Hauptrubrik
Banner Full-Size

Deutscher Musikrat: Medienpolitisches Positionspapier verabschiedet

Publikationsdatum
Body

Vertreter von über 100 Dachverbänden des Musiklebens verabschiedeten auf der diesjährigen Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrates den 4. Berliner Appell „Schöne neue Medienwelt: Kreative schützen!“. Das Positionspapier bündelt zentrale Forderungen für den Bildungs- und Kulturbereich in Bezug auf die Entwicklungsperspektiven der Medienlandschaft in Deutschland.

Hierzu Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates: „Medienpolitik ist auch unter kultur- und bildungspolitischen Aspekten Gesellschaftspolitik. Der Deutsche Musikrat möchte mit dem einstimmig beschlossenen 4. Berliner Appell einen weiteren Impuls für die gesellschaftliche Debatte setzen. Bei aller kritischen Auseinandersetzung innerhalb des dualen Systems ist vollkommen klar, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unverzichtbar für die Kulturelle Vielfalt in unserem Land ist und in der Wahrnehmung seines Bildungs- und Kulturauftrages gestärkt werden muss. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist nicht nur Kulturvermittler, sondern auch Kulturträger und damit ganz klar kein Telekommunikationsunternehmen.“ Berlin, 29. Oktober 2015

4. Berliner Appell – Schöne neue Medienwelt: Kreative schützen!

Neue Medien bieten großartige Chancen und Potenziale für die Musik und ihre Künstlerinnen und Künstler. Zunehmende Ökonomisierung der Medienlandschaft, marktliberaler Ansatz und totale Nutzerorientierung haben jedoch auch zu einer Nivellierung von Medienangeboten geführt. Diese beschleunigte Entwicklung wird irreparable Schäden zur Folge haben:

  • Dominiert ökonomisches Denken zunehmend kulturelles Denken führt dies unweigerlich zu Verlust an Qualität, an Vielfalt, an kultureller Kompetenz und Humanisierung
  • Vorherrschaft des Quantitativen vor dem Qualitativen (Quote, Reichweite, Klicks, Verkaufs- und Auflagenzahlen) führt zu von Profit getriebenem Mainstream
  • Verlust von differenziertem Denken und von Sensibilität führt zum Verlust der Kulturellen Vielfalt und zum Rückgang von Unterscheidbarkeit
  • Abnehmende Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die junge Generation führt zu Vorherrschaft des Privaten Rundfunks und der Digital Service Providers (Youtube, Google, Netflix, Spotify)
  • Kapitulation vor privater Medienmacht führt zum Versagen gestaltender Medienpolitik auf föderaler, nationaler und europäischer Ebene
  • Verlust von Kreativität und Entwicklungspotentialen
  • Extreme Rückgänge der Vergütungen und damit der Lebensgrundlage von Kreativen im Medienbereich: Rückgang der Verkaufszahlen von CD, DVD und Gratisnutzungen via Internet, Schrumpfen von Budgets bei Musik- und Filmproduktionen, von investigativer Berichterstattung.

Medienlandschaft braucht Kulturelle Vielfalt und Bewusstsein für Qualität. Deshalb fordert der Deutsche Musikrat wiederholt die Einführung eines Staatszieles Kultur im Grundgesetz.

Studien weisen nach, dass lineare Mediennutzung (Rundfunkangebot zu festen Uhrzeiten und Frequenzen) radikal von der hochindividualisierten, nicht-linearen Nutzung abgelöst wird (Medienangebot auf digitalen Plattformen, die nicht mehr an Sendezeiten gebunden sind). Jugendliche bevorzugen jetzt schon bis zu 80% nicht-lineare Mediennutzung. Diese Angebote sind bisher juristisch nicht oder aber national unterschiedlich geregelt. Die Mediennutzung erfolgt deshalb, abhängig vom Standort, in Bezug auf die Urheber- und Leistungsschutzrechte oft illegal. Darüber hinaus verhindern fehlende verbindliche Regelungen eine angemessene Vergütung der Kreativen. Dies schadet der Kultur- und Kreativwirtschaft und damit der Sicherung von Kultureller Vielfalt in hohem Maße. Daher muss Medienpolitik sich künftig primär mit den europäischen Rahmenbedingungen für Kreativität und Kulturelle Vielfalt im Internet befassen.

Faire Vergütung und Sicherung des kulturellen Schaffens

  • kein illegales Medienangebot oder Angebot mit Flatrates und Dumpingabos, klare Rechtssystematik
  • Freiheit im Internet darf nicht zu einer Entrechtung der Kreativen führen

Der Deutsche Musikrat fordert für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk:

  • Kulturausgleichsfinanzierungdurch digitale Verwerter und Senderfinanzausgleich im dualen System
  • Kulturauftrag als Pflichtaufgabe im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Qualität vor Quantität, Abkehr von Quotendenken)
  • Verbesserung der Programmqualität durch Unabhängigkeit von Werbeeinnahmen
  • Eine erweiterte Aufgabenstellung für Programm und Produktion (Musikvermittlung, Jugend- und Nachwuchsförderung, Musikbotschafter, gesellschaftliche und regionale Verankerung)
  • Erhalt der Klangkörper (Chöre, Orchester, Jazzformationen) in voller Besetzung in den Rundfunkstaatsverträgen zu verankern
  • Verstärkte Eigenproduktion des regionalen Musikschaffens in Hörfunk und Fernsehen (Jazz- und Rockbandproduktionen, Volksmusikproduktionen, Amateur- und Chormusik, Kammermusik und Orchesterproduktionen auch mit zeitgenössischem regionalen Repertoire); Aufzeichnungen von und Berichterstattung über Festivals (aller Musikgenres), Musiktheateraufführungen, Wettbewerbe, Musik in Kirchenkonzerten usw., Stopp von Kürzungen im Kulturbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
  • Beibehaltung der Aktivitäten als Kulturinitiator und Kulturträger, als Veranstalter von Festivals und Konzertreihen
  • Erweiterung des Anteils von Musiksendungen nicht konfektionierter Formate im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, keine Werkfragmentierung, Sendungen kompletter Konzertmitschnitte, höherer Anteil von Live-Sendungen
  • Dokumentation des Musiklebens und des Musikschaffens: Erhalt, Pflege und vollständige Digitalisierung der Archive, Kuratierung und redaktionelle Betreuung: der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Kulturträger für Musik.
  • Sicherung qualitativ hochwertiger Übertragungswege (mindestens CD-Standard) und deren Reichweite, Verbesserung des DAB-Standards und der DAB-Infrastruktur
  • Verzicht auf Musik-Dumping, keine Verwendung von Musik aus Lizenzmodellen ohne angemessene Urheber- und Interpretenvergütung (wie z.B. Creative Commons oder Buyout-Kataloge)
  • Entfristung der Mediatheken nur bei angemessenem Vergütungsausgleich der Urheber und Produzenten für den Wegfall von Zweit- und Drittausstrahlungen der Sender

Der Deutsche Musikrat fordert für den Privaten Rundfunk:

  • Kulturausgleichsabgabe in einen Senderfinanzausgleich
  • Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung für Kultur über Mainstream-Pop und Klassik-Klischees hinaus (Musikvermittlung, Dialog der Kulturen und Generationen, Regionalität)

Der Deutsche Musikrat fordert für die Printmedien:

  • Professionelle Kulturberichterstattung (Aufrechterhaltung der Qualitätsstandards in der Ausbildung von Musik- und Kulturredakteuren)
  • Revitalisierung des Feuilletons (Aufhebung der finanziellen und quantitativen Beschneidung)
  • Stärkere Akzentuierung der regionalen und lokalen Kulturberichterstattung

Der Deutsche Musikrat fordert für die Digital Service Providers (Streaming, Download):

  • Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für das digitale Medienangebot auf nationaler und europäischer Ebene – Reform der Providerhaftung (urheberrechtliche Verantwortung der anbietenden Plattformen) im Telemediengesetzes von 2007, um zu verhindern, dass DSPs wie z.B. „Youtube“ weiter mit der Verwertung von kreativen Inhalten anderer Werbeeinnahmen in Milliardenhöhe generieren, ohne für eine angemessene Vergütung der Urheber verantwortlich zu sein
  • Innovative Vergütungssysteme für Kleinstbeträge (ähnlich den Nutzungen im Handy- und Telekommunikationsbereich), Einführung von einfachen Bezahlmodellen wie z.B. Micropayment-Systemen, die für alle Beteiligten handhabbar und fair sind
  • Schaffung der Rahmenbedingungen für eine Selbstverpflichtung der Werbeindustrie – keine Werbung auf illegalen Plattformen, die Rechte Dritter verletzen und der Kulturwirtschaft schaden
  • Breitbandausbau und Netzneutralität sowie Technologieneutralität als Garant für Kulturelle Teilhabe
  • Territorialitätsprinzip: DSPs, die auf deutschem Territorium ihre wirtschaftlichen Gewinne erzielen, sollen diese auch nach deutschem Recht versteuern und dem deutschen Recht unterliegen

Der Deutsche Musikrat fordert Informations- und Medienkompetenz:

  • Informations- und Medienkompetenz in der heutigen komplexen Medienwelt ist wichtiger denn je – als Technologiekompetenz und als Kulturkompetenz.
  • Informations- und Medienkompetenz gehört in den Unterricht – der verantwortungsvolle Umgang mit Medien sowie die Wertschätzung des geistigen Eigentums muss frühzeitig und kompetent Kindern und Jugendlichen vermittelt werden.
  • Der Deutsche Musikrat fordert für die öffentlichen Träger der Kulturerbepflege (Museen, Bibliotheken)
  • Bildung von Standards zur Digitalisierung von Kulturgütern in öffentlichen Institutionen und zum Schutz der Rechte von Urhebern in diesem Zusammenhang
  • Kritische Hinterfragung ökonomisierter Kriterien zum Sammlungsaufbau (z.B. im Blick auf Parton driven Acquisition, d.h. „kundengesteuerte Erwerbung“) und Bildung fachgerechter Standards
  • Kritische Hinterfragung von Vernetzungen mit Digital Service Providern wie zum Beispiel Amazon, Google, YouTube etc. auf den Homepages und in den Recherchetools oder der Übernahme von deren Recherchestrategien (z.B. BibTip im Katalog der Universitätsbibliothek Heidelberg) und Bildung fachgerechter Standards

Als Grundlage für Kulturelle Vielfalt in den Medien fordert der Deutsche Musikrat die Sicherung der öffentlichen Kultur- und Medienfinanzierung im Rahmen von internationalen Abkommen. Kulturelles Schaffen braucht sozialmarktwirtschaftliche und gemeinwohlorientierte Ordnungspolitik.

Ort