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Zuckendes Universum: Ryoji Ikedas „Test Patterns“ bei der Ruhrtriennale. Foto: Stefan Pieper
Zuckendes Universum: Ryoji Ikedas „Test Patterns“ bei der Ruhrtriennale. Foto: Stefan Pieper
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Binäre Codes sind überall: Ryoji Ikedas „Test Patterns“ bei der Ruhrtriennale

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Karg mutet das Szenario an, gleichwohl bombardiert es die Sinne. Der Betrachter kommt sich sehr schnell verloren vor, wenn er nach dem obligatorischen Ausziehen der Schuhe die 100 Meter lange rechteckige Fläche betritt. „Test Patterns“ heißt die bislang größte audiovisuelle Installation des aktuell in Paris lebenden Japaners Ryoji Ikeda – und diese ist allein wegen der Ausmaße einer der spektakulären Publikumsmagnete auf der diesjährigen Ruhrtriennale.

Wärme gibt es nicht in diesem zuckenden Universum. Symbolhaft für die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche, für die Vernetzung und kühle Durchdringung des Denkens mit Computerlogik stehen jene Barcodes, die schon in den 1970er Jahren des vorigen Jahrhunderts als optoelektrisch lesbare Schrift erfunden wurden und mit ihren verschieden breiten, parallelen Strichen und Lücken die Abbildung binärer Symbole ermöglicht.

In Ikedas Installation sausen sie über die horizontale Projektionsfläche – in zwei parallelen Bahnen und in rasendem hektischen Wechsel begriffen. Dazu fiepst, brummt, wummert, knarzt es extrem vielgestaltig aus Ikedas Klanguniversum. Sind das die akustischen Entsprechungen jener visuellen Zeichen, die sich in rasendem Fluss befinden wie die allgegenwärtigen Datenströme? Oder visualisieren die Barcodes jene digitalen Informationen, welche durch die Kette aus Wandler, Verstärker und Lautsprecher wieder in jene brachialen Sounds „übersetzt“ werden, um damit Luft und Trommelfelle zu bewegen?

Auf jeden Fall ist all dies in Ryoji Ikedas Installation mathematisch genau miteinander synchronisiert. Ikedas Website verweist darauf, dass die Klänge in Strichcodes konvertiert wurden. Mehrere hundert Bilder pro Sekunde verändern ständig die grafische, streng rechtwinklige Hell-Dunkel-Verteilung auf der Fläche. Das ganze in dieser extremen Präzision, leuchtenden Brillanz und Klangtreue in Szene zu setzen, ist eine Herausforderung für die zehn an der Decke befindlichen Projektoren, ebenso für die Soundanlage.  

Für den Besucher stehen gleichwohl die eigenen Wahrnehmungsgrenzen auf dem Prüfstand. Phasenweise fühlt man sich an die Testbilder aus der Schwarzweiß-Fernseher-Ära erinnert. Manche Besucher in der Duisburger Kraftzentrale schreiten die über 100m Meter lange Fläche gemessenen Schrittes ab. Einmal zum anderen Ende der Halle, dann wieder zurück. Andere haben sich hingesetzt. Manchmal versucht einer, mit Tanzbewegungen zu „antworten“, doch scheitert dieses Unterfangen, wo ein kontinuierliches, aber zugleich unvorhersehbare Kaleidoskop aus Graustufen und abstrakten Klangereignissen die eigene Wahrnehmungskapazität derart überhöht, dass sich der Mensch als solcher klein und unbedeutend vorkommt und seine Handlungen auf dieser großen Fläche letztlich hilflos anmuten.

Die geräuschhaften Loops aus der Soundanlage sind eine Spur zu abstrakt, um gerade noch als „Musik“ im minimalen Sinne, selbst als „Noise“ oder extrem reduzierter Techno daher zu kommen. Ist doch der rasende Strom aus digitalen Zeichen zu total, als dass man ihn durch Kategorisierung, bezwingen oder zähmen könnte.

Man kann all so was denken, wenn man sich auf dieser Fläche in regelrecht psychedelischer Weise bedröhnen lässt – oder einfach meditativ eintauchen. Insofern hat das audiovisuelle Gesamtergebnis durchaus etwas von jener Visual Art, wie sie auf Techno-Veranstaltungen praktiziert wird. Die Konsequenz dieser Installation, ihre gewaltigen Ausmaße in der Duisburger Kraftzentrale und die extremen akustisch-visuellen Reize, die den Raum mit einer Aura von technisierter Unheimlichkeit aufladen – all dies ist in diesem Moment schon faszinierendes, und auch verstörendes Gesamtkunstwerk genug. Übrigens hatte Test Patterns seit 2008 bereits einige Vorläufer, die - räumlich bedingt - natürlich viel kleindimensionierter waren. Einmal mehr eröffnet die von Heiner Goebbels programmierte Ruhrtriennale jene Freiräume, um noch mehr Größe wagen zu können.

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