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Szene aus der Westside-Story an der Komischen Oper Berlin, Premiere 2013.Foto: © Iko Freese/drama-berlin.de
Szene aus der Westside-Story an der Komischen Oper Berlin, Premiere 2013.Foto: © Iko Freese/drama-berlin.de
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Standing Ovations für Leonard Bernsteins „West Side Story“ an der Komischen Oper Berlin

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Die Inszenierung des Hausherrn Barrie Koskie, choreographiert von Otto Pichler, versetzte das Publikum in der Komischen Oper Berlin geradezu in einen Rausch von Musik und Bewegung. Die rasante, in den Musiknummern von den deutschsprachigen Dialogen in die im originalen Englisch erklingenden Musiknummern übergleitende Präsentation im mehr oder weniger leeren Bühnenraum erntete bei der Premiere einhelligen Jubel, musikalisch aggressiv hochgekocht von Koen Schoots.

Da die moderne Variante des Shakespeareschen „Romeo und Julia“-Stoffes durch Leonard Bernstein, Arthur Laurents und Stephen Sondheim vielfaltige dramaturgische und inhaltliche Bezüge zu „Tristan und Isolde“ bietet, kann diese Neuproduktion durchaus auch als ein Beitrag zum Wagner-Jahr angesehen werden.

Wie Tristan und Isolde, gehören Tony und Maria verfeindeten Volksgruppen an, beide Liebespaare setzen sich mit ihrer Liebe jenseits von Zeit und Raum, beschwören die Nacht (Tony: „Ich sah dich und die Welt versank!“). In beiden Musiktheater-Handlungen wird die Utopie gebrochen, in beiden überlebt die Frau ihren Geliebten. Konsequenterweise reicht die Parallele bei Bernsteins „West Side Story“ bis hin zur Vertrauten: Anita, eine Mezzo-Partie wie die Brangäne, bietet mit ihrer Zubereitung eines Liebes-Schaumbades (für ihren Geliebten Bernardo) eine eigenwillige Variante auf Brangänes Zubereitung des Liebestranks.

Wagner-Bezüge

Im Werk des Wagner- und „Tristan“-Dirigenten Bernstein, der so gerne in Bayreuth dirigiert hätte, aber dort nur einmal ohne Orchester am Dirigentenpult stand, bietet die Nacht Erfüllung für das Liebespaar, während deren feindliche Umwelt, in Form der rivalisierenden Banden von Jets und Sharks, Jagd (auf einander) macht. Dabei folgt das meisterlich kontrapunktische „Tonight“-Ensemble strukturell dem Beispiel des zweiten Finales der „Meistersinger“, wobei diese Oper ihrerseits bereits Parodiefunktion auf „Tristan und Isolde“ besitzt.

Besonders deutlich werden solche Parallelen in einer Inszenierung, die bewusst auf alle optischen Bezüge zur West Side von New York verzichtet und die Handlung in einem dunklen, leeren Raum auf die Personen selbst beschränkt.

Verstärkt wird Bernsteins Wagner-Bezug durch die Wahl seiner originalen Version für großes Orchester, dramaturgisch aber insbesondere deutlich durch die große Traum-Albtraum-Sequenz im zweiten Akt. In der berühmten Verfilmung des Musicals ist diese nicht enthalten, und sie wird auch bei Bühnenaufführungen häufig gestrichen. Dem Berliner Programmheft ist zu entnehmen, dass Regisseur Koskie diese Szene ebenfalls streichen wollte, dass aber Dirigent Koen Schoots sich mit seinem Plädoyer für den Verbleib durchgesetzt hat. Dennoch erklingen die Nummern 13 A – E leider nur arg inkomplett, – was aber vermutlich daran liegt, dass die Satzfolge im gedruckten Orchestermaterial ebenfalls nicht vollständig enthalten ist; für eine ungekürzte Produktion im Theater Hagen musste im Jahre 1996 das Orchestermaterial zu dieser Szene neu ausgeschrieben werden.

„Somewhere“

Auch die Hoffnungs-Botschaft in dieser Sequenz, „Somewhere“, erklingt in Berlin leider nicht als Vision mit der Stimme eines unschuldigen Mädchens oder Knaben, sondern direkt auf der Szene, von Tony selbst gesungen. Optisch fand der Regisseur für die verknappte Szenenfolge dieses Blocks eine beachtliche Lösung: das Liebespaar im Spot begegnet auf der Drehscheibe seinen gealterten Doubles, den Sinnbildern ihrer Hoffnung, gemeinsam alt zu werden. Dabei nehmen die Protagonisten die jeweiligen älteren Personifizierungen ihres Ego an die Hand und umarmen sie, von zehn aggressiv tanzenden Herren umkreist.

Vor der sarkastischen Officer Krupke-Nummer rauchen die Jugendlichen einen Joint, dessen Qualm beißend in den Zuschauerraum dringt. Und jener jugendliche Jet, der in der Parodie in die Rolle einer Sozialpflegerin schlüpft, trägt ein Bananenröckchen, wie Josephine Baker in den Zwanzigerjahren in Berlin. In dieser witzig inszenierten Nummer ist die Entscheidung für die Originalsprache in den Gesängen allerdings fragwürdig, zumal diese Szene auch vom Wortwitz, der assoziativen Reibung selten gebrauchter Begriffe lebt; angesichts der Rasanz dieser Nummer ist es dem Zuschauer jedoch nicht möglich, gleichzeitig die Übertitelung auf der Rückenlehne seines Vordersitzes und die Bühnenaktionen zu verfolgen. (Für die deutsche Dialogfassung zeichnen Frank Thannhäuser und Nico Rabenald verantwortlich.)

Otto Pichlers Choreographie

Die starke rhythmische Kraft der Partitur erwächst in dieser Aufführung geradezu aus dem Nichts: es sind es die rhythmischen Aufschläge eines Basketballs, die den Rhythmus der Eröffnungsnummer vorgeben. Schneidend und unerbittlich, dabei zumeist bestens disponiert, sorgt das Orchester der Komischen Oper Berlin für den nötigen Drive, den auch Otto Pichlers Choreographie umsetzt. Diese Choreographie ist wahrlich brillant und temporeich, sehr viel aggressiver und mehr straßenbezogen als die Muster-Choreographie von Jerome Robbins aus dem Jahre 1957, und sie zeigt auch die enorme Entwicklung der Körpersprache seit der Uraufführung.

Dabei sind die jugendlichen Choristen und Tänzer, zumeist mit breiten Tatoos auf ihren nackten Oberkörpern, nur die Verlängerung ihrer Anführer Action (Hakan T. Aslan) und Chino (Kevin Foster), die Shark-Girls in ihrer ungebremsten Lust auf Sex ebenso aufreizend wie die in ihrer stimmlichen Darstellung und in ihrem Leiden in der Vergewaltigungsszene gleichermaßen starke Anita der Sigalit Feig.

Ganz ohne ein Äquivalent der New Yorker Feuerleitern kommt allerdings auch diese Inszenierung nicht aus: am Proszenium sind Steigleitern angebracht, Förderkörbe senken sich zwischen den Zugstangen aus dem Schnürboden und auch die Beleuchtungsbrücken werden bespielt, dazu Moving Lights als Suchscheinwerfer auf der Bühne (Ausstattung: Esther Bialas).

Auf der Drehscheibe signalisiert ein Obststand auf Rollen den Arbeitsplatz von Doc und Tony, und anstelle des Modegeschäfts, in dem Maria arbeitet, wird ein Doppelbett für den Dialog von Maria und Anita, später auch fürs Liebespaar, auf die Scheibe gerollt.

Der erste Akt endet mit einem Fade der Gegenlichtrampe zu Glockenschlägen, und die schwarze Courtine senkt sich in der Stille wie ein Fallbeil.

Nach der Pause wird das „I feel pretty“ gebrochen durch grotesk bunte Masken von Maria und ihren Freundinnen, deren Dialog zunächst aus dem Off erklingt.

Großartig, wie gestandene Sängerdarsteller des Hauses an den Behrenstraße den Youngsters in dieser Produktion den Platz geräumt und sich mit kleinen Sprechpartien begnügt haben, wie etwa Christoph Späth, der den Polizisten Schrank und Philipp Meierhöfer, der den Officer Krupke verkörpert. Schauspielerisch und sprachlich besonders eindrucksstark agiert Peter Renz als Doc. Beachtlich „klassisch“ singen Julia Giebel als Maria und Tansel Akzeybek als Tony und noch beachtlicher küssen sie: nie zuvor habe ich auf der Bühne so viele intime Lippenküsse erlebt, wie sie hier das Paar immer wieder aufs Neue ausgiebig tauscht. Dazu hebt sich beim ersten „Tonight“ des Liebespaares ein leuchtender Sternenhimmelvorhang, der am Ende des Duetts wieder abgesenkt wird. Am Ende liegen der stark blutüberströmte tote Tony und seine überlebende Partnerin Maria auf kreisender Drehscheibe, wie auf einem Tablett, vom Ensemble begafft, aber ohne jegliche Versöhnung der rivalisierenden Gruppen.

Enthusiastische Bravorufe bereits nach der ersten Szene, steigerten sich am Premierenabend sukzessive bis zu Standing Ovations, bereits unmittelbar nach dem Schlussakkord.

Weitere Aufführungen: 28., 30. November, 3., 5., 8. , 13., 18., 23. 25., 2., 31. Dezember 2013, 4., 5., 25. Januar, 24. Mai, 7. , 14., 29. Juni, 5., 13. Juli 2014

 

 

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