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Seltenes Bild: Patricia Kopatchinskaja kontemplativ. Foto: Marco Borggreve
Seltenes Bild: Patricia Kopatchinskaja kontemplativ. Foto: Marco Borggreve
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Schöne polierte Klänge sind zu wenig

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Ein Gespräch mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja
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Schnell bekommt das Etikett des „Ausnahmekünstlers“ angeklebt, wer als halbwegs interessante Persönlichkeit auf den Konzertpodien erscheint. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja verdient diesen Titel wirklich. Mit Mut und Originalität geht sie gegen die Konventionen des Konzertbetriebs an, befreit das traditionelle Repertoire von Staub und erschließt der Neuen Musik unmittelbare Zugänglichkeit.

Alle Musik ist gelebtes Leben, weder theoretische Abhandlung noch simple Gefühligkeit, das spürt man bei der aus Moldawien stammenden Mittdreißigerin, die heute in der Schweiz lebt, ganz deutlich. Und erstaunlicherweise zahlen Konsequenz und Risikofreude, um die viele Veranstalter und Musiker ängstlich einen Bogen machen, sich bei ihr aus: So erhielt ihre Aufnahme mit Violinkonzerten von Bartók, Ligeti und Eötvös einen „Echo“ als „Konzerteinspielung des Jahres“. Während der Probenphase zu Peter Eötvös‘ Violinkonzert „Seven“, das sie in Berlin mit dem Deutschen Symphonie-Orchester unter Pablo Heras-Casado aufführte, nahm sich die Geigerin Zeit für ein Gespräch.

neue musikzeitung: Frau Kopatchinskaja, sind Sie mit den Proben zufrieden? Sie haben sich einmal darüber beklagt, die Orchester seien im allgemeinen sehr konservativ und zeigten häufig Widerstand gegen Neue Musik.

Patricia Kopatchinskaja: Diesmal ist die Zusammenarbeit ausgezeichnet. Ich spüre gar keinen Widerstand und nur Bereitschaft, mitzumachen, mitzuhelfen, in dieser Musik ein wichtiger Teil zu sein. Aber das wusste ich von vornherein. Ich habe schon einige Male mit diesem Orchester gespielt, ich glaube, das war das Bartók-Konzert, dann das Tschaikowsky-Konzert.

nmz: Das ist natürlich keine moderne Musik, auch Bartók hält das Abonnement-Publikum ja inzwischen aus.

Kopatchinskaja: Ich finde, auch am Spielen von alter Musik kann man erkennen, wie der Musiker überhaupt zur Musik steht. Ob er sie mit Herz und mit offenem Verstand macht, sich nicht nach Standards und althergebrachten Spielweisen richtet. Ob er neue Wege sucht, heute dieses Stück so zu spielen, dass es den Eindruck macht, als wenn es gerade jetzt komponiert wurde, dass es einen frischen Eindruck macht. Dann kann er nur für das Neue sein, dann kann er nicht dagegen sein. Dann ist er ein Vollblutmusiker, und der macht Neue Musik, die genauso begeistert wie die Alte. Der unterscheidet dann nicht.

nmz: Orchestermusiker sind oft auch durch ihre vielen Dienste daran gehindert, sich mit etwas Neuem zu beschäftigen.

Kopatchinskaja: Orchestermusiker und Solist sind in einer sehr unterschiedlichen Situation. Ich zahle selber für meine Versicherung, ich zahle selber meine Steuer; neben meinen unglaublich schwierigen Aufgaben auf der Geige gibt es auch all dieses administrative Zeug. Und ich bin nicht in einem Dienst, wo mir von vornherein alles garantiert ist, wenn ich alles bis zu einer gewissen Grenze gut mache. Sondern ich muss besser sein als jeder andere, ich muss immer gut sein. Und das ist so anstrengend, das kann sich eigentlich kein Mensch vorstellen.

nmz: Und Sie werden immer beobachtet.

Kopatchinskaja: Natürlich. Die Konkurrenz ist unglaublich groß. Man wird sehr kritisch beobachtet. Und als Frau hat man noch mehr Schwierigkeiten. Denn erstens ist man immer unterwegs, muss sein Kind zu Hause lassen und hat dann immer ein schlechtes Gewissen, ob man will oder nicht. Es ist egal, was man tut, irgendwas hat man immer verbrochen. Und ein Orchestermusiker ist gesichert, er hat seine bestimmten Dienstzeiten, er weiß, wann er nach Hause kommt, er weiß, wann er abschalten kann. Ich kann nie abschalten. Vor dem Konzert kann ich ein paar Nächte nicht schlafen, und wenn ich hundert Konzerte pro Jahr habe, kann man sich ausrechnen, wie viele Nächte ich gut schlafen kann.

nmz: Sind dann hundert Konzerte pro Jahr nicht zu viel? 

Kopatchinskaja: Ich habe sehr großes Lampenfieber, wenn ich nicht oft genug auf der Bühne bin. Mein Alltag muss auf der Bühne sein. Erst dann kann ich gewisse Dinge riskieren, und das möchte ich, denn ich will keine fertige Interpretation abliefern. Das interessiert mich nicht, das können die anderen viel besser. Ich dagegen hoffe auf einen Moment, der mich in einen Zustand versetzt, der über etwas erzählt, was sonst unbegreiflich ist, auch für mich. Und dafür brauche ich eine bestimmte Ruhe um mich. Ich brauche ganz viele Engel, Schutzengel um mich, ich brauche diese Aura. Die gibt es nur dann, wenn ich mich dort zu Hause fühle – eine Art Heimat.

Unendliche Geschichten

nmz: Wenn man sich so dem Augenblick überlässt, besteht immer auch die Möglichkeit des Scheiterns. Kann man da auch das falsche Stück er-wischt haben?

Kopatchinskaja: Natürlich. Mit einem Stück erlebt man ja unendliche Geschichten. Man kämpft ein paar Jahre lang, es ist nie richtig gut, aber plötzlich ist alles da. Oder es ist Liebe auf den ersten Blick, alles klappt sofort, sie erlischt aber wieder. Dann muss man irgendwann von vorn anfangen. Es hilft, über den Komponisten etwas zu lesen und seine Zeit; alles hilft, was man weiß. Aber auch bestimmte Zufälle können inspirieren.

Der Rhythmus einer vorbeifahrenden Kutsche hat mir einmal das Finale von Beethovens Violinkonzert erschlossen. Ein anderes Mal habe ich mit meinem Vater Stücke von Kurtág aufgenommen und wusste, dass ihm die Tempi nicht gefallen. Als ich ihm vorspielte, sagte er: Das muss wie ein kaputtes Radio klingen. Und das ist wie Wiehern eines Pferdes. Wer hätte gedacht, dass hinter dem genialsten Zeug so etwas zutiefst Menschliches und Einfaches steckt! Und wir Interpreten sind eigentlich dafür verantwortlich, dass wir unter all der dicken Schicht der wahrnehmbaren Musiksprache die Essenz rüberbringen und nicht nur schöne polierte Klänge.

nmz: Soll damit die Verbindung der Kunst zum „richtigen Leben“ hergestellt werden? In die „schöne“ Musik ist ja vieles eingeflossen, was vorher gar nicht schön war.

Kopatchinskaja: Auch die Hässlichkeit hat eine schöne Seite. Die hässlichste Dissonanz, die man sich vorstellen kann, kann bei Kurtág plötzlich eine unheimliche Schönheit sein. Es hängt vom Kontext ab. Wenn man sich ein ruhiges Wasser vorstellt, einen Ozean, dann muss man sich doch immer auch einen Haifisch unten vorstellen. Kunst ohne Widerstand ist Kitsch. Alles, was einfach nur gefällig ist und schön, ist für mich Kitsch, das hat mit echter Kunst nichts zu tun. Das beschäftigt einen nur einen Augenblick, aber die Kunst muss einen auf den Kopf stellen. Es muss einen ver-rücken, wirklich im Sinne von die Normalität wieder infrage stellen. Der Mensch, der in ein Konzert kommt, muss sich danach ganz viele Fragen stellen, aber es muss ihn auch so berühren und durchbohren, dass er Dinge in sich entdeckt, die er sonst im Alltag nicht spürt und nicht spüren darf, denn wir müssen ja funktionieren.

nmz: Was meinen Sie damit konkret?

Kopatchinskaja: Wir haben bestimmte Sicherungen, um durch das Leben durchzukommen. Und doch, wenn dann irgendjemand stirbt, in der Familie oder so, drehen diese Sicherungen plötzlich durch. Dann sind wir wieder an dem gleichen Punkt, ganz klein und ganz hilflos und nackt. Und genau dort will ich die Musik hinspielen, um zu zeigen, wie hochkomplex und zugleich einfach unsere Existenz ist.

nmz: Sie selbst haben schon als Kind Not und Leid erfahren – als Dreizehnjährige mussten Sie mit Ihren Eltern Ihr Geburtsland Moldawien verlassen und im Flüchtlingslager um die nackte Existenz kämpfen. Vermissen Sie Ihre Heimat noch, deren Menschen Sie einmal als herzlich und gastfreundlich bezeichneten?

Kopatchinskaja: Einerseits sicherlich, anderseits finde ich bei meinen Besuchen auch nicht mehr diese Heimat, die ich in mir trage. Im Grunde genommen bin ich heimatlos, und das wird sich auch nie ändern. Dazu war der Schnitt zu brutal, aber vielleicht doch notwendig, denn dort hätte ich nie diese tolle Ausbildung bekommen und nie solche Karrierechancen gehabt. Ich habe also dadurch gewonnen. Und doch, diese Heimatlosigkeit beschäftigt mich und prägt meine auch musikalische Existenz. Das heißt, auch in jedem Stück suche ich einen Teil meiner Heimat. Vielleicht eigne ich mir deshalb auch die Stücke so intensiv an, damit ich darin ein bisschen wohnen darf.

Was tun für das Neue

nmz: Zeitgenössische Musik liegt Ihnen besonders am Herzen. Was kann man tun, um sie nicht nur einem Spezialpublikum verständlich zu machen?

Kopatchinskaja: Es gibt diese Mode, immer uraufführen zu wollen, und danach gehen die Stücke verloren. Man müsste sie aber wiederholen, denn je öfter man ein Stück hört, desto vertrauter wird man damit. Idealerweise sollte man vor dem Konzert das Stück einmal spielen, dann im Konzert und vielleicht auch danach, wenn jemand Interesse hat. Ich wäre bereit, das zu machen. Und man sollte darüber sprechen, erzählen, was man sich vorstellt, also einen Dialog mit dem Publikum führen. Das ist heute sehr, sehr schwierig, weil das Publikum nicht Liebe empfindet, sondern eher so eine Art Abwehr. Andererseits fühlt man sich auch verpflichtet, man denkt sich, als Intellektueller der heutigen Zeit muss man sich das anhören. Oft ist man dann doch ganz schön überrascht, wie toll das ist, wenn man sich zum Beispiel das Ligeti-Violinkonzert anhört. Das ist eine wichtige Bereicherung. So etwas gab es noch nie vorher. Oder Kafka-Fragmente von Kurtág. Und so gibt es eine lange, eindrucksvolle Liste. Ich denke auch, die Kafka-Fragmente werden viel zugänglicher, wenn man Bartók danach spielt. Ich fange immer alles anders an als die anderen, ich spiele nicht erst Bartók, es ist alles umgekehrt. Die zeitgenössische Musik ist etwas, was uns alle sehr stark angeht. Ich verstehe das Gegenteil nicht: Wie kann man sich heute Musiker nennen und sich nicht mit zeitgenössischer Musik beschäftigen? Sonst sind sie gewissermaßen Archivisten und Museumsführer – und machen das natürlich oft sehr gut.

Der Konzertbetrieb

nmz: Macht es Ihnen der Konzertbetrieb nicht schwer, alles aufzuführen, was Sie interessiert?

Kopatchinskaja: Es ist wirklich nicht einfach. Aber spätestens Markus Hinterhäuser als Intendant der Salzburger Festspiele hat bewiesen, dass man auch finanziellen Erfolg haben kann, wenn man sehr risikofreudig ist. Nämlich dann, wenn das Programm einen Inhalt hat, quasi eine Geschichte für sich ist. Ich glaube, was man wirklich gut und mit Leidenschaft macht, das wird immer Erfolg haben, egal ob man eine Putzfrau ist oder die Präsidentin. Die Kombination alter und neuer Werke ist jedenfalls wirklich attraktiv für das Publikum. Wir machen zum Beispiel Schumann und Ustwolskaja – ich bin ein ganz großer Fan von Galina Ustwolskaja, weil sie auf nichts Rücksicht nimmt. Auch die Kompromisslosigkeit ihrer Lebenshaltung imponiert mir sehr. Es ist so etwas wie eine Mission in meinem Leben, ihre Musik zu spielen, aber genauso die Musik von Boris Yoffe, den auch fast keiner kennt. Das ist eine absolut einmalige Musik, mit nichts zu vergleichen. Jeden Tag komponiert er ein Streichquartett, in mehr oder weniger offener Form, ohne Taktstriche, Dynamik und Tempoangaben, alles auf einer DIN-A 4-Seite. Das kommt einem beim Spielen so vor wie eine Beichte oder Meditation; es versetzt einen in einen besonderen Zustand von Bereinigung und Kontaktaufnahme mit sich selbst und miteinander. Es hat etwas sehr Magisches.

nmz: Haben Sie deswegen vor einem Jahr Ihr „quartet lab“ gegründet?

Kopatchinskaja: Ich möchte jetzt ein bisschen Streichquartett spielen, und ich bin sehr glücklich, dass ich mit Pekka Kuusisto, Lilli Maijala und Pieter Wispelwey drei faszinierende Kollegen finden konnte. Ich lerne so viel von ihnen! Wir sind vier Solisten, die sich sehr gerne mit diesem besonders tollen Repertoire auseinandersetzen wollen, denn das fehlt uns sonst. Wie kann ich ein Violinkonzert von Beet-hoven spielen, wenn ich nicht seine Quartette kenne? Und es geht nicht nur um das Kennen, sondern selber Leben, selber Ausprobieren. Da passiert so viel, auch mit einem selbst, es verändert einen. Dabei wollen wir gar nicht mit den bestehenden Ensembles konkurrieren, diesen homogenen Ton können wir sowieso nicht erreichen. Was uns fasziniert, ist eben die Kommunikation zwischen diesen vier ganz verschiedenen Individuen. Dabei geht es sehr darum, zuhören zu können. Um Rücksicht und darum, ein Teil von diesem Körper zu sein.

nmz: Und auch um die eigene Lesart oft gespielter Werke?

Kopatchinskaja: Die gibt es ja nicht mehr, diese eigene Lesart. Manchmal radiere ich deshalb den Namen des Komponisten aus, schreibe zum Beispiel Debussy über Brahms-Sonaten. Und plötzlich klingt das anders. Der Name ist ein Stempel, wir denken, Brahms muss so sein und nicht anders, und dann gibt es keinen anderen Weg mehr. Bei neuen Komponisten schreibe ich manchmal Schubert hinein, und dann weiß ich, wie ich das spielen soll. Oder bei Mozart habe ich Steve Reich hineingeschrieben.

nmz: Man muss sich also von Konventionen befreien und stets neue Aspekte finden können?

Kopatchinskaja: Ja, natürlich. Das ist ein ganz starkes Kriterium: Es darf nicht langweilig sein im Konzert. Es muss unterhaltend sein, es muss spannend sein, es muss einen neuen Aspekt zeigen und zugleich das Alte und Vertraute. Ein Konzert muss ein Abenteuer sein, nicht immer wieder dieses Vergewissern, dass es so war, so ist und immer sein wird. Das haben die Komponisten so nicht gemeint. Es muss leben!

Das Interview führte Isabel Herzfeld

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