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Gefährlicher Bruderzwist – Ukrainer sehen sich mit Russen im Krieg

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Ukrainische Nationalisten und zunehmend auch unpolitische Bürger überschlagen sich inzwischen mit Initiativen gegen den russischen Feind. In der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) zum Beispiel weisen Warnschilder in Läden auf in Russland produzierte Waren hin. „Kaufe nichts Russisches, denn Russisches tötet“ – lautet die Botschaft von Privatinitiativen. Es ist ein antirussischer Trend, der sich verstärkt, seit Russland sich im März die Schwarzmeerhalbinsel Krim einverleibte – und der blutige Konflikt in der Ostukraine andauert.

Schon seit Monaten sind zehn russische Fernsehsender in der Ex-Sowjetrepublik verboten. Im Innenministerium in Kiew arbeitet der Spitzenfunktionär Anton Geraschtschenko an einer Liste mit 500 Namen von russischen Kulturschaffenden, die künftig nicht mehr einreisen sollen in die Ukraine. Dabei sind ukrainische und russische Künstler stets ganz selbstverständlich im Land des anderen aufgetreten.

Aber mit dem Bürgerkrieg im Osten des Landes, wo prorussische Separatisten und Regierungstruppen kämpfen, bleiben auch die zwischenmenschlichen Beziehungen und die gemeinsame Kultur auf der Strecke. Zwar gibt es Berichte über Zehntausende ukrainische Flüchtlinge, die bei Verwandten in Russland unterkommen. Viele durch Mischehen und enge verwandtschaftliche Verhältnisse verbundene Ukrainer und Russen berichten aber auch von Zerwürfnissen oder sogar Brüchen in Familien. Grund sei die Politik.

Doch die ukrainische Politik geht längst weiter. Kulturgüter sollen künftig begutachtet werden – auf russische Propaganda hin. Zwei Filme wurden bereits verboten, darunter die russische Verfilmung von Michail Bulgakows „Die weiße Garde“, eines Schriftstellers aus Kiew.

Der Film von 2012 sei „antiukrainisch“, heißt es. Vizeregierungschef Alexander Sytsch will Bücher aus Russland nur nach Inhaltskontrolle auf den ukrainischen Markt lassen.

Die russische Sprache ist in der Ukraine deutlich weiter verbreitet als die ukrainische. Trotz aller Bemühungen dominieren im Fernsehen und Radio weiterhin russische Serien, Shows und Künstler. Die Russen warnen davor, die Gräben zwischen den Brudervölkern noch weiter zu vertiefen.

„Für die Ukraine ist das sehr gefährlich. Sie ist ja kein Hubschrauber, der mal eben irgendwo hinfliegen kann und dann – zum Beispiel – an Brasilien grenzt“, sagt der Leiter des russischen Kinokonzerns Mosfilm, Karen Schachnasarow. Viele mahnen immer wieder, dass Nachbarn doch nun einmal miteinander auskommen müssen. Ohne Gas aus Russland etwa kann die Ukraine weiter nicht ihre Energieversorgung gewährleisten.

Für Entsetzen in Moskau sorgte zuletzt ein Angriff in Odessa auf ein Konzert der auch in Russland beliebten Popdiva Ani Lorak. „Ich habe Angst, ich bin eingeschüchtert. Ich hätte niemals gedacht, dass mit mir in meinem Land so etwas geschehen kann“, sagte die 35-Jährige über die ultranationalistischen Aktivisten.

57 Prozent der Ukrainer sehen sich einer Umfrage zufolge mit Russland im Krieg. Auch das Lewada-Zentrum in Moskau veröffentlichte Befragungsergebnisse, wonach 55 Prozent der Russen inzwischen eine „negative“ Einstellung zu Ukrainern hätten. Viele Russen sehen ihre ukrainischen Brüder und Schwestern als Verräter, weil sie sich den USA andienen würden – in der Hoffnung auf Geld und Hilfe.

Auch die Ex-Sowjetrepublik Georgien ging unter ihrem von den USA unterstützten ehemaligen Präsidenten Michail Saakaschwili auf Konfrontation zu den Russen. Das mündete in einem Krieg 2008, als die Südkaukasusrepublik endgültig die Kontrolle verlor über ihre abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien.

Inzwischen ist Saakaschwili weg, in den USA. In seiner Heimat läuft ein Strafverfahren samt Haftbefehl wegen Amtsmissbrauchs gegen ihn.

Zuletzt war er immer wieder auch im Umfeld des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zu sehen. Seit Saakaschwili sein Land verlassen hat, normalisiert sich das Verhältnis zu Russland allmählich – trotz einer proeuropäischen Politik. Russen trinken wieder Wein und Mineralwasser aus Georgien. Meinungsforscher von Lewada teilten zudem mit, dass nach dem Krieg die Russen heute wieder überwiegend gut auf die Georgier zu sprechen seien.

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