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Susan Bullock (Brünnhilde) und Terje Stensvold (Wotan) in der Frankfurter "Walküre". Foto: Monika Rittershaus
Susan Bullock (Brünnhilde) und Terje Stensvold (Wotan) in der Frankfurter "Walküre". Foto: Monika Rittershaus
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In der Walküren-Schule: Fortsetzung von Vera Nemirovas Frankfurter „Ring“-Inszenierung

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In Wagner-Inszenierungen macht die Schule offenbar Schule: Nach Konwitschnys „Lohengrin“ im Klassenzimmer, erklärte im Kopenhagener „Ring“ Alberich seinem Sohn Hagen die bestehenden Machtverhältnisse und seine Pläne der an der Schultafel. Und nun wird in der Frankfurter „Walküre“ die Rückwand von Jens Kilians Raumskulptur ebenfalls zu einer gewaltigen Schultafel, an der Wotans und seine Lieblingstochter mit Kreide und Schwamm hantieren.

Die schräg gelagerte Scheibe, mit ihren vier konzentrischen, unabhängig zirkulierenden und kippbaren Ringen um eine zentrale Mittelversenkung, bleibt auch in der „Walküre“ zentrales, nur farblich verändertes Bildmotiv. Der erste Aufzug spielt zunächst unter dieser Fläche, die in ihrer Konzentrik auch Baumringe assoziiert, so dass auf das Motiv der Esche verzichtet wird: das Schwert ist in den Boden gerammt und ragt mit dem Schaft in Hundings Behausung. Hier bedroht Hunding den Fremdling mit einem Messer und küsst seine Frau ostentativ; ein veristisches Drama scheint sich anzubahnen. Doch die befreiende Lenz- und Liebesnacht des Wälsungenpaares spielt auf der verschneiten Oberfläche, wo Siegmund übermütig mit Schneebällen um sich wirft.

Die Welt des Oben und Unten, mit dem optisch sinnfälligen, tödlichen Kreisen von Machination, Flucht und Gedanken, wird allerdings auch ad absurdum geführt, wenn die Sängerdarsteller die Hightech-Version der Neubayreuther Scheibe hinter sich lassen und zum Gesang an die Rampe treten.

Sonderapplaus erhält zu Beginn des zweiten Aktes ein kreisendes Spielzeugpferdchen; eine Idee, die keine Entsprechung erfährt und verpufft. Wotan, der am Ende des „Rheingold“ Abendtoilette angelegt und mit Sekt angestoßen hatte, spricht, mit offener Fliege, immer noch seinem Luxusgetränk zu, greift auf dem Walkürenfelsen aber auch zum Flachmann. Seine Gattin Fricka legt ihm einen Wolfsfellmantel um, wie er auch Siegmund und dann Sieglinde bedeckt. Wotans Gewand dient ihm später als Bettlaken für seine in Zwangsschlaf versetzte Tochter. Die ist zunächst ein jugendlicher Irrwisch mit strubbeligem Feuerschopf und belauscht den Disput ihrer Eltern um den Inzest der Wälsungen; eine schlüssige Idee, denn die Götter im „Ring“ sind keineswegs hellsichtig, und die Frage, woher Brünnhildes Erkenntnis der gerade einmal ein paar Stunden zurückliegenden Schwangerschaft Sieglindes stammt, wird so plausibel.

Wagner-Enkel Wieland, der bereits in „Rheingold“ dramaturgisch bemüht und optisch alludiert wurde, steht Pate für die Walkürenszene am Beginn des dritten Aufzuges, wenn sich die Szene nicht sukzessive mit den ankommenden Schlachtmädchen füllt, sondern wenn die Walküren – wie in Wieland Wagners Stuttgarter Inszenierung – gleich als stehendes Heer versammelt sind. Bei Vera Nemirova gibt es dazu unter der Scheibe simultan eine Leichenhalle, die von Uniformierten mit Särgen angefüllt wird. Nach symbolischer Statuarik löst sich das Spiel dann überzeugend auf, in eine sehr weibliche Sicht des Geschehens: Den unmenschlich erzogenen Mädchen wird zunächst schlecht, als sie von Sieglindes Schwangerschaft erfahren, doch dann betasten und streicheln sie neugierig den Schoß der Halbschwester und schlüpfen gedanklich selbst in die Mutterrolle, wobei sie ihre abgesetzten Helme wie Babys liebkosen. Das Mitempfinden der Walküren hat Zartheit und Nachdenken ausgelöst und gipfelt gar im Ansatz zur Revolte gegen den Göttervater. Der Bestrafende wird zum Bestraften: nach der Verbannung der Lieblungstochter nimmt der traurige Gott das seiner Tochter abgerissene, schwarze Übergewand als Fetisch zum Trocknen seiner Tränen mit sich. Nach Wotans Vorstellung des Feuers – ein kaum merklicher Videoeinsatz – senkt sich de facto ein mit Gasflammen brennender Eisenring um die im Zentrum empor gefahrene, schlafende Brünnhilde. Das Bild dauert über das Verklingen der Musik an, aber Stille herrscht im Auditorium, bis der Bühnenausschnitt geschlossen und das Orchesterlicht verloschen ist; das spricht deutlich für die Wirksamkeit von Musik und Szene in Frankfurt.

Terje Stensvold als Wotan überzeugt durch sichere Stimmführung und Nuancenreichtum. Etwas angestrengt, doch souverän, gestaltet Martina Dike die Fricka als Vertreterin der Weiblichkeit. Susan Bullocks Brünnhilde enttäuscht zunächst mit flackernden, unsauberen Hojotohohs; wiederholt springt ihre Stimme schwer an, doch dann gewinnt sie zusehends an Profil. Sehr unterschiedlich im Einzelgesang, aber trefflich im Zusammenklang ist das Oktett der Walküren besetzt. Ain Anger leiht dem Hunding einen markigem Bass. Großartig in der Homogenität von Spiel und Gesang das Wälsungenpaar: heldisch kraftvolle, wenn auch textlich nicht immer präzise, Frank van Aken als Siegmund und dramatisch und belcantistisch rumdum überzeugend Eva-Maria Westbroek als Sieglinde.

Dirigent Sebastian Weigle interpretiert die Partitur gewichtig und mit aggressiver Akzentuierung, gefährlich drohenden Paukenschlägen in der eröffnenden Sturmmusik und mit martialisch schneidenden Beckenschlägen beim Walkürenritt. Gleichwohl übertönt er nicht die Sänger. Beim Applaus erweist sich, dass er zwischenzeitlich zum Frankfurter Publikumsliebling avanciert ist. Der Widerspruch jener, die mit der szenischen Lösung nicht einverstanden sind, unterliegt im Begeisterungszuspruch beim Schlussapplaus. Wie die Premiere, so werden auch die nachfolgenden, bereits sämtlich ausverkauften Aufführungen für CD mitgeschnitten.

Weitere Aufführungen: 4., 7. 10., 18., 21. , 28. November 2010

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