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Dede Korkut, Stand. Foto: © Sinan Gorki
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Im Zwang der Geschichte: Der Fluch des Tepegöz – Uraufführung von Marc Sinans „Dede Korkut“ in Hellerau

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Als ein „Dokufiktionales Musiktheater für Orchester, Stimme, Bewegung und Videoinstallation“ bezeichnet der türkisch-deutsche Komponist und Gitarrist Marc Sinan seine Version des türkischen Erzählzyklus Dede Korkut. Die Heldenerzählungen des singenden und Laute spielenden Weisen der Oghusen sollen in zentralasiatischen Ländern einen ähnlichen Stellenwert besitzen, wie hierzulande das Nibelungenlied. Das einzig vollständige Manuskript dieses Zyklus’ aus dem 16. Jahrhundert liegt in der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Und so lag es nahe, „Dede Korkut – Die Kunde von Tepegöz“ im Festspielhaus in Hellerau uraufzuführen, das die musiktheatrale Versinnlichung dieser zwölf Geschichten in zentralasiatischen Bildern und Tönen eingefangen hat.

Aserbaidschanische, usbekische und kasachische Instrumentalisten und Vokalisten sind integriert in die Solisten der Dresdner Sinfoniker. Vier von ihnen agieren im choreografischen Bewegungsduktus von Aydin Teker auf einer schwarzen Raumlandschaft der Bühnenbildnerin Isabel Robson, welche die Mitwirkenden erst betreten, nachdem sie ihre Schuhe abgelegt haben.

Eindrucksvoller als die Vierer-Minimalchoreographie selbst, sind in der Co-Regie von Cornelia Just Momente des Instrumentaltheaters, etwa wenn der Kontrabassist Jun Kawasaki im Liegen sein Instrument traktiert, oder wenn Sascha Friedl mit seiner gigantischen Subkontrabassflöte einen phallischen Tanz vollführt.

Imposant Ulzhan Baibussynova, in folkloristischen Outfit mit tragendem, tiefem Alt. Die singende Erzählerin Jelena Kuljić, mal mit gutturalen mikrofonverstärkten Lauten, mal schrill zugespitzt, agiert mit auf dem Rücken verschränkten Armen, quasi im Zwang der Geschichte. Sie enthüllt ein zentrales sphärisches Objekt, glänzend spiegelnd und widerspiegelnd, der Beamer für die bewegten Landschaftsprojektionen links und rechts vom Zuschauer, an den Wänden der Halle (Lichtdesign: Albrecht Leu). Sie erlebt die ungewollte Schwangerschaft der Mutter des Tepegöz durch Vergewaltigung, indem sie die von den Instrumentalisten abgespielt weggeworfenen Notenblätter zusammenknüllt und unter ihr Kleid steckt. Der zentrale, silbern schillernde Beamer steht zugleich für das einzige Auge des Antihelden dieses Mythos.

Mit einer Rundprozession aller Instrumentalisten um das Auge des einäugigen Tepegöz schließt dieses szenische Konzert, das sich als ein „Gleichnis über die Schwierigkeit des Menschen mit unlöschbarer Schuld umzugehen“, versteht. Die Textauswahl von Holger Kuhla auf Grundlage von Hendrik Boeschotens „Dede Korkut“-Übersetzung, integriert auch Meinungen aus der aktuellen Literaturszene Istanbuls. Als einen Fluch des Tepegöz deutet das letzte der in Sinans Komposition integrierten Interviews die Massaker der Türken an den Armeniern und Kurden.

Die von Dirigent Fabián Panisello souverän geleitete Partitur ist expressiv, mit ungewöhnlichen Klangballungen durch die exotischen Farben von Zhirau, Kamancheh, Dombra und Sato, mit Glissandi auf der E-Gitarre, unheilschwangeren Themen der Posaune und versöhnlichen Holzbläserharmonien, bis hin zu Choralpassagen in Bach-Nähe und Elementen türkischer Popmusik. Faszinierend, wie traditionelle Klänge in Form von filmisch eingefangenen Darbietungen nahtlos in Sinans Partitur integriert sind.

Die von Helleraus Intendant Dieter Jaenicke initiierte Produktion – in Fortsetzung des Projekts „Hasretim“ mit den mit den Dresdner Sinfonikern – war im Vorhinein ausverkauft und erntete beim Premierenpublikum lautstarke Begeisterung. An die nur einmalige Präsentation in Hellerau und Auftritten im Maxim Gorki-Theater in Berlin, werden sich Gastspiele in Liechtenstein und in der Türkei, sowie in Baku anschließen.

Weitere Aufführungen: 14., 15., 16. 2. 2014 im Berlin Maxim Gorki-Theater.

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