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Christa Ratzenböck und Elizabeth Wiles in der späten Saarbrücker Gouvy-Uraufführung. Foto: Bettina Stöß
Christa Ratzenböck und Elizabeth Wiles in der späten Saarbrücker Gouvy-Uraufführung. Foto: Bettina Stöß
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Mehr als 150 Jahre zu spät: zur Uraufführung von Théodore Gouvys Oper „Der Cid“ in Saarbrücken

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Vor dreieinhalb Jahren gelang dem Staatstheater Saarbrücken mit dem Auftauen von Wladimir Deschewows „Eis und Stahl“ eine kleine Sensation. Die Erinnerung an eines der revolutionär gemünzten Musiktheaterwerke der jungen Sowjetunion war ein Signal, bestimmte Segmente der Kulturgeschichte, die gegenwärtig unter der Windstille des Vergessens dahindümpeln, nicht gänzlich unbeachtet zu lassen. Die kulturpolitische gute Absicht war nun offensichtlich auch in hohem Maß der gutnachbarschaftliche Vater des Gedenkens an Théodore Gouvy (1819–1898) und dessen historisch verunglücktes Hauptwerk „Der Cid“.

Die künstlerische Erhöhung des mittelalterlichen Helden Rodrigo Diaz, der im 11. Jahrhundert teils mit den christlichen Spaniern, teils auf Seite der moslemischen Mauren kämpfte und von diesen den markanten Beinamen erhielt, kann auf eine längere Theater-Geschichte zurückblicken. An deren Anfängen steht 1618 die Trilogie „Las mocedades del Cid“ des in Madrid tätigen Dramatikers Guillén de Castro (1569–1631). Sie diente Pierre Corneille als Vorbild für dessen Tragikomödie, die 1636 im Pariser Théâtre du Marais uraufgeführt wurde, diese wiederum Moritz Hartmann für ein Libretto, das Gouvy in den 1860er-Jahren komponierte. Zwischenzeitlich schrieb Christian Dietrich Grabbe in Düsseldorf ein Cid-Libretto für seinen Freund Norbert Burgmüller, doch wurde dieses Projekt nicht zu Ende gebracht. Zu Lebzeiten Gouvys wurde auch dessen Oper nicht realisiert – 1885 triumphierte Jules Massenet mit seinem „Cid“ in Paris. Nachdem seit einiger Zeit von französischer Seite der Komponist Gouvy mit erheblichen Anstrengungen reaktiviert wird, hat nun auch das Saarländische Staatstheater reagiert und erinnert an den in Goffontaine bei Saarbrücken geborenen Sohn des Grenzlandes.

Der brachte die denkbar besten Voraussetzungen für einen umfassenden Erfolg mit. Und doch fand dann der „Durchbruch“ zur internationalen Karriere nicht statt – aus Gründen, die später in objektiver Weise kaum zu ergründen sind. Das lothringische Industriellenkind Gouvy wurde in Paris in den 1840er-Jahren nicht nur solide in allen kompositorischen Disziplinen unterwiesen, reüssierte mit Kammermusik und Orchesterstücken, Liedern und frommen Werken, sondern fand dort auch Zugang zu den feinen Salons sowie den tonangebenden Musikerkreisen. Der alte Rossini habe ihn, so berichtete der junge Gouvy, höchst persönlich gedrängt, die Stimmbehandlung für dramatische Werke zu studieren und es mit Opernkompositionen zu versuchen.

Die finanzielle Unabhängigkeit erlaubte ihm, den Standort häufig zu wechseln und enthob ihn des Problems, seine Komponisten dergestalt „durchkämpfen“ zu müssen wie mittellos in die Karriere startende Komponisten – also wie zu seinen Tagen Verdi und Wagner, Bizet oder Offenbach. Auch sah er sich nicht veranlasst, sie mit unverwechselbaren Kennzeichen – Markenzeichen – auszustatten, sondern hielt sie wohl sehr bewusst – unter Verzicht auf „Exzentrisches“ – in konservativen Bahnen, von denen er sich die größte Konsensfähigkeit versprach. Aber das Publikum in den sich rasch modernisierenden Metropolen war weithin bereits auf neue Reize erpicht. Théodore Gouvy panzerte sich dagegen mit gediegenem Akademismus.

Jedenfalls sah er sich weder in der französischen Hauptstadt veranlasst, definitiv Fuß zu Fassen, noch in Leipzig, seinem bevorzugten Aufenthaltsort im deutschsprachigen Raum. Er war und blieb auch stilistisch ein Grenzgänger. Das ist nun nicht zu überhören, wenn das Saarländische Staatsorchester unter Arthur Fagen die technisch durchweg versiert geschriebene und sorgfältig instrumentierte Musik zum „Cid“ reaktiviert. Es handelt sich um einen Tonsatz, der noch ganz im musikalischen Geist des Vormärz verhaftet ist und für den Mendelssohn, Niels Gade, Max Bruch und der mittlere Saint-Saëns prägend war. Der Melodieführung stand das in jenen Jahren bevorzugt gepflegte Klavierlied Pate und erkennbar bleibt die Verwandtschaft zu den Balladen Carl Loewes.

Die Behandlung der Solo-Partien folgt Vorbildern wie Louis Spohr, Ferdinand Hiller oder Albert Lortzing, nicht Verdi oder Berlioz als präsenten Protagonisten. „Der Cid“ ist an „La forza del destino“, „Les Troyens“ oder auch den „Meistersingern“ zu messen, nicht an Georg Kremplsetzers „Hansel und Gretel“ oder Joseph Rheinbergers „Die sieben Raben“. Hans-Georg Priese hat sich in Saarbrücken der immer wieder über die Singspiel-Anforderungen hinausgehenden Rolle des Cid angenommen und erzielte gerade auch in den Duetten mit Christa Ratzenböck als Geliebter Ximene gute Resultate. Sie beglaubigen freilich keine „Sensation“. Denn weder rhythmisch-harmonisch Hinsicht noch bezüglich eines anderen musikalischen Parameters brachte Gouvy etwas zu Papier, was nicht dreißig Jahre früher schon auf die gleiche Weise hätte geschrieben worden sein können.

Auch stoffgeschichtlich erscheint „Der Cid“ als Nachhut jener romantischen Ritteropern, in denen sehr intensiv Ehre und Treue verhandelt wird, das Vaterland im kräftigen Chorton aufblüht und der Krieg gegen die bösen Nachbarn selbstverständlich ist – in diesem Fall sind es die südlichen, von denen der Text einmal bedauert, daß sie „noch nicht ganz vernichtet“ seien. Das Libretto fügt sich in eine Mentalität, der die Dominanz der west- und Mitteleuropäer in der Welt fraglos ist (die französische Herrschaft über weite Teile Afrikas und die militante Verteidigung der „Interessen“ in Asien erschien, von kleineren Aufständen abgesehen, unangefochten, und Preußen war auf dem Weg, sich durch Kriege im Norden, Süden und Westen als fünfte europäische Großmacht zu etablieren). Jetzske Mjinssen inszenierte die kriegerische Handlung in Einfachsausstattung mit vielen Särgen, wie sie bei den gegenwärtigen internationalen Kampfhandlungen anfallen. Angesichts dessen, was das Libretto wörtlich und mit seinen historischen Kontexten meint, wäre womöglich eine konzertante Aufführung mit elaborierten Video-Einblendungen eine produktivere Lösung gewesen.

Gouvys „Cid“ sollte ursprünglich an der Dresdner Hofoper in den 1860er-Jahren herauskommen mit Ludwig Schnorr von Carolsfeld in der Titelpartie. Doch gab die Partitur Anlass für viele Änderungswünsche und das Projekt verzögerte sich. Als dann der berühmte Tenor überraschend starb, habe (so hieß es) der Komponist den „Cid“ zurückgezogen. Für das lange Zögern der Dresdner Direktion mag es einen unausgesprochenen Grund gegeben haben: 1865 wurde das Lyrische Drama „Der Cid“ von Peter Cornelius in Weimar uraufgeführt. Gouvy kam einfach zu spät. Von jenem Jahr an, in dem Meyerbeers „L’Africaine“ das Tor zum Exotismus aufstieß und Wagners „Tristan“ frappierte, war die Zeit des grundsoliden Gouvy vorbei. Das ist der tiefere Grund, warum auch jetzt in Saarbrücken die erhoffte „Sensation“ einer um fast 150 Jahre zu spät angesetzten Uraufführung ausblieb.

Weitere Aufführungen: So 05.06. Mi 08.06. Sa 11.06. Do 16.06. Sa 18.06.

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