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Musikportale und Kommerzreservate

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Messenachlese Midem/Midemnet 2000, 22. bis 27. Januar 2000 in Cannes
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Dabei wären die Chancen und Möglichkeiten eines sinnvollen Einsatzes gar nicht schlecht: „Langfristig bietet das Internet vor allem für Kleinanbieter eine Plattform zur Präsentation, deren Produkte derart spezialisiert sind, dass es sich der Einzelhandel nicht mehr leisten kann, sie wegen weniger verkaufter Exemplare in die Regale zu stellen“, kommentiert Rainer Kahleyss von der Firma Disco-Center Classic und Vorsitzender der Class Association of Classical Independents e.V. die aktuelle Situation. Das Internet wäre somit zumindest potenziell in der Lage, einzelne kritische Bereiche des Nischenmarktes abzudecken. Was sich jedoch darüber hinaus an aktuellen Netz-Trends auf dem Marché International du Disque, de L’Édition Musicale et de la Vidéo Musique, kurz Midem 2000 vom 22. bis 27. Januar in den Messehallen der Palais Des Festivals in Cannes tummelte, blieb für den Klassik-Konsumenten marginal. Die Möglichkeit etwa, sich CDs nach Wahl zusammenzustellen und brennen zu lassen, die dann per Post zugeschickt werden, ist bestenfalls für die Gassenhauer von den Vier Jahreszeiten bis zu den Drei Tenören interessant. Und auch MP3, das Gruselwort der Popkollegen, das für die datenreduzierte und zumeist kostenlose Übertragung von Soundfiles (= Musikdateien) steht, ist für die offenbar Spitzweg’schen Enzyklopäden, aus denen sich der ideale Klassikkonsument im Käuferprofil zu rekrutieren scheint, schon allein wegen der verminderten Tonqualität indiskutabel. So eignet sich das Internet bislang im vergleichsweise kleinen Marktsegment von Bach bis Beethoven lediglich als modifiziertes Mail-Order-System, das etwas komfortabler als an Fax oder Telefon im virtuellen Kaufhaus shoppen lässt.

Zuerst die schlechte Nachricht: Das Internet hat bislang für den Klassikmarkt noch nicht die Bedeutung, die es haben könnte. Zu lausig ist die Qualität der Downloads (= heruntergeladene Sounddateien) für die Ohren der anspruchsvollen Klientel, zu mühsam die Erstellung der umfangreichen Booklets am heimatlichen Rechner und Drucker. Dabei wären die Chancen und Möglichkeiten eines sinnvollen Einsatzes gar nicht schlecht: „Langfristig bietet das Internet vor allem für Kleinanbieter eine Plattform zur Präsentation, deren Produkte derart spezialisiert sind, dass es sich der Einzelhandel nicht mehr leisten kann, sie wegen weniger verkaufter Exemplare in die Regale zu stellen“, kommentiert Rainer Kahleyss von der Firma Disco-Center Classic und Vorsitzender der Class Association of Classical Independents e.V. die aktuelle Situation. Das Internet wäre somit zumindest potenziell in der Lage, einzelne kritische Bereiche des Nischenmarktes abzudecken. Was sich jedoch darüber hinaus an aktuellen Netz-Trends auf dem Marché International du Disque, de L’Édition Musicale et de la Vidéo Musique, kurz Midem 2000 vom 22. bis 27. Januar in den Messehallen der Palais Des Festivals in Cannes tummelte, blieb für den Klassik-Konsumenten marginal. Die Möglichkeit etwa, sich CDs nach Wahl zusammenzustellen und brennen zu lassen, die dann per Post zugeschickt werden, ist bestenfalls für die Gassenhauer von den Vier Jahreszeiten bis zu den Drei Tenören interessant. Und auch MP3, das Gruselwort der Popkollegen, das für die datenreduzierte und zumeist kostenlose Übertragung von Soundfiles (= Musikdateien) steht, ist für die offenbar Spitzweg’schen Enzyklopäden, aus denen sich der ideale Klassikkonsument im Käuferprofil zu rekrutieren scheint, schon allein wegen der verminderten Tonqualität indiskutabel. So eignet sich das Internet bislang im vergleichsweise kleinen Marktsegment von Bach bis Beethoven lediglich als modifiziertes Mail-Order-System, das etwas komfortabler als an Fax oder Telefon im virtuellen Kaufhaus shoppen lässt. Daraus folgt die gute Nachricht: Die Dämonen der kommerziellen Finsternis, die derzeit den Firmen des Popgeschäfts im Nacken sitzen, sind für die Klassikbranche keine Bedrohung. Die Piraterie etwa, die auf den Diskussionsforen am Rande der Messe als Schreckgespenst des Wertverlustes gebrandmarkt wurde, ist aufgrund geringer Nachfrage kein Problem. Denn welch weißrussischer Klangfreibeuter macht sich schon die Mühe, in seiner konspirativen Garage wegen ein paar hundert potenzieller Kunden Alte Musik schwarz zu brennen, wo er doch mit Whitney Houston zehntausende CDs absetzen kann. Auch das mangelnde Unrechtsbewusstsein der MP3-Kids, die sich freimütig und mehr als drei Millionen mal täglich kostenlose Musikstücke ihrer Lieblinge downloaden, ist für Hildegard von Bingen oder György Ligeti bislang uninteressant, ebenso wie die Vereinheitlichungsbestrebungen des Software-Riesen Microsoft, der seine Betriebssysteme mit einem obligatorischen Portal versehen will, das den musiksuchenden Konsumenten automatisch auf die Homepage der zuständigen Plattenfirma leitet. Insofern saß die Klassikabteilung in einem nostalgisch anmutenden Kommerzreservat, das zwar durchaus Anfechtungen ausgesetzt ist, sich aber doch insgesamt nicht so arg grämen muss wie etwa ein Thomas Stein bei Bertelsmann.

Überhaupt hatte sich einiges Positives getan. Zum ersten Mal war es den Klassikindependents gelungen, mit Unterstützung aus Berlin im Rahmen der neu eingeführten Midem Classique eine eigene Straße abseits des deutschen Gemeinschaftsstandes zu gestalten. Mehr als im Pulk mit den Popkollegen konnten sie heuer ihre Programme gezielt den Vertriebsleuten aus aller Welt präsentieren. Außerdem begann auch der Cannes Classic Award im sechsten Jahr seines Bestehens ein wenig von dem Prunk abzubekommen, der die Gala der Popstars begleitete. Wenn auch die Presse sich noch nicht ausreichend darum kümmerte, so war doch immerhin der große Saal im Nobelhotel Carlton ansehnlich gefüllt, als mehr als 20 einzelne Spartenpreise an herausragende Aufnahmen verliehen und darüber hinaus Krzysztof Penderecki für sein Lebenswerk im Allgemeinen und die gelungene Einspielung des „Credo“ im Speziellen geehrt wurde. Der polnische Gast revanchierte sich dafür mit einer pompösen französischen Erstaufführung der „Sieben Tore von Jerusalem“. So gab es Events und Histörchen, Newcomer und alte Bekannte, vor allem aber viele Geschäfte hinter den Kulissen der größten Musikfachmesse der Welt. Denn um tatsächlich etwas zu bewirken, muss man sich auch in Zeiten des Internets noch persönlich treffen. Und wo kann man das besser als bei einem Café in der Vorfrühlingssonne an der Croisette in Cannes.

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