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Fachliche Bereicherung: die Workshops der chor.com 2013 in Dortmund. Foto: Kristina Glücker
Fachliche Bereicherung: die Workshops der chor.com 2013 in Dortmund. Foto: Kristina Glücker
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Quelle vokalpädagogischer Inspiration

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Eindrücke von den Workshops auf der chor.com 2013 in Dortmund
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Vom 12.–15.09.2013 pilgerten wieder zahlreiche Chorleiter, -sänger, Kantoren, Komponisten, Chöre, Ensembles, Verbands- und Verlagsvertreter nach Dortmund zur chor.com, dem wohl mittlerweile breitesten pädagogisch-künstlerischen Angebot der Chorszene, denn die chor.com ist Chor(leiter)-Fortbildung, Verlagsmesse und Festival in einem. Mit vielseitigen Workshop-Angeboten war wohl für jeden etwas Passendes geboten, reichten die Themen doch von Männerchorleitung über Bodypercussion und Schütz‘ Exequien bis hin zu Loop- und Circlesongs.

Teilweise brachte die zeitgleiche Vielfalt der Angebote die Teilnehmenden sogar in Entscheidungsnot. Auch wenn das breit gestreute Angebot der mehr als 150 Workshops die gesamte Bandbreite der Chormusik abgedeckt haben dürfte, lassen sich folgende chorpädagogische Trends ausmachen: Singen mit Kindern, Chorgeragogik (Singen im Alter), Chor und Medien, Chormusik des europäischen Nordens, Stimmbildung und Neue Formen des (Ensemble-)Gesangs.

Singen mit Kindern

Im Bereich der vokalpädagogischen Praxis mit Kindern gab es Angebote, die von Reading Sessions zu afrikanischen Kindermusicals, Musicals mit historischer Handlung (Wolfgang König und Veronika te Reh, siehe auch das Interview auf Seite 6 dieser Ausgabe) oder Musicals wie „Schockorange“ und „Sonne, Mond und Sterne“ (Peter Schindler) bis hin zu Workshops und Vorträgen zu einzelnen Bereichen vokalpädagogischer Praxis mit Kindern reichten. So erlebten die Teilnehmer des Workshops „Bewegung bewegt“ (Werner Schepp) den kommunikativen Aspekt und die Freude, welche durch die Integration von Bewegung beim Singen mit Kindern im Grundschulalter erreicht werden kann. Sabine Wüsthoff ermutigte die Teilnehmer ihres Workshops „Kinder- und Jugendchöre komponieren“, das kreative Potenzial von Chorkindern zur Produktion eigener Lieder oder Stücke zu nützen und zeigte auf, wie dies methodisch angebahnt und durchgeführt werden kann.

Nach wie vor ist der Boom der Initiativen zur Förderung des Singens anhaltend und so wurde auf der chor.com unter anderem das Konzept „CHOR:KLASSE!“ zum aufbauenden Singen mit Grundschulkindern von Petra Jacobsen und Silke Zieske vorgestellt. Ebenso konnten an diesen Initiativen interessierte Teilnehmer Einblicke bekommen in das Projekt „SING!“, einer Education-Initiative des Rundfunkchors Berlin, die praktisch, inhaltlich und strukturell vorgestellt wurde.
Bei diesem Projekt kooperiert der Profichor mit Berliner Grundschulen, Bezirksmusikschulen sowie der Landesmusikakademie Berlin. Bestandteile der Initiative sind regelmäßige Fortbildungen, Patenbesuche der Chorsänger, Probenbesuche der SING!-Klassen beim Rundfunkchor Berlin, die Gründung von klassenübergreifenden Chören sowie Mitsing-Konzerte. In Anlehnung an die JEKISS-Methode, die ihrerseits in einem eigenen Workshop von Inga Mareile Reuther vorgestellt wurde, spielt das spielerische, bewegungsorientierte Singen eine zentrale Rolle. Reuther gab in dem Workshop „JEKISS – Singende Grundschule“ bewährte Impulse für den Umgang mit Kinderstimmen im (Musik-)Unterricht und im Schulchor, unter anderem Stimmbildungsübungen, geeignetes Liedgut und methodisch-didaktische Einstudierungstechniken.

„SingBach!“, so lautet der Titel eines von  Friedhilde Trüün konzipierten und auf der chor.com vorgestellten Projektes für Kinder der dritten Grundschulklasse. Es soll den Kindern einen altersgerechten und aktiven Zugang zu Bachs Musik ermöglichen und das Chorsingen als Gemeinschaftserlebnis spürbar machen. Dazu lernen die beteiligten Grundschulklassen etwa zehn Lieder, Choräle oder vereinfachte Arien beziehungsweise mit Text versehene instrumentale „Hits“ von Johann Sebastian Bach. Dass Friedhilde Trüün 300 Dortmunder Grundschulkinder nicht nur bändigen, sondern auch sichtlich und spürbar begeistern und zum Singen verführen kann, das konnten die Besucher der chor.com in der Reinoldi-Kirche live miterleben. Die Kinder haben nicht nur die Musik von Bach kennengelernt, sondern darüber hinaus auch einiges über die damalige Zeit und über ihre eigene Singstimme, die Bedeutung der Körperhaltung, der Atmung und des Zwerchfelleinsatzes erfahren. Das klangliche Ergebnis war dabei nicht immer befriedigend und wurde vom Bruststimmklang dominiert. So verlor sich die Stimmklasse bisweilen in der Stimmmasse. Es ist ja ein bekanntes Phänomen, dass gerade singunerfahrene Kinder in großen Gruppen die Kontrolle über ihre eigene Stimme verlieren, zumal die Bach-Bearbeitungen den Kindern einiges abverlangen.

Workshops wie „Singende Jungs – eine Utopie?“ zeigten Kinderchorleitern praktische Tipps auf, wie man Jungs für das Thema Singen begeistert und was es dabei alles zu bedenken gibt. Jost Salm, der Leiter des Knabenchores der Chorakademie Dortmund, gab in dem Workshop „Knabenchor – Knabensolisten: Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Notwendigkeiten in der heutigen Zeit“ Einblick in seine Arbeit mit Knabenstimmen und zeigte Möglichkeiten einer gezielten Ausbildung von Knabensolisten.

Chorgeragogik

Für das Singen mit Senioren gab es ebenfalls mehrere Workshops. Im Workshop „Singen – ein Leben lang! Stimmbildung und kreative Probenarbeit im Seniorenchor“ (Klaus Brecht, Erinna Kniebühler) wurde den Teilnehmern zum einen medizinisches Wissen und therapeutische Erfahrung vermittelt und zum anderen chorleiterisches, praktisches Know-How und stimmbildnerische altersgerechte Ansätze. Im Workshop „High Fossility – Rock- und Popsongs mit Senioren“ (Michael Betzner-Brandt) wurden Möglichkeiten aufgezeigt, das Singen mit älteren Menschen nicht defizitorien­tiert zu gestalten, sondern mit ihnen gemeinsam Rock-, Pop- und Jazznummern aus deren Jugendzeit freudvoll und weitestgehend ohne Noten einzustudieren.

Chor und Medien

Die musikalische Kommunikation hat sich im 21. Jahrhundert verändert. Auf eine Formel hin verkürzt, könnte man sagen: Das Auge hört mit! Bei Chordarbietungen haben visuelle Aspekte eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Daher gilt es, das Publikum auf allen Ebenen, insbesondere auch visuell anzusprechen. Wie das in kleinen Schritten von allen Chören erreicht werden kann, zeigte Britta Adams in ihren Workshops „Staging – erste Schritte zur Chor-Choreographie“ und „Elemente der Chor-Choreographie“. In den Workshops wurden zur Steigerung der Bühnenpräsenz verschiedene statische Darstellungsmittel des Stagings, wie etwa Aufstellungs- und Fußpositionsveränderungen und ihre Wirkungen ebenso ausprobiert wie Grundlagen und Prinzipien des Choreographierens. Auch für die audiovisuelle Präsenz der Chöre im Internet sind die von Adams humorvoll präsentierten Ideen hilfreich. Die Bedeutung sozialer Netzwerke, YouTube, Twitter und anderer Internetformate hat auch für Chöre zugenommen. Auf was bei Aufnahmen zu achten ist, zeigten Katharina Herkommer und  Jörg Lohner von nmzMedia in ihrem Workshop „Chorkonzerte richtig filmen“.

Chormusik des Nordens

Der Norden Europas ist die Heimat vieler ausgezeichneter Chöre und daher die Wiege eines innovativen, interessanten, zeitgenössischen Chorrepertoires. Dieses hat mittlerweile eine bedeutende und exponierte internationale Stellung erreicht, was sich auch im Angebot der Workshops und Reading Sessions auf der chor.com spiegelt. Die zahlreichen ausgezeichneten schwedischen und skandinavischen Chöre haben etliche Komponisten und Arrangeure inspiriert, speziell für diese Klangkörper zu komponieren. So wurde in den Workshops „Schwedische Chormusik in unserer Zeit“ von Anders Eby und „Skandinavien und Deutschland: Nordische Musik zwischen Zentrum und Peripherie“ von Karin Rehnqvist und Friederike Woebcken sowie in „Englische Chormusik der Romantik jugendlich präsentiert“ von Felix Heitmann und in „Britisch Choral Music“ (Paul Spicer) nordische Chorliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts für gemischten Chor vorgestellt. Auch gaben Komponisten wie Marten Jansson, Ola Gjeilo und Graham Lack Einblicke in ihr kompositorisches Schaffen.

Stimmbildung

Stimmbildung ist die ideale Basis, Singfähigkeiten von Chorsängern systematisch, spielerisch und selbstentdeckend aufzubauen, um so die Fähigkeiten jedes einzelnen Chorsängers zu verbessern. Der immensen Bedeutung von Stimmbildung entsprechend, wurden auf der diesjährigen chor.com wieder einige Ansätze vorgestellt: In dem Workshop „Mit lockeren Muskeln zur lockeren Stimme“ wurden unter Anleitung von Eva Maria Leonardy vierzehn kinesiologische Übungen durchgeführt, die sich positiv auf die Körperstatik und die innere Balance auswirken und den Sänger somit ideal auf das Singen vorbereiten. Denn beim Singen ist der Körper das Instrument und für eine optimale Atemführung und Kehlkopffreiheit sind lockere und entspannte Muskeln nötig, was mit diesen Übungen, regelmäßig betrieben, zweifelsfrei unterstützt werden kann. Das von Leonardy entwickelte Bewegungsprogramm ist auch für Laienchöre gut umsetzbar, da einzelne Übungen problemlos in das chorische Einsingen integriert werden können. In dieses etwa achtminütige Körper-Workout flossen sowohl Aspekte der traditionellen chinesischen Medizin als auch kinesiologische Ansätzen mit ein.

Altbekannt und auch altbewährt ist Gerd Guglhörs „Stimmtraining im Chor – eine systematische Stimmbildung“, welches er in seinem Workshop vorstellte. Martina Freytag zeigte in ihrer Veranstaltung „Vokaltraining im Dialog“ Möglichkeiten auf, wie Singen und die Bildung der Stimme in eine musikalische Interaktion eingebaut werden kann. Außerdem gab es Workshops, in denen die Stimmbildung direkt im Kontext des Lied- oder Looperwerbs umgesetzt wurde, so zum Beispiel in „We sing – we groove: Stimmbildung“ von Katharina Debus, Sängerin der A-capella-Band Slixs.

Neue Formen des (Ensemble-)Gesangs

Die Chorlandschaft unterliegt spannenden Veränderungen und Entwicklungen. Es entsteht der Eindruck, dass insbesondere sehr kleine (A-capella-Gruppen) und große Formate (offenes Singen bzw. Großprojekte wie SingBach!) auf dem Vormarsch sind. So gab es einige Workshops zu diesem Bereich, etwa von Michael Gohl, bei dem Methoden und Techniken des offenen Singens präsentiert wurden. Zudem waren alle Fachteilnehmer mehrmals täglich zu offenen Singangeboten eingeladen, die von unterschiedlichen chor.com-Dozenten angeleitet wurden. Die Beliebtheit kleiner A-capella-Gruppen spiegelte sich in den zahlreichen Workshops, die von Mitgliedern erfolgreicher Formationen wie Amarcord, Maybebop, Slixs und anderen angeboten wurden. In manchen Workshops ließen die Dozenten, die überwiegend jung und teils mit einer ausgesprochen künstlerischen Identität auftraten, didaktische Kompetenzen vermissen. Etwas befremdlich kam einem zum Beispiel das bewegungsarme Einstudieren von Loop-Songs nach Noten vor (Reading Session Bertrand Gröger).
Insgesamt war die chor.com 2013 jedoch eine große Bereicherung und eine Quelle der vokalen Inspiration, sowohl fachlich, inhaltlich als auch künstlerisch!

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