in der auch die zahlreichen fachlichen Fragestellungen und Antworten darauf nachlesbar werden. Außerdem dürfen sich die Lehrenden lobend auf die Schultern klopfen: Elementare Musik- und Bewegungserziehung ist längst über die Glockenspieldidaktik hinaus gewachsen und eine ernst zu nehmende künstlerische Disziplin geworden.

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