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Szene aus „Der Spieler (Vierter Akt).  Foto: Bernd Uhlig
Szene aus „Der Spieler (Vierter Akt). Foto: Bernd Uhlig
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Sehnsucht nach einer verblichenen Hotelkultur – Andrea Breth aktiviert Sergej Prokofjews Oper „Der Spieler“ in Amsterdam

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Die Idee, Fjodor Dostojewskijs „Igrok“ mit Musik zu bedenken, soll Sergej Prokofjew bereits 1914 in London gekommen sein und dem Impresario Sergej Diaghilew kommuniziert haben. Der aber wollte lieber eine neue Ballett-Komposition, da „die Oper tot“ sei. Der junge Pianist und Komponist war jedoch der Meinung, dass diese totgesagte Gattung aus den Geistern der commedia dell‘arte Carlo Goldonis und Carlo Gozzis (sowie deren temporärem Zeitgenossen Mozart) zu einem neuen (postromantischen und postveristischen) Leben zu motivieren sei.

Er setzte sich daher im folgenden Jahr an die Arbeit und eine eigenhändig angefertigte Reduktion von Dostojewskijs Baden-Baden-Roman in Musik. Die für 1916 in Aussicht gestellte Uraufführung wurde mehrfach verschoben. Dann kam in Petersburg Revolution auf die Tagesordnung und es gab erst einmal vordringlichere Aufgaben, als die Liebessorgen und Geldnöte der Müßiggänger des hohen 19. Jahrhunderts auf die Bühne zu hieven. 1929 kam „Der Spieler“ dann ans Licht  – im Théâtre de la Monnaie in Brüssel.

Von da an konnte sich die Opernwelt an den Klopfsignalen erbauen, die von Anfang an aus Prokofjews Musik hervortreten, und an ironisch gebrochenen Schönheiten einer versunkenen demi-mondänen Welt. In der überbrückte alter und neuer Adel respektabler Ränge (aber längst ohne historischen Rang) zusammen mit frisch auf- und abgebrühten Couponschneidern die Langeweile des Lebens.

Das Pack, dem Prokofjews Libretto einen vorrevolutionären Respekt entgegenbrachte, nahm sich in seiner Genussgier und Unterhaltungssucht so lächerlich ernst wie in seinen Weltanschauungen, Weltschmerzen und Weltekeln. Geld und, wenn man es so nennen mag, Liebe waren um 1865 in Roulettenburg ähnlich verschränkt wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts bei den Groenewolds, Wulffs, Burdas und Dr. Furtwänglers.

Im Grunde taugte schon Dostojewskis Spieler-Literatur am ehesten für eine Operette, die heute noch einmal späten dekadenten Charme oder trashiges Vergnügen entfalten könnte. Aber das Theater muss und will sich mit einer großen Komischen Oper abgeben, die trotz aller vom Komponisten selbst vorgenommenen orchestralen Reduktionen heute immer noch als unangemessen aufwendig bezüglich der musikalischen Mittel und daher als zu aufdringlich erscheinen mag.

Gediegenes Opernpräsent in edel-teurer Verpackung

Mit Klängen, die Errungenschaften der „Skytischen Suite“ von 1916 fortschrieben, wurde das Leben der reichen Exilrussen in einem südwestdeutschen Badeort eingekleidet (der Schauplatz ist leicht als Baden an der Oos zu erkennen, wo auch Dostojewski Erfahrungen mit der Spielsucht machte). Ein Tonsatz, in dem eine ansatzweise neoklassizistische Lineatur die Basis für eine virtuos komponierte Konversationsmusik stiftet, wurde mit Allegro barbaro und Anmutungen der Musik des Balkans oder des Kaukasus angereichert. Mit Anspielungen auf verschiedenste Etagen der Musikgeschichte und sogar neuesten bruitistischen Errungenschaften sekundierte Prokofjew einem kurzen Ausschnitt aus der Lebensgeschichte des sehr selbstbewussten Hauslehrers Alexej, der die Stieftochter eines zaristischen Ex-Generals belagert – erfolglos. Denn Polina hat besseres mit sich vor, das heißt: will höher hinaus mit den Gaben, die in den Tiefen ihrer russischen Seele und ihres jungen Körpers schlummern. Sara Jakubiak lässt die Reize stimmlich aufflackern, mehr aber noch den Stolz der theoretisch gut erzogenen höheren Tochter, die sich vom rasch gewonnenen Geld des Spielers Alexej nicht kaufen lässt. John Daszak, der junge Glatzkopf, bestreitet die Titelpartie viril-attraktiv und zielgenau, beglaubigt das Sehnen und Verlangen wie Robustheit in den Intrigen und hemmungslose Suchtstrukturen mitsamt einer fast anrührenden Weichheit gegenüber der Härte des sogenannten „schwachen“ Geschlechts. Dem General a.D., der als Lebemann längst über seine Verhältnisse und daher in akuter Geldnot sowie verstrickt in zumindest fragwürdige Finanzaktionen lebt, verleiht Pavlo Hunka souverän tragikomisches Format. Zusammen mit zwei Dutzend weiteren Hotel- und Spielbankgästen sorgen die Sänger-Protagonisten in Amsterdam für einen Konversationston, dem Marc Albrecht mit dem Residentie Orkest den dynamischen Takt, manchmal brillante Härte und würzige Schärfe unterzieht.

Die Regisseurin Andrea Breth unterwirft den „Spieler“ und dessen Umfeld kleineren geographischen Verrückungen und einer größere historischen Verschiebung. Vom Park eines Hotels in der Zeit um 1865 rückt die Exposition der Handlung in das dunkel getäfelte und durch große Glasscheiben sich generös gebende Foyer eines noblen Etablissements, wie es um 1905, 1915 oder 1925 in einer x-beliebigen europäischen Stadt hätte auf Kundschaft warten können – ein Ort mit opulenten Zimmerpalmen, aber ohne die kleinste optische Eintrübung des schönen Scheins, die in der Wirklichkeit stets gegeben war, weil dann doch wenigstens ein Mülleimer irgendwo deplatziert herumstand oder eine gesprungen Glasscheibe noch nicht repariert war. Doch so weit reicht das auf „perfekte“ Schönheit geeichte Kunstverständnis des Bühnenbildners Martin Zehetgruber und der Regisseurin nicht. Die Ungebrochenheit ihrer Installationen sucht auf eindeutige Weise Einverständnis mit den durch Hochglanzfotos konditionierten Augen der Zuschauerschaft (auch der Blick in Alexejs Dienstbotenzimmer im vierten Akt offenbart Elend auf einem noch respektablen Niveau).

Stricken/Verstrickung; hui!

Den Auftritt der schon fast tot geglaubten, aber unerwartet aus Russland anreisenden Erbtante Babulenka und deren Triumph über die verkommene Verwandtschaft inszenierte Andrea Breth als ansprechende Slapstick-Nummer (geschmackssicheres Theater vermeidet allerdings den neuerlichen Einsatz des Rollstuhls seit drei Jahrzehnten). Renate Behle wurde schrillt aufbereitet und intonierte die Partie der rücksichtslosen Alten extra schrill. Auch die Verstrickung des Generals ins Strickzeug von Babulenkas strickendem Faktotum ergab hübschen Theaterhumor der harmlos unterhaltenden Sorte (und mit Aha-Erlebnis: Stricken/Verstrickung; hui!). Zur großen Spielhöllen-Szene brachte Breth die zuvor szenisch streckenweise dahindümpelnde Inszenierung durch permanente Rotation der Spieltische und viel Hin- und Her-Getrabe auf trapp.

Die Situation, ließ Andrea Breth verlauten, „straight away becomes existential“. Dabei gehörte Erbschleicherei schon zu den bewährtesten Sujets der commedia dell’arte, wurde während der Inkubationszeit des „Spielers“ beispielsweise auch von Puccini in dessen 1918 uraufgeführten Einakter „Gianni Schicchi“ aktiviert. Es ist zwar schiere Banalität, wenn die Regisseurin – zitiert vom Dramaturgen – auf die Obsessionen verweist, die eine Persönlichkeit verändere und heiterer Unfug, dass sie der Beziehung von Polina und Alexei „Komplexität“ bescheinigt. Aber sie führt die Personen konservativ genau bei ihren Dialogen, die klassische Klischees versammeln und schließlich auf scharf zu Tage tretende Suchtstrukturen verweisen.

Amsterdam hat zur Adventszeit ein gediegenes Opernpräsent in edel-teurer Verpackung bekommen, das jeden Verdacht von sich weist, die von Dostojewski und Prokofjew ins Visier genommenen Gesellschafts- und Suchtstrukturen könnten irgendetwas mit hier und heute zu tun haben. Die Regisseurin hat ihren höheren Auftrag zur vollsten Befriedigung erfüllt.

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