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 „Les Contes d'Hoffmann“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
„Les Contes d'Hoffmann“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Hoffmann-Paraphrase – Barrie Koskies eigenwillige Fassung von „Les Contes d'Hoffmann“ an der Komischen Oper Berlin

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Wohl kaum ein anderer Operntorso, Bergs „Lulu“ nicht ausgenommen, hat derartig viele divergierende Bühnenfassungen nach sich gezogen, wie Jacques Offenbachs Opéra fantastique aus dem Jahre 1881. Das von Hausherr Barrie Koskie bereits mehrfach durchbrochene Alleinstellungsmerkmal deutschsprachiger Aufführungen an der Komischen Oper Berlin mixt diesmal die durchgehend in französischer Sprache gesungenen Exzerpte der kritischen Gesamtausgabe mit deklamierten Texten E. T. A. Hoffmanns in deutscher Sprache und Ausschnitten aus Mozarts „Don Giovanni“. Die besuchermäßig stark ausgelastete Produktion erreicht ihr Publikum, verfehlt aber knapp ihr eigenes Ziel.

Die musikalisch stark gekürzte Fassung arbeitet mit nur einer Sängerdarstellerin, für alle vier Geliebten Hoffmanns, aber dafür mit drei Hoffmann-Darstellern. Die ersten beiden Akte erklingen in der von Michael Kaye rekonstruierten Bariton-Fassung, der dritte bis fünfte Akt in der Tenorversion. Außerdem gibt es einen Schauspieler als weiteren Hoffmann, Uwe Schönbeck, der an diesem Haus bereits den Achill in der „Schönen Helena“ verkörpert hatte.

Mit ausführlichen Zitaten aus E. T. A. Hoffmanns „Don Juan“-Erzählung nimmt die Aufführung stärker als das Original Bezug auf Mozarts Oper. Mit der Ouvertüre zu „Don Giovanni“ beginnt die Oper, später erklingt das Ständchen aus Mozarts Dramma giocoso als Leierkasten-Glockenspiel und am Ende singt die zum Mozart-Double mutierte Muse zu Cembalo-Begleitung das Duett „La ci darem la mano“ als führende Singstimme, während der im Sarg vom Bösewicht vernagelte Schauspieler-Hoffmann die Zerlina-Partie krächzt und säuselt.

Auf einem hydraulischen, rechteckigen Stempel beginnt die Oper in der Ausstattung von Katrin Lea Tag poetisch mit einem Feld unterschiedlicher weißer (Plastik-)Flaschen, rund um den greisen Hoffmann. Die fallen dann links und rechts zur Seite ab, und der Herrenchor der Komischen Oper bevölkert in einheitlichen Damenkostümen die Szene, während der Schauspieler-Hoffmann in die Rolle des Klein Zack schlüpft. Olympia wird nur in ihren Einzelteilen, darunter überlangen Armen, in den Fächern eines fahrbaren Schrankes sichtbar. Einmal „singt“ statt des Kopfes mit den stark klappernden Augenliedern der Sopranistin eine Krokodil-Handpuppe. Und aus dem Loch in ihrer Leibesmitte zieht Hoffmann eine nicht enden wollende rotbraune Lockenpracht – damit sowohl Rapunzel, als auch „Pelléas et Mélisande“ assoziierend.

Beim Walzertanz wird nur der Schrank gedreht. Der Chor mimt keine Festgäste, sondern zuckt puppenhaft als Belegschaft der Puppenmacher-Industrie. Unausgesprochen bleibt der geplatzte Wechsel des Juden Offenbach als Motivation für Coppélius’ Rache. Der Bösewicht Lindorf ist als Doktor Mirakel im dritten Akt ein Geigenvirtuose. Auch die 16-fach vervielfachte tote Mutter Antonias und der Hoffmann-Schauspieler geigen der Tochter zum Gesang auf und peitschen sie mit den Bögen. In Konsequenz dieser Lesart misst Doktor Mirakel der Antonia nicht den Puls, sondern gibt den Takt an. Am Ende dieses Aktes, der auch einige selten gehörte Passagen enthält, verebbt die Musik zur melodramatischen Reminiszenz von Antonias Liebeslied.

Das Duett der Barcarole vernimmt der Hoffmann-Schauspieler aus einem Sarg, der später auch als Lotterbett bei Hoffmanns Duett mit Giulietta und hochkant als Einzelzimmer umgedeutet wird. Die wiederholt auf- und niederfahrende, wie auch seitlich kippende Spielfläche vermag kaum den Leerlauf im Venedig-Akt zu überdecken, dessen Handlung vom Hoffmann-Schauspieler – wie früher in Opern-Rundfunkadaptionen – erzählt wird. Hoffmann leckt die Schenkel der Kurtisane, und deren Koloraturketten werden in bester Mozart-Manier als Orgasmen gedeutet und ausgespielt. Musikalisch fallen im Ensemble heftige Schläge mit der Gran Cassa als ungehörte Überraschung ins Gewicht. Vom fünften Akt bleibt gerade mal ein Chorsatz übrig. Die spät aufgefundene und der Partitur ergänzte finale Hymne wurde als Solonummer der Muse bereits am Anfang des Opernabends verbraten. Die Rezitation des Endes von Hoffmanns Novelle schlägt den Bogen zum Beginn des Abends.

Unter der musikalischen Leitung von Daniel Huppert wird sauber gespielt, vom Chor (einstudiert von David Cavelius) und, insbesondere von den weiblichen Darstellerinnen, Alexandra Kadurina (Muse und Stimme der Mutter) und insbesondere Sydney Mancasola (Stella/Olympia/Antonia/Giulietta), exzellent gesungen. Unkonventionell die Applausordnung: nicht mit der Titelfigur am Schluss, sondern mit den beiden Damen. Der Bariton Gyula Orendt und der Tenor Edgaras Montvidas gefallen in der aufgeteilten Hoffmann-Partie. Daneben, wenn auch konzeptionell weniger überzeugend, Dimitry Ivashchenko als vierfacher Bösewicht, der skurril witzige Philipp Meierhöfer (Cochenille/Crespel/Schlémihl) und der stets intensiv agierende Peter Renz (Andrès/Spalanzani/Pitichinaccio).

Aber ein „albtraumartige[r] Horrortrip“ (Ankündigung der Komischen Oper Berlin) ist diese Sicht auf Offenbachs Spätwerk nicht. Und wenn nach dem herzlichen Schlussapplaus mehrere Zuschauer, sowohl beim Verlassen des Auditoriums, als auch beim Warten auf die Garderobe äußern, das Schönste an diesem Abend sei doch Mozarts Musik gewesen, dann scheint das ambitionierte Projekt seine Absicht nicht eingelöst zu haben.

Richard Wagner mit einer eher seltenen, positiven Meinung über Offenbach behält gleichwohl Recht: „Betrachten Sie Offenbach. Er versteht es ebensogut wie der göttliche Mozart. Mein Freund, das ist eben das Geheimnis der Franzosen. Ich bin ihnen in vielen Dingen nicht wohlgesonnen. Aber dennoch muss man diese in die Augen springende Wahrheit zugeben: Offenbach hätte ein zweiter Mozart werden können. Ich glaube, Auber wäre dazu weniger in der Lage gewesen." (Wagner am 1.5.1882 an Felix Mottl, in: Lettres francaises de Richard Wagner. Recueillies et présentées par Julien tiersot. Bernard Grasset, Paris, 1935, S. 393; rückübersetzt in Werner Otto (Hg.): Richard Wagner. Briefe 1830-1883. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft. Berlin 1986, S. 443.)

Weitere Aufführungen: 27., November, 25. Dezember 2015, 8., 24. Januar, 24., 27. Februar, 17. Juli 2016.

 

 

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