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Wo bleibt der Aufschrei? Grundsatzdebatten erforderlich. Foto: Martin Hufner
Wo bleibt der Aufschrei? Grundsatzdebatten erforderlich. Foto: Martin Hufner
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Öffentlich-rechtlich oder öffentlich bestechlich

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Gedanken über das duale System unseres Rundfunks &#183
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Am 3. November fand im Bremer Haus der Bürgerschaft eine öffentliche Anhörung durch die Medienausschüsse der fünf norddeutschen Bundesländer Schleswig-Hostein, Niedersachsen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen statt. Gemäß §5a Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages erstatten alle zwei Jahre ARD, ZDF und Deutschland Radio den Landesparlamenten einen Bericht über ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage.

Thema Medienkrise in der nmz Auf dem Podium saßen für die ARD deren stellvertretender Vorsitzender Fritz Pleitgen (Westdeutscher Rundfunk), für das ZDF der Intendant Markus Schächter, die Intendanten Heinz Glässgen (Radio Bremen) und Ernst Elitz (Deutschlandradio/Deutschlandfunk), vom Norddeutschen Rundfunk der stellvertretende Intendant Joachim Lampe und seitens der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) die Herrn Rainer Conrad und Horst Bachmann. Also kein unbedeutender Kreis – aber was ist dabei herausgekommen? In meiner Schilderung konzentriere ich mich auf Eindrücke, die nicht schon in der Tagespresse aktuell behandelt wurden.

Einigkeit bestand in der Ablehnung der Gebühren-Beschlüsse der Ministerpräsidenten, die durch offenkundig eigene Berechnungen in die Unabhängigkeit und Kompetenz der KEF eingegriffen haben. Die Herren Edmund Stoiber, Erwin Teufel, Georg Milbrandt und Peer Steinbrück verbreiten bekanntlich die Auffassung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk genug Geld zur Verfügung hätte. Die KEF beurteilt den Eingriff in ihre Aufgabe eher taktisch, denn bei einem erfolgreichen Gang nach Karlsruhe wegen der Verfassungswidrigkeit oder der Ablehnung durch die Länder stellt Rainer Conrad die nüchterne Frage „Was dann?“. Offenbar spielen im Hintergrund Befürchtungen eine Rolle, dass die Bürger und in Folge auch politische Kreise in Zukunft auf Grund der Angebote der Privaten, Gebührenzahlungen verweigern könnten. Laut Fritz Pleitgen werden die Einnahmen des privaten Rundfunks 2008 die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks übersteigen!

Daher auch Fritz Pleitgens wichtige und dringende Forderung nach einer Grundsatzdiskussion in den Parlamenten über das Thema „Wie soll in der Zukunft das duale System der BRD aussehen?“. In diesem Zusammenhang auch die Frage, ob zum Beispiel die USA unser System oder wir das amerikanische übernehmen? Fritz Pleitgen sieht ferner in den Beschlüssen der Ministerpräsidenten Eingriffe, die Programmkürzungen zur Folge haben und zwar in der Reihenfolge Unterhaltung, Kultur, Sport und Information! Intendant Ernst Elitz listet die beachtlichen kulturellen Leistungen des Deutschlandfunks/Deutschlandradio in Kooperation mit den Ländern auf, unter anderem die Präsentation der ARD-Orchester in Berlin. Im übrigen erfreuen sich beide nationale Radiosender immer größerer Beliebtheit! Es ist absolut unverständlich, dass aus dem Gebührentopf nach wie vor 0,32 Cent an die Landesmedienanstalten für die Kontrollgremien der Privaten gezahlt werden. Die Privaten können diese Aufwendungen heute und in Zukunft selbst übernehmen. Für die Verblödung des Publikums à la „Big Brother“ ist jeder Cent zu schade und muss kein Rundfunkorchester sterben!

Für Radio Bremen, das den ersten politischen Schlag der Ministerpräsidenten durch empfindliche Kürzungen des ARD-Finanzausgleiches hinnehmen musste, erklärte Intendant Heinz Glässgen, dass die erzwungenen Einsparungen, Personalabbau und Rationalisierungen weitere Abstriche existenziell nicht mehr zuließen. Er wies auf die Kooperation mit dem Norddeutschen Rundfunk und dem Westdeutschen Rundfunk hin und hoffe auf die zugesagte ARD-Strukturhilfe nach Inkrafttreten der Gebührenerhöhung.

Intendant Markus Schächter vom ZDF sorgt sich um die Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Dialog mit der EU in Brüssel. Einmal sei dort ein Generationswechsel der Beamten zu verzeichnen. Begriffe wie „Rundfunk als Wirtschaftsware“ oder Abweichungen vom Amsterdamer Protokoll zeigen, dass die Europäische Kommission das deutsche gebührenpflichtige Rundfunksystem im Blickfeld hat. Hier gilt es seitens der Länder, die Rundfunkhoheit zu verteidigen, das bewährte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erhalten und seine verfassungsrechtlich garantierten Entwicklungschancen wahrzunehmen.

Letztere Formulierung ist der „Bremer Erklärung“ entnommen, die als Entschließung auf der Tagung verabschiedet wurde. Der Text erhält natürlich durchaus Richtiges. Es ist aber bezeichnend, dass der einzige kritische Satz über die „medienpolitischen Jahrhundertgestalten“ – ... Sie (die Medienausschüsse) kritisieren, dass die Ministerpräsidenten Bayerns, Sachsens und Nordrhein-Westfalens das verfassungsmäßig auferlegte staatsferne Verfahren der Gebührenfestsetzung außer Kraft gesetzt haben – aus dem Entwurf herausgenommen wurde! Außerdem hätte die Wahrung des Kulturauftrages angesichts mancher Nervenschwäche der Rundfunkveranstalter schärfer formuliert werden können!

Liest man die Rede Edmund Stoibers, die er auf der Münchner Medientagung gehalten hat, so kann man sicherlich vielem zustimmen. Nur in der politischen Arena wird dann meistens anders gehandelt. Circa 280 Millionen Euro büßt der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch die jüngste Entscheidung ein.

Wo könnte nun gespart werden? Sicherlich bei den immensen Sportrechten, der Verwaltungsapparat kann verschlankt werden. Im Informationsbereich ist die Inflation der Talkshows unerträglich. In den politischen Runden werden teilweise die „Krisen erst hergequatscht“. Die Verwirrungen der Moderatoren, Politiker und Journalisten sind oft nicht zu überbieten, der Überheblichkeit keine Grenzen gesetzt. Man erlebt dort Quatschköpfe von „kosmischen Ausmaß“!

Natürlich muss der öffentliche Rundfunk, und nur er ist dazu in der Lage, die Gesellschaft darstellen. Aber muss bei finanziellen Engpässen immer die musikalische Kultur als Drohgebärde von den Chefetagen in Frage gestellt werden.

Man streicht in solchen Situationen gerne, was eigentlich immer schon geplant war, wie die Gemeinschaftsaufgaben Bayreuther Festspiele, internationaler ARD-Musikwettbewerb, Institut für Rundfunktechnik, und immer wieder das Gerede um die hochqualifizierten ARD-Klangkörper, wobei die Auflösung des tüchtigen und als all-round-Orchester von den Aufgaben typische Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks schon vor der geringeren Gebührenerhöhung beschlossen wurde.

Es muss auch die Rolle der Rundfunkräte angesprochen werden. Über die ursprünglich unabhängigen gesellschaftlich relevanten Kräfte versuchen entweder die politischen Parteien und die jeweiligen Regierungskoalitionen in die Sender hineinzuregieren oder die Gremien sind Wachs in den Händen der Intendanz. In unserer Gesellschaft entstehen bekanntlich die meisten ökonomischen Katastrophen durch das Versagen der Aufsichts- und Kontrollgremien. Zur Abwehr von kulturfeindlichen Entscheidungen der Anstalten sind in erster Linie die Rundfunkräte gefragt!

Es sollte die Sache im Vordergrund stehen und nicht die teilweise erheblichen Sitzungsgelder! Der Alt-Politiker Heiner Geißler hat in der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Ausgabe Nr. 97, 11.11.2004) einen bemerkenswerten Wutanfall über die gesellschaftliche und politische Entwicklung mit dem Titel „Wo bleibt der Aufschrei?“ geschrieben. Es ist höchste Zeit, dass ein solcher Aufschrei der Kultur über die Medienwirklichkeit erfolgt! Kultur ist mehr als ein wirtschaftlicher Standortfaktor. Darum nochmals zur Erinnerung.

Adolf Grimme, preußischer Kulturminister a.D., und erster deutscher Generaldirektor des damaligen Nordwestdeutschenrundfunks nach dem Zweiten Weltkrieg definiert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so: Qualität der Programme mit den Säulen Information, Kultur und Unterhaltung und als Grundlage die Unabhängigkeit vom Staat – noch Fragen?

Der Autor war bis 1995 Musikchef von Radio Bremen, 1995 bis1999 Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft, seit 1996 Mitglied im Radio Bremen Rundfunkrat

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