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„Er drückts ja schön hinauf“: Placido Domingo als Pablo Neruda in Daniel Catáns „Il postino“ im Theater an der Wien. Foto: Rolf Bock
„Er drückts ja schön hinauf“: Placido Domingo als Pablo Neruda in Daniel Catáns „Il postino“ im Theater an der Wien. Foto: Rolf Bock
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Eine Oper fürs Heimatmuseum: Europäische Erstaufführung von Daniel Catáns „Il postino“ im Theater an der Wien

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Auch in Wien weihnachtet es sehr. Leise rieselt der Schnee. Der Handel bezeichnet die Umsätze als befriedigend. Der Naschmarkt vorm Theater an der Wien quillt über. Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie sind so gut wie allgemein. Nicht anders als Glühweinstände entfalten geeignete Adventsmusiken ihre segensreiche Wirkung. Dazu gehörten die Wiederaufnahme des „Rosenkavaliers“ an der Staatsoper in der Inszenierung von Otto Schenk aus einem längst versunkenen Jahrhundert und die dazu passende Ausstellung der Nationalbibliothek zum 100. Geburtstag dieses Werks.

Zu den Bemühungen um harmonische Stimmung gehört auch die von Jesús López-Cobos bedächtig zelebrierte europäische Erstaufführung von „Il postino“ (die Uraufführung fand im Herbst in Los Angeles statt). Die kompositorische Arbeit von Daniel Catán will spanisch vorkommen: Der mexikanische Komponist lebt in den Vereinigten Staaten, hat sich freilich in den Kopf gesetzt, eine spanische Nationaloper zu erschaffen – so, wie französische und russische Komponisten für ihre jeweiligen Länder im 19. Jahrhundert eine Kulturleistung dieser Art zu Wege gebracht haben. Für seine politisch nicht ganz keimfreien Nachholbemühungen wählte der Dichterkomponist ein chilenisches Sujet – er arrangierte sich eine Novelle von Antonio Skármeta zum Libretto.

Zugleich rekurrierte er auf einen Film von Michael Radford zum Leben des in den 50er und 60er Jahren auf dem politischen Kurs der Moskauer Spätstalinisten engagierten Dichters Pablo Neruda: „Il postino“ setzt den erfolgsverwöhnten Autor, der nach Italien ins Exil ging, in Beziehung zu einem Fischersohn auf Cala di Sotto, der die Liebe, das Dichten und damit ein würdiges Leben lernen will, aber den zufälligen Tod bei einer kommunistischen Demonstration findet. Das beklagenswerte Ereignis wird mit einer Filmschleife aus Wochenschau-Material beschworen. trübt aber den idyllischen Grundtenor von Handlung uns Inszenierung kaum.

Catán schnitt die zentrale Figur des alternden Poeten auf Placido Domingo zu – auf dessen Bühnenpräsenz und die inzwischen etwas eingeschränkten stimmtechnischen Möglichkeiten, die freilich immer noch beachtlich erscheinen. Nicht nur die Bühnenbilder zu „Il postino“ verraten die Nähe zu Hollywood: Die Musik, fast durchweg in langsamem Metrum gehalten, basiert im wesentlichen auf den im 19. Jahrhundert entstandenen Partituren Giacomo Puccinis. Dem harmonischen und melodiösen Nachhall des Verismo wurde noch eine kräftige Prise Léhar beigemengt sowie die eine oder andere Zutat aus der klassischen Filmmusik. So zapfte Daniel Catán mit seinem Willen zur Erschaffung einer spanischen Nationaloper ausschließlich italienische, österreichisch-ungarische und jüdische Wurzeln an. Neuere kompositorische Optionen schienen ihm verzichtbar. Hätte der Tonsetzer sein Opus vor hundert Jahren abgeliefert, hätte man ggf. das „Handwerk“ als „versiert“ beschreiben können. Im Zeitalter von Kopierer und Digitalisierung stellt es freilich keine sonderliche technische oder gar künstlerische Leistung dar, ältere Partituren zu einer neuen abzumischen. Beim Nachwürzen geizte Catán allerdings. Es ist, als wäre ein Honigtöpfchen mit Puderzucker bestäubt worden.

Der junge Briefträger Mario – locker, lecker, leicht gesungen von Israel Lozano – lernt den mit Gattin Matilde im Nobelexil auf den Nobelpreis wartenden Neruda kennen und benutzt dessen lyrische Impulse, um eine nette Kellnerin für sich zu gewinnen. Die gut aussehende und makellos singende Amanda Squitieri war schon bei der Uraufführung in Los Angeles dabei und profilierte sich auch im Theater an der Wien als kleine Königin der Herzen. Die Braut par excellence wurde vom Autor Beatrice genannt, damit sich auch – Achtung, Bildungshintergrund! – Dante und d’Annunzio in Anschlag bringen ließen.

Mit der Figur des Mario wurde das Publikum nochmals darauf hingewiesen, dass im Prinzip in jedem ein Künstler steckt (zum Glück kommt jedoch das Talent und der Wille zum Künstlerdasein nicht bei allen zum Ausbruch und es verbleibt ein Rest der Menschheit in Handwerks- oder Dienstleistungsberufen). Beschworen wird von Catán – dergleichen läßt sich ein Anrainer Hollywoods nicht entgehen – auch die Naturlyrik Nerudas in Gestalt eines verklemmten, politisch eingebogenen und ziemlich verlogenen Textes vom „reinen“ italienischen Meer, dem die Reinheit der jungen Frau entspricht. Recht nett sind die Auftritte des paradigmatischen italienischen Politikers Di Cosimo. Mit Fahnenschwingern und Blaskapelle.

Auch Karl Marx taucht in Ron Daniels Inszenierung auf – als nostalgisch beschworenes Standbild im Postamt, in der auch ein bärtiger Altlinker seinen Dienst nach Vorschrift absolviert. Die andere Ikone ist der sympathische Plácido Domingo. „Er drückts ja schön hinauf“, sagte eine alte Dame im Foyer zutreffend zu ihrer Nachbarin. Schließlich wurde das ganze Unternehmen wohl nicht aus nationalem Verantwortungsbewusstsein, sondern zu Domingos Resteverwertung ins Werk gesetzt: Eine Produktion fürs Heimatmuseum.

Aufführungen: 14., 18. & 21. Dezember 2010, 19.00 Uhr
Alle Vorstellungen sind ausverkauft. Restkarten an der Abendkasse.

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