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Orontea: Manuel Günther (Aristea), Ida Aldrian (Orontea). Foto: Werner Hinniger
Orontea: Manuel Günther (Aristea), Ida Aldrian (Orontea). Foto: Werner Hinniger
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„Geh! Bleib! Was denn nun?“: die zeitlosen Wirrnisse der Liebe – „Orontea“ von Antonio Cesti im Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper

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Die ägyptische Königin Orontea liebt den gestrandeten Alidoro. Der liebt ihre Hofdame Silandra, zwischendurch Orontea und dann wieder Silandra, und dann wieder Orontea. Die vermeintliche Mutter Alidoros, Aristea, liebt Ismeo, aber der ist eine verkleidete Frau – Giacinta, die früher aus Ägypten geflohen ist und nun zu Besuch zurückkommt. Clorindo liebt erst unglücklich Silandra, am Ende wirds aber was, ebenso wie die Verbindung Orontea und Alidoro zustande kommt, nachdem sich herausgestellt hat, dass Alidoro kein Vagabund, sondern ein Prinzensohn ist, der als Baby vertauscht wurde.

Und dann gibt es da noch den besserwisserischen Trinker Gelone, der am Ende zu Giacinta findet. Das sind die Strickmuster barocker Opern, aber es geht nie um eine zusammenhängende Geschichte und schon mal gar nicht um eine logische. Es geht um die literarische Vorlage für Emotionen, Affekte für den Komponisten. Nachdem die Staatsoper Hamburg vor einiger Zeit eine hinreißende Inszenierung von Georg Friedrich Händels erster Oper „Almira“ herausgebracht hat, steht nun das gut 50 Jahre vorher entstandene und 1656 im Karneval in Innsbruck uraufgeführte „Dramma musicale“ „Orontea“ von Antonio Cesti auf dem Spielplan.

Es ist bemerkenswert, was hier dem der Staatsoper integrierten Internationalen Opernstudio gelungen ist. Auch nach dieser Aufführung kann man nicht von „Nachwuchs“ reden, da waren erstklassige SängerInnen zu hören und Spieltalente zu entdecken, dass es eine helle Freude ist. Die Regisseurin Anja Krietsch fand für das im ersten Jahrhundert vor Christus spielende Werk eine glänzende Lösung: sie setzte zu Recht darauf, dass die Gefühle zeitlos sind und ließ alle jugendliches Temperament und Pathos austoben. Da wechselten Wutanfälle mit romantischer Sehnsucht und Weinkrämpfe mit hinreißend selbstironischen Brechungen, dass die dreistündige Aufführung extrem kurzweilig verging: „Geh’, bleib! Was denn nun“ muss Alidoro Silandra fragen, was die Leitidee für Krietsch zu sein schien.

Creonte, bei Cesti der Orontea beratende Philosoph, ist hier ein hektisch hin- und her telephonierender Paaragent, ein Glanzstück der Inszenierung, in der sich die Elemente Parodie, Ironie und Selbstironie, Brechung, Absurdität, Groteske und dazwischen immer wieder realistische Gefühle in einer Weise mischen, die dem gerecht werden könnte, was der Librettist Giacinto Cicognini sich wünschte: „Meine Fantasie hat nur ein Ziel: zu unterhalten“. Ergänzt wurde dieser Ansatz bestens von den heutigen, aber durch und durch Fantasiekostümen (Gisa Kuhn) und einem Bühnenbild, das den winzigen Raum in drei Etagen großartig und in sich wiederum ironisch nutzt (Nora Husmann), wenn Orontea in ihrem Gemach die Partitur liest, wenn Alidoro sich mit Boxtraining fit macht, wenn Aristea sich ohne Ende schminkt, wenn Gelone in seinem Rotwein-Kabuff die „neue musikzeitung“ liest, und wenn Geronte in seinem Organisationswahn auch mal dem Orchester nahe herumwirbelt.  

Mit Einfühlung und Geschmeidigkeit entwickelt wurde dies alles an der unendlich schönen und sensiblen Musik, in der schnelle Rezitative und kurzweilige Ariosi nahtlos ineinander übergehen.  Cesti aus der Monteverdi nachfolgenden Generation wurde als „erster unter den Komponisten unserer Zeit“ und „unsterblich in Venedig“ 1652 von einem Zeitgenossen anerkannt. Die in zahlreichen unterschiedlichen Abschriften vorliegende Partitur muss für jede Aufführung eingerichtet werden: hier leisteten unter der Leitung von Nicholas Carter die noch nicht einmal zehn Spieler der Hamburger Philharmoniker überzeugende Arbeit, die Lust macht auf mehr von dem Jahrhunderte lang zu Unrecht vergessenen Cesti.

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