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Preisverfall

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Der Ernst von Siemens Musikpreis 2008 geht an die Geigerin Anne-Sophie Mutter. Die Begründung des Kuratoriums (siehe Seite 2) für seine Entscheidung enthält schöne Worte und Wendungen. Dazu soll hier nichts gesagt werden. Uns interessieren mehr die Gründe, weshalb ein anderer Interpret beharrlich aus den alljährlichen Überlegungen des Kuratoriums ausgeblendet wird. Mehrfach haben wir in der Vergangenheit bei persönlichen Begegnungen mit dem einen oder anderen Jury-Mitglied nach dem Dirigenten Michael Gielen gefragt, und immer wieder die Antwort erhalten: Der ist nicht durchsetzbar. Warum Gielen nicht durchsetzbar sein soll, das konnten wir selbst dem Kuratoriumsmitglied Wolfgang Rihm nicht entlocken. Wahrscheinlich weiß er es selbst nicht. Der Siemens-Musikpreis wird in erster Linie doch wohl nicht für grassierende Medienpräsenz verliehen – dann müsste ihn vielleicht Anna Netrebko erhalten, sondern für das Engagement in der Neuen Musik.

Michael Gielens Bedeutung für die Geschichte der Neuen Musik braucht hier nicht weiter erklärt zu werden – das hat der Kritiker Gerhard R. Koch zu Gielens 80. Geburtstag in der nmz
7-8/2007 umfassend getan. Koch nannte am Ende seines Artikels die Nicht-Achtung von Gielens Lebensleistung durch die Siemens-Kuratoren einen „Skandal“. Nun ist die Siemens-Musikstiftung ja keine öffentlich mit Steuergeldern geförderte Institution, sondern eine private Einrichtung, die küren kann, wen sie gerne möchte. Andererseits jedoch drängt die Stiftung mit ihrem großen Musikpreis immer wieder energisch in die Öffentlichkeit, fordert Beachtung und Würdigung ein. Mit der Würdigung verbindet sich aber zugleich ein kritisches Element: das heißt, man stellt sich mit der Entscheidung der öffentlichen Kritik. So lange diese die Preisvergabe lobt, ist die Welt in Ordnung. Man muss aber auch ertragen können, dass sich gegen eine Entscheidung einmal Widerspruch erhebt. Es ist doch grotesk, dass eine Jury, aus welchen Animositäten auch immer, einen Michael Gielen beharrlich übersieht und stattdessen zwar verdienstvolle, aber doch wohl nicht vergleichbare Interpreten (um die es diesmal im Turnus mit Komponisten ging) auszeichnet.

Im vergangenen Jahr hat sich die Siemens-Jury mit der Entscheidung für den Komponisten Brian Ferneyhough selbst den hohen Maßstab gesetzt, der eines Siemens-Musikpreises würdig ist. Unter diesem Niveau darf man auch nicht den jeweiligen Interpreten wählen. Letztendlich fallen zwiespältige Entscheidungen vor allem auf den Preis selbst zurück: Er wird beschädigt und büßt die Achtung ein, die man ihm, auch wegen der breit gestreuten, hoch verdienstvollen Förderpreise, entgegenbringen möchte. Vielleicht wäre es auch einmal an der Zeit, im Kuratorium einige Dauer(park-)plätzler in den verdienten Ruhestand zu schicken. Immerhin befinden sich derzeit mit den Komponisten Wolfgang Rihm, Peter Ruzicka und Helmut Lachenmann drei markante Repräsentanten der Neuen Musik im Kuratorium. Wenn sie sich nicht bei den Entscheidungen mit guten Argumenten durchsetzen können, sollten sie ihre Namen nicht länger für den Siemens-Musikpreis hergeben.

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