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Foto: M. Boese
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Mainstream-Opern-Event im Berliner Bode-Museum: „Figaros Hochzeit“, bei Hagel deutsch-italienisch

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Was lange währt, ist noch nicht bewährt, aber Christoph Hagels eigene Opernszene ist inzwischen gesellschaftlich etabliert und verankert am zuletzt gewählten Spielort, der Basilika im Bode-Museum auf der Museumsinsel. Wie schon bei Haydns letztem Bühnenwerk „L’ anima del filosofo ossia Orfeo ed Euridice“, sitzt das Publikum bei „Figaros Hochzeit“ zu beiden Seiten eines Steges. Und wie bei Haydn, lässt Hagel auch bei Mozart die Rezitative auf Deutsch, die Gesangsnummern im italienischen Original singen.

Nur leider funktioniert so die Handlungsvermittlung bei Mozart weit schlechter als bei Haydn, zumal Mozarts Arien Sätze aus den Rezitativen aufgreifen und reflektieren, insbesondere aber, da wichtige Handlungsmomente bei Mozarts Da Ponte-Opern in den Finales erfolgen.

Die auf nur neun Gesangssolisten reduzierte Personage in Hagels eigener Inszenierung agiert vornehmlich im leeren Raum. Mit rhythmischem Getrampel transportiert das Ensemble jedoch bereits in der Ouvertüre einen Sessel, der sich aus der Handlungsführung um die sich in Susannes Zimmer versteckenden Möchtegern-Liebhaber Cherubino und Graf kaum eliminieren lässt; dieser bildet das einzige Möbel im ersten Akt, im zweiten Akt dann abgelöst von einer Chaiselonge (für die Gräfin) und einem Schreibtischchen im dritten Akt. Im Schlussakt tritt die Projektionsebene auf der Querwand der Basilika hinzu, mit animiertem Gebüsch, Sternenhimmel, Kornfeld und Vollmond.

Christoph Hagel setzt als Regisseur auf pantomimische Aktionen, die der Pantomime Oliver Pollak rhythmisch exakt einstudiert hat: optisch überzeugt das Ensemble in kollektiven Momenten, bei einem Schlagabtausch in Zeitlupe am Ende des zweiten Aktes, beim Fandango im dritten Akt und beim hier für den Außenstehenden kaum mehr entwirrbaren Chaos im finalen nächtlichen Park (fortgesetzt in einer unfreiwillig chaotischen Applausordnung).

Figaro misst zu Beginn der Opernhandlung nicht den Raum seines zukünftigen Zuhauses, sondern gleich die körperlichen Details seiner Braut ab, und Susanna revanchiert sich, indem auch sie die intimen Details ihres Bräutigams vermisst. Der Page Cherubino tritt mit übergroßem Teddybär auf, an den er seine Kanzonette geheftet hat. Dann geht es nicht um eine Mädchenverkleidung für den hier (aber nur in der Erstbesetzung) männlich besetzten Darsteller, sondern um eine körperliche Spielerei, durch die Susanna – laut Programmheft – die Gräfin „von ihrem Unglück“ ablenken will.

Mozarts zweiter Akt gehorcht einer Türen-Dramaturgie, die auf dem Laufsteg nicht machbar ist; also wird zum einen das große (aber durchsichtige!) Glasportal der Basilika als Tür behauptet, und die Türe, hinter der sich Cherubino versteckt, wird pantomimisch erklärt.

Im Gegensatz zur Haydn-Produktion gibt es eine Pause, deren Dauer dann durch Striche, etwa der kompletten Notarszene, wieder eingeholt wird. Susanna gestaltet ihre Rosen-Arie als bewusste Provokation für Figaro, nicht als eigene Gefühlsverwirrung einer amor universalis.  Und Figaro belauscht sie, in Personalunion von Gebüsch und Mond, als einem optischem Zitat der Handwerkerszene aus dem „Sommernachtstraum“. Am Ende zieht ein stummer Umbau-Diener einen weißen Schleier über alle: die kollektive Hochzeit der von drei Kostümbildnerinnen des Berliner Werkstattkollektivs in schwarze Dominos und weiß-goldene Larven gehüllten Protagonisten.

Stimmlich wartet die Aufführung mit einem Wettbewerb an dramatischen Sopranstimmen auf: Die Barbarina von Sarah Behrend ist umfänglich aufgewertet, da sie – zusammen mit Cherubino – auch den Löwenanteil des Chorparts übernimmt. Alexis Bathelemy als Gräfin singt schön und kernig, wenn auch wenig textverständlich, überragt von der in Temperament und Intensität bei Gesang und Spiel, wie in ihrer sinnlichen Tongebung und Stimmführung bravourösen Cristiane Roncagio als Susanna. Bei den Herren siegen stimmlich der Tenor Joseph Schnurr als Basilio und Bernhard Hansky in der Titelrolle, über Tobias Hagge als Graf Almaviva und Florian Hille als Doktor Bartolo und Antonio. Besonders bejubelt wurde der Counter Christophe Villa als Cherubino, mit hellem Timbre in sauberer Stimmführung, aber bisweilen schriller Höhe.

Ob die häufigen Unstimmigkeiten zwischen dem am Ende des Steges zu ebener Erde positionierten Orchester und der Bühne alleine auf einen arg gestörten Monitor zurückzuführen sind, sei dahingestellt. Die Berliner Symphoniker klingen unter Christoph Hagel, der auch ohne das ihn vordem typisierende Pferdeschwänzchen, souverän und beschwingt dirigiert, wie ein städtisches Mittelklasse-Orchester. Die in den Streichern schwach (mit nur einem Kontrabass) besetzte, freie Formation erfreut jedoch durch die Tatsache, dass dieses Orchester – seiner Abwicklung durch den Berliner Senat zum Trotz – klangvoll weiter existiert. Besonders wirkungsvoll sind die von Laute und Gitarre begleiteten Rezitative.

Einhelliger Applaus mit Bravorufen nach Ende der knapp dreistündigen Premiere.

Weitere Aufführungen: bis 27. Mai 2012, jeweils Freitag, Samstag und Sonntag, 20 Uhr.

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