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Moses und Aron an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Moses und Aron an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Auf einem hohen Berg von Leichen – Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ an der Komischen Oper Berlin

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Nach den beiden anderen Opernhäusern in Berlin hat auch die Komische Oper Schönbergs unvollendetes, erst 1957 uraufgeführtes zwölftöniges Bekenntnisdrama „Moses und Aron“ herausgebracht. Mit einem Mammutaufgebot an 200 Choristen und fast ebenso vielen Dummies inszenierte Hausherr Barrie Kosky zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz die Suche nach wahrem Glauben und Heimat. Ein widerspruchslos aufgenommener, aber nicht unproblematischer Premierenabend.

In der Ausstattung von Klaus Grünberg wirkt die Bühne der Komischen Oper diesmal wie ein Breitwand-Theater, mit tiefem Plafond, welcher die in die Höhe führenden Auftrittsstufen fast gänzlich verdeckt. Auf den brennenden Dornbusch wird verzichtet, stattdessen fangen Moses’ ausgezogene Schuhe Feuer und wandern alleine über einen rampenparallelen, in den Boden eingelassenen Gittersteg.

Regisseur Barrie Kosky deutet die ungleichen, sich ergänzenden Titelgeber von Schönbergs Opern-Torso „Moses in Aron“ als Parallelfiguren zu Estragon und Wladimir in Becketts „Warten auf Godot“.

Mit einem projizierten Beckett-Zitat wird Aron als „Zauberer“ eingeführt, der noch vor dem Wunder der ehernen Schlange Taschenspielertricks mit Blumen, schwebendem Spazierstock und bunten Tüchern vollführt und seine Fingerkuppen leuchten lässt. So gelingt es Aron, das untereinander zerstrittene, an viele Götter glaubende Volk für den einen, unsichtbaren Gott zu faszinieren. Vor dem sich pausenlos anschließenden zweiten Akt zeigt Moses, dass auch er von seinem die Bilder liebenden und provozierenden Partner bereits ein wenig das Zaubern gelernt hat: auf seinem weißen Taschentuch lässt er den Zion-Stern erscheinen und verschwinden. Das symbolisiert wohl seine Überlegungen, das amorphe, miteinander streitende Volk ins gelobte Land zu führen, einen Staat Zion zu errichten. Auch nimmt dies stumme Aktion Bezug auf den Spruch des zunächst zum Protestantismus konvertierten, dann zur jüdischen Religion rekonvertierten Schönberg, „Ich habe mich entschlossen, meine bisherige Tätigkeit als Komponist, Schriftsteller, Musiktheoretiker u. s. w. aufzugeben und hinfort nur mehr eines zu tun: für die Errettung des Judentums arbeiten.“

Der Chor der Komischen Oper Berlin agiert auf der Bühne mit exzessiv fuchtelnden Arm- und Körperbewegungen. Im zweiten Akt führt er lebensgroße, augenlose und zumeist glatzköpfige Puppen mit sich, die beim Exzess des Tanzes um das goldene Kalb durch die Luft geschleudert und am Ende der Szene zu einem Berg von Leichen und Leichenteilen gehäuft werden, der bis an die Decke reicht. Anstelle der Konstruktion eines Goldene Kalbes sammelt eine Alte in Zauber-Zylindern goldene Ketten ein, und im flackernden Licht einer alten, handgedrehten Kamera projiziert Aron im Gold-Outfit einer Zwanzigerjahre-Tänzerin Berlins männliches Busenwunder mit Federkopfputz drei ebenso geschmückte, halbnackte, flachbrüstige Tänzer. Hingegen verzichtet der Regisseur auf den Auftritt der von Schönberg geforderten „Vier nackten Jungfrauen“, und auch „Der nackte Jüngling“ ist nur als Stimme zu vernehmen. Stattdessen steht, als Höhepunkt der Zeremonie des Tanzes um das Goldene Kalb, die Alte, nun mit nackten, goldfarbig bemalten Brüsten und weit geöffnetem, zahnlosen Mund an der Rampe. Der sich anschließende Zeugungsvorgang erfolgt Off-Stage. Als Operateur an der Kamera wird Aron von schwellköpfigen Zwergen abgelöst, deren Masken an Sigmund Freud, Theodor Herzl und an den Regisseur Fritz Lang erinnern.

Statt auf dem Berge Sinai steht der lange vermisste Moses auf dem getürmten Berg von Leichen und Leichenteilen. Und statt der mitgeführten Gesetzestafeln hat er die Gebote blutig in seinen Oberkörper geritzt; als er erkennt, dass Aron während seiner Abwesenheit seine Idee verbildlicht ad absurdum geführt hat, kann er daher keine Gesetzestafeln zertrümmern, sondern durchbohrt sich selbst mit einem zerbrochenen Zauber-Spazierstock. Aron hat ihn zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen, nur der rauchende Kopf einer dem Aron gleichenden Puppe dampft den Bühnenraum ein.

Obgleich der den Bühnenraum nahezu sprengende Chor von der Regie sehr präzise geführt ist, wirkt doch im Ablauf Vieles arg beliebig und führt zu Ratlosigkeit, wie etwa die Sinngebung von zehn miteinander tanzenden, schwellköpfigen und schwellbäuchigen Herren.

Die durch Aron mit einem Goldstück in Gang gesetzte goldene Kamera scheint eine bei Aufführungen von Schönbergs Oper häufig gewählte Möglichkeit vorzubereiten, den unvertonten dritten Akt melodramatisch als Dialog über Schönbergs (im Auftrag Schrekers entstandener) „Musik zu einer Lichtspielszene“ auszuführen. Aber Moses, der am Anfang des Abends in einen Teppich eingerollt war, deckt sich auf dem Leichenberg mit jenem Teppich wieder zu, und so endet die Aufführung, nach 1 Stunde und 50 Minuten, nach Moses’ Ausspruch „O Wort, du Wort, das mir fehlt!“

Wie ein alter Komiker ringt Robert Hayword in der melodramatischen Sprechpartie des Moses um die Verbalisierung seiner Gedanken, wobei seine Deklamation zumeist ein Sprechgesang ist. Für den erkrankten David Cavelius ist John Daszak eingesprungen und schafft die facettenreiche Tenorpartie anständig, aber keineswegs faszinierend. Stimmlich sehr viel besser auf dem Punkt sind Jens Larsen als Priester, Tom Erik Lie als Ephraimit, sowie Julia Giebel, Karolina Gumos und Michael Pflumm in weiteren kleinen Partien. Den Löwenanteil am Erfolg hat der von David Cavelius einstudierte Chor, verstärkt durch das Vocalconsort Berlin, personell noch angereichert durch Kinderchor und Komparserie.

Die Sinnlichkeit, mit der Schönbergs instrumental aufgefächerte Zwölfton-Partitur im zweiten Akt seinem in den Zwanzigerjahren auf der Opernbühne weitaus populäreren Kollegen Franz Schreker nachzueifern scheint, ist in dieser Aufführung allein aufs Orchester reduziert; das allerdings musiziert unter dem Dirigenten Vladimir Jurowski, der vor 20 Jahren fest an der Komischen Oper engagiert war, durchaus vortrefflich.

Am Ende uneingeschränkter Jubel des gleichwohl merklich erschlagenen Premierenpublikums.

  • Weitere Aufführungen: 24.4., 28.4., 2.5., 10.5., 7.7.2015.

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