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Ordentlich, aber nicht überbordend bestückt: Osteuropäisches Supermarkt-Ambiente in der Wiener Uraufführung von Kalitzkes „Besessenen“. Foto: Wilfried Hösl
Ordentlich, aber nicht überbordend bestückt: Osteuropäisches Supermarkt-Ambiente in der Wiener Uraufführung von Kalitzkes „Besessenen“. Foto: Wilfried Hösl
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Horror im Supermarkt: Johannes Kalitzkes Gombrowicz-Oper „Die Besessenen” im Theater an der Wien

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Musikalische Moderne vom ziemlich guten alten Schlag zieht aus dem Orchestergraben herauf. Aber mit frischen Fermenten – mit Anspielungen auf die Funktionsmusik in der allgegenwärtigen Warenwelt und mit diskreten Bezugnahmen auf musikalische Altmeisterlichkeit. So meldet sich in einer längeren Episode „verbeulte“ Karnevalsmusik – Johannes Kalitzke stammt aus Köln; aber er parodiert z.B. auch die mittelalterliche Musizierpraxis des Hoquetus, bei der sich zwei Stimmen komplementär ergänzen (bei Kalitzke wird es da ziemlich „sophisticated“).

Die Anbindungen an die verschiedensten Schichten der Musikgeschichte ergeben, zusammen mit hartnäckig viel motivisch-thematischer Arbeit, insgesamt eine plausible Basis für die musikalische Ausgestaltung der „Besessenen“: Für die musikalische Charakterisierung jener Jagd nach dem Glück, die Witold Gombrowicz an sieben Personen durchdeklinierte. Für eine mit eigentlicher Handlung sparsam umgehende „Handlung“, bei der sich Beobachtungen in Warschau vor gut siebzig Jahren mit einem internationalisierten Kunstpolen Polen von heute verschränken.

Der Fortsetzungsroman aus dem Jahr 1939 (und auch das aus ihm kondensierte Libretto) sahen eine heruntergekommene Pension, einen Wald und ein nicht ganz geheures Schloss als Handlungsrahmen vor. Aber der dänische Regisseur Kasper Holten und dessen Bühnenbildner Steffen Aarfing zeigen, schon bevor Johannes Kalitzke den Taktstock hebt, einen in altes Gemäuer eingezogenen feinen Supermarkt mit einigen typisch osteuropäischen Kennzeichen: Weiträumig und sauber gewienert; weniger stark von Werbung überformt als weiter westlich; ordentlich, aber nicht überbordend bestückt. Während die Musik aus der aufgerauhten Oktave sich auffächert, lädt ein Flachbildschirm im Vordergrund zu virtuellem Tennis-Match ein. Die Filialleiterin Ocholowka, deren Herz hörbar am Geld hängt und zu noch mehr Geld drängt, hat offensichtlich ihre lebenshungrige blonde Tochter und Kassiererin Maja an einen ihrer Angestellten vermittelt, der die mutmaßlich wertvolle Gemäldesammlung des alten Fürsten an sich bringen soll, die soeben von einem Kunsthistoriker geschätzt wird.

Der betagte Aristokrat, den Jochen Kowalski kräht, will und kann nicht sterben, bevor sein unehelicher Sohn, den er verstieß, ihm nicht verzeiht. Das aber ist offensichtlich nicht mehr möglich, denn Franio ist aus der Versuchsanordnung verschwunden, seit er sich ein graues Handtuch allzu eng um den Kopf wickelte. Von besagtem Tuch scheint ein namenloser und nicht eindämmbarer Horror auszugehen. Und so nimmt das Beziehungsgeflecht des Solisten-Septetts in diesem Kammerspiel seinen Fortgang, bis auch der erotisch-sexuelle Impetus von Maja gegenüber dem Tennis-Star zum Erliegen kommt.

Ein gewisses Maß an Obsession – Besessenheit – muss durchaus entwickelt werden, wenn heute noch einmal ein längerer literarischer Komplex zu einer durchkomponierten Oper promoviert wird. Kalitzkes Sound erinnert mit seinen Härten gelegentlich an jene Zeiten, in denen Kunst noch als Waffe begriffen wurde, für die aber nach den Regularien einer zunehmend domestizierten Avantgarde bereits Waffenscheine ausgestellt wurden. Mit den im Graben kunstvoll erzeugten Schärfen gibt der Tonsatz den Protagonisten auf der Bühne ebenso Steilvorlagen wie mit seiner Geschmeidigkeit eine tragfähige Basis für ihre Indolenz – „Musik zu schreiben bedeutet für mich“, erläuterte der Komponist, „auch jenseits überholter Tonalitätsdefinitionen konsonante und dissonante Zustände, also Spannung und Entspannung auszubalancieren“.

Während der Tonsatz sich ausbalanciert, wächst auch die Spannung auf der Bühne: Die beiden Jungen, Maja und ihr Sportsfreund, töten aus Langeweile erst ein Eichhörnchen, dann in Abwehr seines sexuellen Begehrens einen neureichen Malinak, den Mutter Ocholowska für Maja ins Spiel bringt. Flink kommt da ein roter Strick aus einer Regalwand und transformiert eine Obsession in die nächste. Am Ende verkriechen sich vier der Überlebenden in die Regalfächer. Sie erstarren förmlich zu Ware und zeigen, was den ganzen Abend schon zu ahnen war, allzu deutlich: sie sind nicht als Subjekte in diese Welt gekommen. Nur Maja. Die so ganz neupolnisch wirkende Hendrickje van Kerckhove. Sie geht einfach und einer ungewissen Zukunft entgegen.

Kaspar Holtens Regie verordnete dem Projekt eine drastische Verflachung, um einen zweifellos im Werk angelegten Gedanken drastisch hervorzuheben – die kalte Verdinglichung der menschlichen Beziehungen. Das es da noch andere Dimensionen gibt, wollte oder konnte er nicht wahrhaben. Das Premierenpublikum im Theater an der Wien hat dies nicht gestört. Es applaudierte freundlich.

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