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Auf dem Wasser zu singen: „Oresteïa“ bei den Wiener Festwochen. Foto: Klaus Rudolph
Auf dem Wasser zu singen: „Oresteïa“ bei den Wiener Festwochen. Foto: Klaus Rudolph
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Atavistisches Ritual nebst Tatütata: „Oresteïa“ mit Musik von Iannis Xenakis bei den Wiener Festwochen

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Carlus Padrissa, Gründer und Motor der katalanischen Bewegungskünstlergruppe La Fura dels Baus aus Balsareny, ist ein vielbeschäftigter Theatermann. Die unterschiedlichsten musikdramatischen Werke versieht er mit additiver Körperartistik – er animierte Richard Wagners „Ring“ in Valencia, bestückt „Tristan und Isolde“ in Lyon oder lässt zu Karlheinz Stockhausens Sternenklängen auf dem Kölner Messegelände hochgemut klettern. Gestützt auf Text-Stellen von Aischylos und verschiedene zwischen 1965 und 1992 entstandenen Arbeiten für Kammerensmbles von Iannis Xenakis (1922–2001) montierte er nun für ein Opern-Air-Event der Wiener Festwochen seine Version der „Oresteïa“.

Von der breiten Treppe vor der Karlskirche führt ein Steg über die Steinplatten des Karlsplatzes und durch das flache Wasser des großen Brunnentrogs. Bei fortgeschrittener Dämmerung setzt sich eine Prozession von Fackelträgern in Bewegung von der Fassade des gegenreformatorischen Prachtbaus in Richtung des Baldachins, unter dem die Musiker des Remix Ensembles Casa da Musica postiert wurden – sie schweben dort über den brackigen Wassern. Ein Kahn wird durch den Tümpel gezogenen, dessen hinterer Teil trocken gelegt und mit einem Erdwall aufgeschüttet wurde, auf dem sich später gesteigerter Feuerzauber zeigt. Auch in die untersten Regionen der Lüfte steigen im Laufe des Abends noch einzelne Mitwirkende auf. Gelegentlich wird Erde in die Höhe geworfen oder ins Wasser gestreut.

Es geht also in einer gewissen Ausführlichkeit um das, was von Alters her als die vier Grundelemente angesehen wurde. Die akustischen Verhältnisse lassen freilich nicht zu, dass die Zuschauer, die zunächst noch in dichten Reihen rings herum stehen, von den womöglich altgriechischen Texten etwas verstehen, die der Bariton Carl Rosmann, der Webern Kammerchor und drei Schulchöre beisteuern. Die schlichte Botschaft der Raum- und Klanginstallation auf dem weiten Platz ist: Hier wird ein atavistisches Ritual beschworen! Und ab und zu lärmt im Hintergrund die Rettung von der Wienzeile her die Lothringerstraße entlang. Tatütata.

Die Erwägungen, die zur Wahl dieses Spielorts führten, waren wohl keineswegs künstlerischer Urnatur. Der Karlsplatz ist eine der Hauptumschlagsplätze des öffentlichen Nahverkehrs in der österreichischen Hauptstadt. Er war lange Zeit Schwerpunkt des Drogenkleinhandels und der Straßenkriminalität. Letztere wurden durch massive Polizeipräsenz eingedämmt (bevorzugt kommen hier, so hört man, die Beamten zum Einsatz, die als schwarze Schafe auffielen). Nun hat die kommunale Kulturbewirtschaftung das einst auf der ehemaligen Stadtbefestigung architektonisch unglücklich angelegte und stadtplanerisch vernachlässigte riesige Areal ins Visier genommen. Nachdem dort von Zeit zu Zeit bereits Rock- und Pop-Konzerte den Lärm- und Alkoholkonsumpegel heben, wird das Gelände nun von dem vereinnahmt, was im Namen der „Musikstadt Wien“ allemal so stolz auf sich ist.

Doch was da vom Winde verweht wird – die Xenakis-Musikfolge mit den dazwischengestreuten Aischylos-Zitaten – kann an einem akustisch derart ungeeigneten Ort kaum sinnvoll zur Geltung kommen. Der Dirigent Peter Rundel kümmert sich sichtlich engagiert in mehreren Runden um das Zusammenwirken der teilweise elend weit von den Instrumentalisten entfernten Choristen. Die kräftiger strukturierten Perkussionseinlagen zum flackernden Fackelschein oder zum ansehnlich brennenden Feuerseil erscheinen plausibler. Eine gewisse Suggestionskraft entwickelte die Bestattungs-Szene, bei welcher wohl der von Orest niedergestreckte Ägisth, der Liebheber der Mutter Klytemnästra und Helfer beim Mord am Vater Agamemnon, den Flammen übergeben wird. Ganz offensichtlich streikte dann aber die Verstärkeranlage, was ein weiteres Handicap bescherte. Etwas verloren wirkte der karge, angestrengte finale Kindergesang vom Klettergerüst in der Mitte des Wasserbassins. Doch waren zu diesem Zeitpunkt die meisten Zuschauer des Gratis-Events schon abgewandert.

Gelegentlich gaben das Recken einer Waffe oder die lauernden Furien Hinweise zu dem auf Comic-Dimension abgespeckten Text und dem womöglich intendierten Theatersinn. Immerhin geht es mit dem Fall des Orest ja um die Erörterung der Anfänge von Rechtsstaatlichkeit, die an Stelle von Vatermord und Blutrache trat. Das wäre übrigens etwas, was wieder argumentativ herauspräpariert werden dürfte und sich nicht in einem feuerfrohen Ritual verstecken sollte. Auch wenn ein Regisseur dem Wort gegenüber höchst skeptisch gestimmt ist und auf stellvertretende Bewegung setzt.

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