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Siegfried Wagner. Foto: Wikimedia Commons
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Wettstreit der Wagner-Generationen: Uraufführung von Siegfried Wagners „Friedens-Hymne“ in Würzburg

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Zweifellos als „Opfer einer pedantischen Theorie“ wertete Arnold Schönberg im Jahre 1912 den Komponistenkollegen Siegfried Wagner und fügte hinzu, Siegfried Wagner sei „ein tieferer und originellerer Künstler als viele, die heute sehr berühmt sind.“ Noch vor Schönbergs Veröffentlichung seiner Zwölftontheorie komponierte Siegfried Wagner in der erst im Jahre 2003 uraufgeführten Oper „Rainulf und Adelasia“ (1921) handlungsdramaturgisch begründete Zwölfton-Skalen. Thematisch Bezug auf dieses Opus 14 nimmt eine „Friedens-Hymne“ für gemischten Chor, Sopransolo und Orchester, die in Würzburg ihre späte Uraufführung erlebte.

Zum Zeitpunkt von Schönbergs Statement in der „Rheinischen Musik- und Theaterzeitung“, komponierte Siegfried Wagner sein Opus 9, „Der Heidenkönig“, das mit so ungewöhnlichen Klangfarben aufwartet, dass dessen Uraufführung allerdings erst postum erfolgte. Auf Verwunderung des Publikums und auf besonders großen Zuspruch stießen Ausschnitte dieser Oper in einem Konzert des Mainfranken Theaters Würzburg. Das Sonderkonzert mit Werken von Richard und Siegfried Wagner, mitfinanziert vom Richard Wagner-Verband Würzburg-Unterfranken, regte zum Vergleich der doch sehr unterschiedlichen Tonsprachen zweier Generationen an, wobei die sattsam bekannten Ohrwürmer Richard Wagners – der Einzug der Gäste aus „Tannhäuser“ oder das Ende der „Meistersinger“ – gleichsam wie eine kalte Dusche wirkten auf die zuvor ziselierte, filigrane Tonsprache des jüngeren Wagner.

Die Programmwahl Konzert erfolgte nicht aus Anlass des 80. Todestages von Siegfried Wagner (1869–1930), sondern zum 90. Geburtstag seiner Tochter Verena, der letztgeborenen Wagner-Enkelin, die zu diesem Abend im eigenen Pkw aus Überlingen angereist war und sich bei bester Gesundheit feiern ließ.

Im Mittelpunkt des zweieinhalbstündigen Konzerts stand das erstmalige Erklingen einer Komposition Siegfried Wagners aus dem Jahre 1918. Damals hatte die Leipziger Illustrierte Zeitung den Komponisten aufgefordert, „eine Friedenshymne für eine Festnummer zu verfassen“. Aber der siegreichen Friedenserwartung folgte die Niederlage, und so bezeichnete der Komponist sein Particell „eine leider voreilige Komposition“, die er uninstrumentiert ließ.

Gleichwohl erweist sich dieses Oratorium in seiner nachdrücklichen Friedensforderung als ein pazifistisches Opus. Wie in einer Opernszene, stehen sich in der in f-Moll beginnenden und in der parallelen Durtonart As-Dur endenden Komposition Frauen- und Männerstimmen dialogisch gegenüber. Der Behauptung der Männer, sie hätten nur zur Bestrafung von „Lüge, Hass und Neid“ zu den Waffen gegriffen, steht die Mahnung des Frauenchors gegenüber, nicht in brausenden Jubel auszubrechen, schließlich sei das Zurückliegende zu furchtbar. Höhepunkte schafft der zweimalige Einsatz des Sopransolos, die mit dem Hauptthema der Hymne aufruft, das „Friedenswerk“ nun neu zu beginnen. Das für diese epische Forderung gewählte elegische Solothema verknüpft die „Friedens-Hymne“ mit der Partitur der Oper „Rainulf und Adelasia“, wo es den Sieg der weiblichen Hauptfigur zeichnet: Adelasia opfert ihre Ehre, um den Herrscher Rainulf als Schuldigen zahlreicher Freveltaten und Gräuel zu überführen. Dieser Entschluss Adelasias stand ebenfalls auf dem Programm des Würzburger Konzerts.

Verglichen mit dem Schlussgesang von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ (an diesem Abend ebenfalls zu hören), verlangt Siegfried Wagner von der dramatischen Sopranistin erheblich größeren Einsatz an Umfang, Textur und Registerfarben. Anja Eichhorn brachte den Wagemut dieser ehrbaren Dirne denn auch nur in einer um erleichterten, weil deutlich verkürzten Fassung zum Vortrag. Dem geforderten Facettenreichtum stimmlicher und sprachlicher Gestaltung deutlich näher kam der Bassbariton Johan F. Kirsten mit Jaroslaws Postulat für offene Sexualität aus der Oper „Der Heidenkönig“. Der durch Extrachor auf rund 90 Stimmen erweiterte Chor des Mainfrankentheaters (einstudiert von Markus Popp) brillierte in den Ausschnitten aus dieser Oper mit dem in seinen Stimmungen ständig umbrechenden Kupâlo-Fest, dem Aufbegehren „Was? Wieder Dürre?“ Das gut disponierte Philharmonische Orchester Würzburg, mit leuchtenden Bläsern und sattem Streicherklang leitete Jonathan Seers durchaus schwungvoll.

Richard Wagners „Siegfried-Idyll“, in der Fassung mit chorischen Streichern, hatte das Würzburger Wagner-Konzert eingeleitet. Der hiermit im Jahre 1870 begrüßte Hoffnungsträger der Familie Wagner hat 1922 den Gedanken geäußert: „Nicht: Durch Sieg Frieden heißt es bei mir, sondern durch Frieden Sieg. Also müsste ich eigentlich Friedsieg heißen!“ Diese Sentenz scheint insbesondere auf den Komponisten der „Friedens-Hymne“ zuzutreffen, die soeben im Verlag Ries & Erler erschienen ist. Die im Auftrag der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft erfolgte Orchestrierung durch Konrad Bach trifft zwar nicht immer das sehr spezifische klangliche Idiom Siegfried Wagners, kommt aber den instrumentatorischen Charakteristika des Komponisten erstaunlich nahe.

Siegfried Wagners resignative Frage, „ob eine Aufführung derselben einen Sinn hat?“, beantwortete das Publikum im nahezu ausverkauften Mainfranken-Theater jedenfalls mit begeisterter Zustimmung.

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