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Freunde der Rockmusik werden auch älter

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Angebote der öffentlichen Musikschulen für die Altersgruppe „50+“
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Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) hat in einer Blitzumfrage seine Mitgliedsschulen befragt, was für Musikangebote sie den erwachsenen, älteren und sehr alten Menschen machen. Ein erster Blick auf die Ergebnisse:

Längst haben Unterrichtsangebote für Erwachsene in den VdM-Musikschulen Tradition, vor allem Instrumentalunterricht für Wie-dereinsteiger und Neueinsteiger. Dies gilt besonders für Menschen im dritten, nachberuflichen Lebensabschnitt, seltener für Menschen im vierten Lebensabschnitt, die Hochbetagten. Die musikalisch aktiv Gebliebenen und die Wiedereinsteiger spielen besonders gerne Kammermusik. Im Vordergrund steht die Anwendung des Gelernten beziehungsweise die Fortsetzung der bisherigen persönlichen Musikpraxis. Generationsübergreifende Projekte bilden einen hohen Prozentsatz. Vor allem sind dies Musicalprojekte, in denen neben Kinder- und Jugendlichenrollen auch Erwachsenenpartien zu besetzen sind, sehr oft auch generationsübergreifende Ensembles wie Orchester und Bands. Sympathisch sind auch Musikschulensembles, die in Alteneinrichtungen mit den dortigen Bewohnern zusammen musizieren. Häufiger allerdings sind altershomogene Projekte, in denen die Älteren und Alten unter sich sind: in Instrumentalensembles, Sing- und Tanzkreisen.

Eine starke Nachfrage gibt es für Veranstaltungen mit Bildungscharakter. Meist handelt es sich dabei um Musikgeschichtskurse und Konzerteinführungen mit anschließendem gemeinsamen Konzertbesuch. Gut angenommen werden auch Kurse „quer durch die Musik“: Man probiert verschiedene Instrumente aus, geht zu einem Musikgeschichtsvortrag oder singt etwas, probiert erstes Instrumentalspiel oder besucht eine Rhythmikstunde. Die Besichtigung einer Instrumentenfabrik oder einer Musikeinrichtung schließt sich an … Häufiger werden Angebote in Elementarer Musikpädagogik (EMP). Sie bewährt sich als künstlerisch-päda-gogische Praxis, die für alle Lebensalter geeignet ist, auch für hochalte Menschen, besonders für solche, die kein Instrument zu spielen gelernt haben oder die dies jetzt nicht mehr spielen können. Die EMP ermöglicht auch im hohen Alter Musikpraxis, Erfahrungen und Erlebnisse musikalischer Grundprinzipien, die Förderung der bewegungsmäßigen, stimmlichen oder instrumentalen Ausdrucksfähigkeit und des gemeinsamen Musizierens.

Auf dem Vormarsch befindet sich die Rockmusik mit immer mehr Rockbands mit Älteren. Denn die Menschen finden im Alter nicht – wie oft vermutet wurde – wie selbstverständlich zur Klassik, sondern zur Musik ihrer Jugend zurück. Bald werden in den Alteneinrichtungen ganz andere Klänge zu hören sein, wenn dort die Freunde der Rockmusik einziehen. Auch Aktiv-Angebote nehmen stark zu. So schlagen Musikschulen Alteneinrichtungen Kurse vor, in denen die Menschen nicht nur bespielt werden, zum Beispiel mit Schülerkonzerten, sondern in denen sie selbst aktiv werden, singen, sich bewegen, einfaches Instrumentalspiel praktizieren und über Musik sprechen.

Als Bewegungsangebote gibt es Fol-kloretanz, Sitztänze, Rhythmik, Tai Chi, „Tanz gegen Alzheimer“, „Spaß am Tanzen entdecken und dabei sportlich etwas tun“, gemischte Kurse wie „Rhythmus – Bewegung – Stimme“. Hier lernen die Musikschulen von den Sportverbänden.

Die Musikschulen entwickeln auch zunehmend Angebote für Menschen mit abnehmender Mobilität, für Sitzende und Liegende, für die „Slow-Goes“ und die „No-Goes“.

Die Projekte für den vierten Lebensabschnitt (Hochalte) haben häufig Begegnungscharakter, einen sozialen Zweck. Um die Musik herum wird geklönt, bei Kaffee und Kuchen.

Die meisten Maßnahmen der Musikschulen für Menschen im dritten und vierten Lebensabschnitt finden – je älter die Teilnehmer/-innen sind und je mehr Mobilitätsprobleme sie haben – verständlicherweise in den Alteneinrichtungen selbst statt. Die Projekte dort werden teils von den Heimen, teils von den Bewohnern in Form von Teilnehmerbeiträgen bezahlt. Dabei gibt es Mischfinanzierungen aus beiden.

Im Vergleich zu den Angeboten für Kinder und Jugendliche bestehen Unterschiede bei der Zeitorganisation. Häufig finden für Menschen im dritten und vierten Lebensabschnitt zeitlich befristete Projekte statt. Man experimentiert mit Angeboten, die „Clubcharakter“ haben, mit offenen Angeboten, die nicht zum regelmäßigen Besuch zwingen, denn nicht alle Älteren wollen oder können sich kontinuierlich und längerfristig binden. Man will mal verreisen, will noch etwas anderes ausprobieren, ist auch mal krank. Daher finden oft Einzelworkshops statt oder Kurse, die auf ein halbes Jahr oder auf wenige Termine begrenzt sind: „Beginn nach der Gartensaison, Ende mit Beginn der Weihnachtsaktivitäten“ (Hoyerswerda). Es gibt „Flexi-Karten“ mit geringer Stundenzahl, die mit den Lehrkräften terminlich frei verabredet werden können. Selbstverständlich müssen Musikschullehrkräfte für die Arbeit mit Älteren und Alten speziell qualifiziert werden. Diese bewirken dann prompt eine steigende Nachfrage. Die Ausbildungen heißen Erwachsenen- oder Seniorenpädagogik oder Musikgeragogik.

Interessant sind methodische Erfahrungen, wie sie die Musikschule Bannewitz dem VdM in einem Zwischenbericht gegeben hat. Dort wurde Erwachsenenunterricht als wissenschaftlich begleitetes Projekt durchgeführt, gemeinsam mit drei anderen europäischen Musikschulen. Ein Ergebnis war unter anderem, dass Erwachsene und ältere Schüler selbstkritischer als Kinder sind. Es muss daher möglichst genau nachgefragt werden, was die Kunden im Unterricht machen wollen, da sonst leicht Frustration und Enttäuschung aufkommen. Erwachsene, die öfters überfordert werden oder sich auch nur überfordert fühlen, beenden schnell den Unterricht. Große Freude, so ein weiteres Ergebnis, empfinden sie vor allem am gemeinsamen Musizieren, sei es mit dem Lehrer oder mit anderen Schülern. Voraussetzung dafür ist, ausreichend Literatur parat zu haben, die genau dem Kenntnisstand des Schülers entspricht.
Der VdM erarbeitet zurzeit eine Handreichung für seine Mitglieder, in der die Ergebnisse der Umfrage dokumentiert und transferfähige Projekte als Anregungen zu ähnlichen Angeboten genauer beschrieben werden. Zusammen mit namhaften Fachleuten wird außerdem ein Fortbildungsangebot entwickelt. Die Ausschreibung hierzu wird in Kürze veröffentlicht.

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