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Die Walküre in Nürnberg. Foto: Theater Nürnberg
Die Walküre in Nürnberg. Foto: Theater Nürnberg
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Liebesnot in Kriegszeiten – Nürnbergs Oper beeindruckt mit einer Endzeit-„Walküre“ voll aktueller Bezüge

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Schon wie im Traum, ganz, ganz leise erinnert sich Diktator Wotan im Kamelhaarmantel an „der Augen leuchtendes Paar“ seiner Lieblingstochter Brünnhilde. Mit letzter matter Geste hat er sie hinter einer Feuerwand in Schlaf versenkt. Emotional ausgelaugt sackt er vorne auf einem Stuhl zusammen, seine Herrschaftslanze wie einen unnütz gewordenen Wanderstab im Arm – so könnte er ein Menschenalter später dem jungen Siegfried ein letztes Mal aufbegehrend den Weg versperren …

Doch jetzt, während hinten die Flammen flackern, versinkt er in schmerzlichem Traumschlaf – und in der Dunkelheit kommt vorne das „glückliche Einst“ zurück: Brünnhilde als Kind, schon im roten Walküren-Mantel; sie nimmt ihn an der Hand, mit einem unausgesprochenen „Komm, Papa, gehen wir heim …“ verschwinden beide ins Dunkel. Mit diesem bewegend einfachen Bild des Scheiterns endet das Weltenwende-Drama um die „Walküre“ in Nürnbergs „Ring des Nibelungen“.

Tatsächlich gab es nach den letzten Noten einen Moment betroffener Stille, ehe dann der Jubel losbrach. Der schloss auch GMD Marcus Bosch ein, der aber nicht mehr als breite, die Sänger oft allzu sehr fordernde Tempi bot – und überwiegend nur tosende Lautstärke. Die gut aufspielenden und erst am Ende auch mal detonierenden Nürnberger Philharmoniker wurden fast nie von Boschs linker Hand gedämpft und daran erinnert, dass da oben nur eine Stimme gegen sie ansang. Dieses laute Drauflosmusizieren prägte schon die letzten zwei Bosch-Premieren – hört er da selbst nicht kritisch und trauen sich seine Assistenten nicht? Selbst der einzige Gast im Solisten-Ensemble, die Engländerin Rachael Tovey hatte als Brünnhilde mit ihrem gut fokussierten Sopran-Stahl mitunter keine Chance, über das Orchester hinweg zu tönen. Noch mehr an ihre Grenzen kam die sich vom lyrischen ins jugendlich dramatische Fach wagende Ekaterina Godovanets als Sieglinde.

Doch das kurze Glück im langen Leid verkörperte sie anrührend. Zu diesen beiden Frauen kontrastierte die wahrscheinlich direkt von Münchens Maximilianstraße kommende bildschön eiskalte Diktatoren-Gattin Fricka von Roswitha Müller fulminant: per Überwachungsvideo im Cabrio heranbrausend, mit schneidenden Mezzotönen. Mit unwiderstehlichem Durchsetzungsvermögen erreichte sie, dass der mythisch tätowierte Rambo-Hüne Hunding mit seiner Axt den Outlaw Siegmund erschlagen konnte. Diesem einzig tragischen, zu Tode gehetzten Helden gab Vincent Wolfsteiner beeindruckendes Format: tenorales Leid in seiner „Friedmund-Wehwalt“-Erzählung, liedhaftes Schwelgen bei den „Winterstürmen“ und „Wälse!“-Rufe von Festspiel-Format. Zu Recht noch ein wenig mehr gefeiert wurde Wotan-Debütant Antonio Yang: bis auf Kleinigkeiten bestechende Artikulation, ein kerniger Bass-Bariton mit Kraft zur Attacke und am Ende eben zu dem faszinierenden Traum-Piano.

Sie alle hatte Regisseur Georg Schmiedleitner in die Endzeit eines Kriegs der Welten versetzt. Stefan Brandtmayers Bühne zeigt ein halb bombenzerstörtes Betonskelett als Hundings Behausung; eine nur von Sehschlitzen durchbrochene Bunkerhalle mit Überwachungsbildschirmen sowie auf- und abfahrender Herrscherbühne für Wotan und Fricka; eine Industriewüste voller Autoreifen für Siegmunds Ende, schließlich ein apokalyptisches Gelände, wo die gewalttätigen – aber gut singenden - Punk-Walküren ihre „Helden“ in Käfigen halten: es sind wüst entstellte Kinder-Soldaten, heutige Dokumentarfotos zitierend. In dieser, an Filmbilder aus „Children of Men“ oder „Elysium“ erinnernden, düsteren Szenerie fesselte immer wieder die klar konturierte Personenregie von Regisseur Schmiedleiter, besonders, wie er die Heroinenfigur Brünnhildes ohne Kitsch zu kindlichem Verhalten formte, wie er sichtbare Spannung zwischen Hunding und Siegmund, zwischen Wotan, Fricka und der aufbegehrenden Brünnhilde oder der Walküren-Meute und Wotan aufbaute. Vom wenig überzeugenden und prompt scheiternden Mikrofon- und Videoeinsatz für den Kampf Hunding-Siegmund abgesehen, erzählte Schmiedleitner ohne postdramatische Mätzchen von der Katastrophe eines inhumanen Weltherrschaftsplanes – und bewies abermals, dass Wagners „Ring“ eben ein wüst warnendes Gleichnis von Heute für Heute ist.

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