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Nur billige Arbeitskräfte?

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Zum Protestkonzert von Lehrbeauftragten in Stuttgart
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„Froh zu sein bedarf es wenig, doch bald habt ihr uns erledigt“ – mit dieser Neufassung des bekannten Kanons von Heinrich Leberecht August Mühling machten rund 70 Lehrbeauftragte an baden-württembergischen Musikhochschulen in Stuttgart auf ihre Probleme aufmerksam. Fernsehen und Tageszeitungen berichteten über die als Protestkonzert organisierte Kundgebung, die auch auf die Lage der Lehrbeauftragten in den übrigen Bundesländern hinweist.

Warum gehen Musiker auf die Straße? Üblicherweise, um ihr Einkommen aufzubessern. So gesehen war das Konzert am 23. Oktober auf dem Stuttgarter Schloss
platz nichts Besonderes. Vor allem im Sommer oder wie jetzt in der Vorweihnachtszeit bevölkern wahlweise Obdachlose mit Gitarre, ausländische Perkussionsgruppen oder gelegentlich auch Musikschüler und -studierende die Straßen und Plätze, den aufgeklappten Instrumentenkoffer vor sich, für einen Obolus der Passanten spielend. Auch an die Straßenauftritte vorwiegend osteuropäischer Musikdozenten, die in ihren Heimatländern vergleichsweise lächerlich wenig verdienen, hat man sich gewöhnt. Aber jetzt stehen da schon die eigenen Leute, wenn auch nicht als Straßenmusiker, sondern als Demonstranten, die eine bessere Bezahlung für ihren Berufsstand fordern. Aktionen dieser Art kennt man von professionellen Musikern sonst nicht. Jammern die Lehrbeauftragten im finanziell so gut gestellten Südwesten mit seinen fünf Staatlichen Musikhochschulen nicht doch auf sehr hohem Niveau?

Mitnichten, stellt Ulrike Höfer, die Vertreterin der Lehrbeauftragten, in ihrer Rede klar. Sonst ließen Musiker traditionellerweise vor allem Töne sprechen. Im Fall der Lehrbeauftragten aber liege „lupenreine Ausbeutung“ vor – dies ist keine Behauptung von Seiten Ulrike Höfers, sondern die von ihr zitierte Aussage eines Prorektors an einer deutschen Musikhochschule.

Denn die Vergütungslage ist dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und dem Finanzministerium des Landes schon lange bekannt. Seit 1987, also seit 20 Jahren, wurden die Bezüge der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen nicht mehr angepasst. Zwar erhielten die Hochschulen 2001 die Erlaubnis, die Honorare um bis zu 30 Prozent zu erhöhen, ein weiterer Erlass des Finanzministeriums vom Mai 2007 gestattet Freiheiten bei der Honorierung der Lehrbeauftragten je nach Bedeutung des Unterrichts oder anderen „besonderen Umständen“. Aber für eine Umsetzung der Beschlüsse gab es keine zusätzlichen Haushaltsmittel vom Land Baden-Württemberg. Vielmehr wurden den Musikhochschulen die Gelder im Rahmen globaler Minderausgaben gekürzt. Dadurch schwand auch die Hoffnung, höhere Honorare mittels Studiengebühren finanzieren zu können.

In einem Schreiben an den Ministerpräsidenten und die betroffenen Ministerien kritisierten die Lehrbeauftragten im Vorfeld der Stuttgarter Protestveranstaltung – die in Freiburg fortgesetzt wurde – die Entscheidungen auch aus anderen Gründen: Bei den Vergütungen gebe es zwar eine Ober-, aber keine gesetzlich geregelte Untergrenze (das niedrigste Honorar in Baden-Württemberg liegt bei derzeit 22 e je Unterrichtseinheit, die Vorbereitungszeit wird nicht honoriert). Zudem übe der aktuelle Erlass Druck aus auf die Hochschulen, die sich trotz Sparzwängen profilieren müssten, um ihren Erhalt zu sichern. Doch vor allem sei die Vergütung des Hochschulpersonals Landessache, somit stelle auch eine Honorarerhöhung durch Studiengebühren keine Lösung dar.

Ulrike Höfer und die anderen Vertreter aus Freiburg, Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim und Trossingen sprechen keineswegs für eine kleine Minderheit. Rund 40 Prozent des anfallenden Unterrichts an den Musikhochschulen im Land wird mittlerweile von Lehrbeauftragten geleistet. Ursprünglich waren sie als Ergänzung zu den Professoren gedacht, doch aufgrund reduzierter Mittel und damit fehlender fester Stellen nahm die Zahl der Lehraufträge im Lauf der Zeit zu. In anderen Bundesländern liegt ihr Anteil zum Teil noch deutlich höher.

In den meisten Fällen übernehmen die freiberuflichen Lehrbeauftragten, also Akademiker mit Musikhochschul- oder Universitätsabschluss zum Beispiel im Bereich Musikwissenschaft, die gleichen Aufgaben wie die finanziell weit besser gestellten Professoren. Doch das Honorar der Lehrbeauftragten wird während der Semesterferien oder im Krankheitsfall ausgesetzt. Ihre Verträge werden nur von Semester zu Semester erneuert, ohne dass deshalb ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung bestünde, was den Hochschulen zwar ein auf die Bedürfnisse zugeschnittenes Unterrichtsangebot ermöglicht, aber zu Beschäftigungsunsicherheit bei den Lehrkräften führt. Für Kritik sorgt auch, dass die Zahl der Unterrichtswochenstunden für die Lehrbeauftragten begrenzt ist, um möglichen Ansprüchen auf eine hauptberufliche Beschäftigung zuvorzukommen. So müssen die Hochschulen auch keine Sozialbeiträge abführen.

Auf dieser Grundlage könne nicht länger eine verantwortungsvolle Arbeit gerade in der Ausbildung von künftigen Berufsmusikern geleistet werden, lautete die einhellige Meinung der Lehrbeauftragten und studentischen Vertreter in Stuttgart. Gerade die musikalisch-pädagogische Tätigkeit, die die höchste berufliche Qualifikation und zeitaufwändigste Unterrichtsvorbereitung erfordere, dürfe nicht zum unterbezahlten Nebenjob verkommen.
Auch in anderen Studieneinrichtungen wie etwa den Universitäten gibt es Missstände in der Vergütung von Lehrbeauftragten. Doch an den Musikhochschulen ist der Anteil an Unterricht, der von schlecht bezahlten und ungenügend abgesicherten Lehrkräften gehalten wird, besonders hoch. Ein zunehmend kritisches Bewusstsein der eigenen Lage hat sich auch in anderen Bundesländern entwickelt: Vertreter der Musikhochschulen Frankfurt/Main, München und Würzburg bekundeten den Kollegen in Baden-Württemberg ihre Solidarität, auch der Deutsche Tonkünstlerverband e. V. (DTKV) unterstützte in einem Grußwort die Interessen der Lehrbeauftragten. Diese fordern vom Land nach der jahrzehntelangen Verschleppung ihrer Angelegenheiten eine deutliche Honorarerhöhung als Inflationsausgleich und eine jährliche Anpassung der Honorarsätze analog zu den Tarifen im Öffentlichen Dienst.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) beteiligte sich an der Aktion. Kunst- und Musikhochschulen führten in der offiziellen Wahrnehmung ein Schattendasein, so der GEW-Landesvorsitzende Rainer Dahlem, der sich für eine Unterstützung der Hochschularbeit auch jenseits von Exzellenzinitiativen aussprach. Johannes Stober, Mitglied der SPD-Landtagsfraktion und des Wissenschafts- und Umweltausschusses im Landtag, kritisierte den im März des Jahres unterzeichneten Solidarpakt II, der die Hochschulen vor allem beim Ausbauprogramm 2012 finanziell stark in die Pflicht nehme. Dabei brauchten die Hochschulen im Gegenteil mehr Geld vom Land, um die Situation in der Lehre zu verbessern.

Nicht verwunderlich, dass sich die Lehrbeauftragten zunehmend als Spielball im Streit zwischen Hochschulen und Landesregierung um Haushaltsmittel und Lehrinhalte begreifen. Für eine angemessene Entlohnung werden sie wohl noch eine Weile kämpfen müssen – notfalls wieder auf der Straße.

Zur Situation der Musikdozenten erschienen bereits: „Lehrbeauftragte an Hochschulen für Musik – eine unterprivilegierte Gruppe“ von Dr. Dirk Hewig, 2. Vizepräsident im DTKV (nmz 3/05) sowie „Gewachsenes Unrecht – Zur Situation der Lehrbeauftragten an Hochschulen für Musik“ von Markus Bellheim (nmz 5/05).

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