Hauptbild
Der Vampyr an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese | drama-berlin.de
Der Vampyr an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese | drama-berlin.de
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Frei nach Marschner „Der Vampyr“ als Freak-Grusical

Publikationsdatum
Body

„Vampyr“-Exzerpte und neue Musik konnte bei der Premiere unser Kritiker Peter P. Pachl an der Komischen Oper Berlin ausmachen – trotzdem scheint man das Thema verfehlt zu haben.

Heinrich August Marschners romantische Oper „Der Vampyr“, basierend auf John Polidoris Novelle „The Vampyre“, in deren Erfolgsfahrwasser ein knappes Jahrhundert später der „Dracula“-Roman entstand, hält sich seit 1828 unverwüstlich auf den Opernspielplänen. Zwar nicht häufig, doch stetig geistert der untote Lord Ruthven alias Earl von Marsden als Vampyr über die Bühnen. Dabei ist es durchaus üblich, zu kürzen, insbesondere in den Dialogen der Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück. Bereits Hans Pfitzner, auf dessen Edition der Partitur das verlagstechnisch derzeit einzig verfügbare Aufführungsmaterial zurückgeht, hat Kürzungen und die Umstellung von Musiknummern vorgenommen.

Auch die Möglichkeit, die Nummern der romantischen Oper mit anderen Kompositionen zu collagieren, gehört zur Aufführungsgeschichte, von Richard Wagners Alternativkomposition des zweiten Teils der Aubry-Arie bis hin zu Manfred Müssauer, der bei seinem oberösterreichischen Festival „Musikwelten“ Filmmusik aus „Der Fluch der Karibik“ interpoliert hat.

Als ein „Musiktheater nach Heinrich Marschner“ kündigt der Premieren-Programmzettel der Komischen Oper die Berliner Neuinszenierung an. Dafür hat Regisseur Antú Romero Nunes seinen Schauspielmusik-Komponisten Johannes Hofmann mitgebracht, mit dessen atmosphärisch-düsteren „Gruselfaktor“-Klangblöcken die wenigen verbleibenden Nummern Marschners verknüpft werden und die pausenlose Aufführung an der Komischen Oper eröffnen.

Hauptproblem dieser Inszenierung ist, dass es keine Sympathiefigur mehr gibt. Denn Aubry ist hier von Anfang an ein über schwarze magische Kräfte verfügender Freak, der Kröten in das Publikum wirft. In der Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte dieser Oper wurde die Zwickmühle, in der Aubry steckt, viel diskutiert: An seinen Eid gebunden, den Lord Ruthven als Vampyr nicht verraten zu dürfen, ist er der Hölle verfallen, falls er seinen Schwur bricht, was aber, um seine Braut vor dem Mord zu retten, gleichzeitig moralisches Gebot ist. Pfitzner hat das Dilemma so gelöst, dass der Schlag „Eins“ der Glocke bereits direkt vor Aubrys Enthüllungssatz ertönt, er dem Konflikt also unbeschadet entgeht. In Berlin läutet die Glocke erst danach: Aubry wird folgerichtig selbst zum Vampyr, aber auch für seine Braut Malwina, die Aubrys Herz in Vampirfilm-Manier mit einem Holzpfahl durchbohrt, ist es bereits zu spät – auch sie ist durch seinen Kuss bereits zum Vampyr geworden. Da lässt überdeutlich Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ grüßen, dessen Bühnen-Musical-Version gleichwohl konziser und in ihrem Witz zielstrebiger ist als die zum Grusical umgeformte, von ihren Urhebern ernst gemeinte Oper.

Die erste der drei Bräute, die Lord Ruthven innerhalb eines Tages der Hölle opfern muss, Janthe – wie ihre Leidensgefährtinnen in Sopranlage komponiert – ist in Berlin ganz gestrichen. Stattdessen rafft sich das hässliche Monster in der Eröffnungsszene mit der Arie aus Nr. 2 ein weibliches Opfer aus der ersten Publikumsreihe, dem er zunächst das Gesicht abzieht und anschließend Organe entnimmt.

Anstelle des originalen Textes der Nr. 1, „Ihr Hexen und Geister“, singt der Chor als Zombies fremdsprachig Unverständliches, offenbar nachempfunden dem Dämonenchor in Hector Berlioz’ „Damnation de Faust“, der sich in Emanuel Swedenborgs Sprache der Verdammten allerdings partiell doch vom Lateinischen herleiten lässt.

In deutschem Klartext skandiert der von David Cavelius einstudierte Chor die Worte des gestrichenen Vampyr-Meisters als Auflage an Ruthven, bis Tagesende der Hölle drei Bräute opfern zu müssen.

Ein für den Handlungszusammenhang unentbehrlicher Dialog zwischen Aubry und Ruthven wird beibehalten, aber melodramatisch mit neuer Musik unterlegt. Dem schließt sich die große Arie des Aubry Nr. 15 aus dem 2. Akt an, dann folgt – wie in Pfitzners Neubearbeitung – vor Malwinas Szene und Arie Nr. 6 die Ouvertüre, in Berlin jedoch nur deren Anfang.

Die nachfolgenden Szenen spielen im Bühnenbild von Matthias Koch in einem barocken Bühnenrahmen, gebildet aus der Repetition des verkleinerten Portals der Komischen Oper. Da erklingt das Duett Nr. 7 einerseits als Parodie auf die „alte“ Oper, andererseits als Sex-Groteske der durch Aubry sexuell unterforderten Braut Malwina. Spätestens ab diesem Bild weiß das Publikum, dass die blutige Handlung hier komisch gemeint ist und quittiert fortan die Gags mit lauten Lachern. Dem Terzett des Paares mit dem Brautvater, Sir Humphrey Lord von Davenaut (Nr. 8) schließt sich die Introduktion des zweiten Aktes (Nr. 10) an. Der Chor der Gäste wird von Nunes wie Automaten á la Hoffmann geführt, schließlich sind sie bereits von Wohlbrück als „Trinker“ deklariert. An dieser Stelle und mit dieser Intention wäre allerdings fraglos die Rüpelszene Nr. 17 passender gewesen. (Dieses Trinklied war mein erstes Marschner-Erlebnis im wiedervereinigten Deutschland, als ein Männerchor den die Jahreszeiten abhandelnden Satz „Im Herbst da muss man trinken!“ auf einer Straße Weimars zum Besten gab.)

Eine laute MG-Salve Ruthvens legt alle auf der Bühne flach, und den Dirigenten trifft sein Wurfmesser direkt ins Herz; doch auch der erweist sich als Zombie und dirigiert, auf erhöhtem Posten, weiter, zumal eine Besucherin in der 11. Reihe links sich als Emmy outet, die ihre berühmte Romanze „Sieh Mutter dort den bleichen Mann“, Nr. 12 noch im Auditorium beginnt und auf der Bühne, wo ihr vom Vampyr die Bluse ausgezogen wird, fortsetzt. Später stellt sich auch ihr ehemaliger Sitznachbar aus der 11. Reihe als ihr gespielter Bräutigam Georg heraus.

Auch in den Kostümen von Annabelle Witt offenbart sich das grundlegende Missverständnis der Verantwortlichen dieser Neuinszenierung, Horrorfilm-Zitate mit Schauerromantik gleichzusetzen. Das rot beleuchtete Dekor von Fledermausflügeln und Sanduhr lädt den Chor der Zombies zum Grill-Leichenschmaus der geopferten Emmy ein. Hierbei erzählt Ruthven, mit der Großen Szene Nr. 14 , wie er als Vampyr selbst seine eigene Tochter nicht verschont hat. Erneut stimmt Aubry die Stretta seiner hier bereits zu Beginn intonierten großen Arie Nr. 15 an: er schleift ein Messer, schneidet sich die Pulsader auf und durchscheidet Ruthvens Kehle – doch beide Tötungsversuche belieben erfolglos, wie das bei Vampiren so der Fall ist.

Der das Finale Nr. 20 einleitende Chor, welcher Malwina als „Blume des Hochlands, du Davenaut-Rose“ besingt, wird nach Aubrys Bekenntnis „Das Scheusal hier ist ein Vampyr!“ fortgesetzt mit dem Heer der lebenden Leichen und einem Text aus dem lateinischen Requiem, „Confutatis meledictis“.

Dass in der Neufassung von Antú Romero Nunes und Ulrich Lenz nicht nur das Happy-End gestrichen, sondern auch das himmlische Gegengewicht völlig eliminiert wurde, geht insbesondere zu Lasten des in seinen CD-Interpretationen gerade in lyrischen Passagen kaum zu überbietenden Antony Hermus. Da auch von Marschners spannender Motivarbeit in der Bearbeitung kaum etwas übriggeblieben ist, verbleibt dem Dirigenten nur, Varianten musikalischer Grobschlächtigkeit und romantischer Groteske gegeneinander abzuwägen.

Leider erreichen auch die gesanglichen Leistungen nicht das Niveau der an diesem Haus vorangegangenen Produktionen. Kaum Facetten liefert Heiko Trinsinger, wohl ein überzeugender Alberich, in der Titelpartie; immerhin gelingt es ihm, das Publikum mit einer Mundharmonika zu einem gequälten „Ach!“-Ruf zu animieren. Zoltán Nyári, der andernorts bereits den Tristan singt, stemmt den Aubry heldentenoral, aber kaum schattiert. Deutlich charakterisiert Jens Larsen den Sir Humphrey, der hier im Finale durch das Beil seiner notgeilen Tochter Malwina, Nicole Chevalier, aus Versehen zu Tode kommt. Lautstark, wenn auch kaum differenzierend (und aus dramaturgischen Gründen ohne den Refrainchor in der ersten Strophe) singt Maria Fiselier die Emmy. Ivan Turšić als ihr aus dem Auditorium auf die Bühne stürzender Bräutigam bleibt farblos – wohl im Sinne der Inszenierung, als ein nolens-volens zum Singen verurteilter Besucher.

Begeisterung für das komische Grusical en detail, etwa bei einer vom Kronleuchter herabsinkenden Spinne. Am Ende dankte das Premierenpublikum im nicht voll besetzten Theater den Mitwirkenden und Vorständen mit Zustimmung.

Weitere Aufführungen: 26. März, 3., 17., 23. April, 5. Juli 2016

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!