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Almira. Robin Johannsen (Almira). Foto: Jörn Kipping
Almira. Robin Johannsen (Almira). Foto: Jörn Kipping
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Bilder von Macht und Einsamkeit –Händels „Almira, Königin von Kastilien“ an der Hamburgischen Staatsoper

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Almira ist – gerade 20 – Königin von Kastilien geworden und muss laut Testament ihres Vormundes Consalvo einen aus dessen Familie heiraten. Sie liebt aber ihren Diener Fernando. Edilia liebt Consalvos Sohn Osman, der aber machtgierig nun auch ein Auge auf Almira wirft. Almira glaubt, dass Fernando Edilia liebt, die nach der Absage von Osman mit Fernando flirtet. Osman beginnt ein Techtelmechtel mit der Dienerin Bellane – und noch vieles mehr in dieser Art.

Eben eine Barockoper und damit die Vorlage für Affektarien, nicht eine schlüssige Dramaturgie einer im Mittelalter angesiedelten Handlung. Alle diese Menschen sind jugendlich-gefühlsverwirrt und komponiert hat die Oper „Almira“, die im Untertitel „Der in Krohnen erlangte Glücks=Wechsel“ heißt, als sein op. 1 der neunzehnjährige Georg Friedrich Händel. Nun feierte dieses Werk – nach Aufführungen in Karlsruhe 2005 und in Halle 2013 – als eine Hamburgiense an der Staatsoper Premiere, denn hier am Theater am Gänsemarkt fand im Januar 1705 die Uraufführung statt. Es ist eine von vier Opern, die Händel für Hamburg schrieb, ehe er nach Italien und später nach London ging und das weltberühmte Genie der opera seria wurde. Alle vier sind verschollen, „Almira“ existiert nur durch eine spätere Abschrift von Georg Philipp Telemann und der gewissenhafte Dirigent Alessandro de Marchi hat wohl auch noch einmal kräftig Hand angelegt.

Der Abend in der Inszenierung der niederländischen Regisseurin Jetske Mijnssen fing ambivalent bis langweilig an und endete in wunderbaren Bildern von Macht und Einsamkeit. Der Qualitätsunterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Teil ist nahezu 180 Grad und er betrifft sowohl das Stück als auch die Inszenierung. Händel, der bis dahin italienische Oper nicht kannte, schreibt französische Tänze, Liedformen, italienische Arien auf einen verworrenen Text. Das kann die Inszenierung nicht auffangen und quält sich fast profillos vorwärts.

Der zweite Teil, in dem dann die Orchesterpartitur von einer genialen Buntheit ist, in der Affektarien von späterer Händel-Qualität dominieren und die Regie zu psychologisch tief gehenden Bildern findet, kann dann vieles wett machen. Für die Konzeption nutzt die Regisseurin die aktualisierende Idee, Almira in vier verschiedenen Epochen zu zeigen: der elisabethanischen, in der Zeit Queen Marys und Marie Antoinette und in der einer modernen Königin, wo sofort die Assoziationen Diana und Kate auftauchen. In einem sich verwirrend drehenden hölzernen Palastbau (Ben Baur) finden und verlieren sich alle. Bedrückend gezeigt ein Staatsessen, an dem Almira geradezu erstickt: „Ich kann nicht mehr verschwiegen brennen“, singt sie und die berühmte Sarabande „Lascia ch'io pianga“ aus „Rinaldo“ wird zum Leitmotiv ihrer Einsamkeit. Gut gemacht die Ironie, wenn der reiche Raymondo Almira die Krone aufsetzt und sich an ihrer Seite wähnt, wunderbar, wie die Machtansprüche der Männer in diesem Kastilien eine moderne Politkonferenz sind, die ganz sicher auch heute noch so ablaufen könnte.

Eine der bezauberndsten Ideen dieser Inszenierung, die dann doch so viel mehr ist als eine musikhistorische Erinnerung an das op. 1 eines Genies, ist die Rolle des der Gesellschaft stets den Spiegel vorhaltenden Narren Tabarco, den Mijnssen von einer jungen Frau (Sara Maria Saalmann) mit zwei jungen Mädchen in weißen Kleidern und Engelsflügeln singen lässt: sie kommentieren, greifen ein und lösen am Ende das Liebeslabyrinth auf. Keine Überraschung bei dieser Art von Textbüchern ist, dass sich Fernando auf einmal als das damals verlorengegangene Baby von Consalvo erweist: aber nichts ist in Mijnssens Schluss ein gutes Ende. Alle bleiben allein und müssen erstmal über ihre verlorengegangenen und zukünftigen Lebensentwürfe nachdenken.

Zum wiederholten Mal steht Alessandro de Marchi am Pult: es ist üblich geworden, dieses Repertoire zwar zu großen Teilen vom Philharmonischen Orchester spielen zu lassen, aber die Einstudierung einem Spezialisten zu übergeben: so entsteht dann eine ansprechende Mischung aus alten und neuen Instrumenten, die vielleicht nicht immer puristisch richtig ist, die aber überzeugt. Auch die Sänger wuchsen nach anfänglicher Unsicherheit – Robin Johannsen als Almira, Mélissa Petit als Edilia, Rebecca Jo Loeb als Bellante, Viktor Rud als Fernando, Manuel Günther als Osman, Wolf Matthias Friedrich als Consalvo und Florian Spiess als Raymondo – überlegen und emotionsgeladen in den Affektstil des jungen Händel.

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