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Ausdruckstarke Muse, Dichter mit Texthängern: Janet Williams und Tilo Prückner in Uri Roms "La vita nova" nach Dante. Foto: Bayer Kultur
Ausdruckstarke Muse, Dichter mit Texthängern: Janet Williams und Tilo Prückner in Uri Roms "La vita nova" nach Dante. Foto: Bayer Kultur
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Tragikomik nach Dante: „La vita nova“ mit Musik von Uri Rom in Leverkusen

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Über siebenhundert Jahre ist der Text alt, mit dem Dante Alighieri sich nach Begegnung mit der jungen Beatrice dichterisch aus seinen Gefühlsverirrungen zu retten suchte. Neben dem heftigen Erguss von Tränen, flossen Sonette aus seiner Feder und brachten den Dichter – noch vor seiner „Göttlichen Komödie“ – wieder mit sich ins Reine. Auf die Dauer ist dieses Surrogat – inklusive seiner Liebe zu anderen Damen als Ersatzobjekt – ermüdend, bestenfalls erheiternd oder Musik evozierend. Diese drei Kriterien treffen auch auf eine Uraufführung zu, mit die Bayer AG ihre neue Kulturachse zwischen Leverkusen und Berlin eröffnet hat.

Der betagte Schaubühnen-Mitbegründer Tilo Prückner hat sich mit der Verkörperung des jungen Heißsporns Dante einen Herzenswunsch erfüllt. Durch die vaginale Spalte des aus Einzelltüchern gefertigten Aushangs tritt immer wieder die madonnenhaft unnahbare Muse, und ihr Gesang der Beatrice-Sonette Dantes bringt nicht nur den am Tisch schmachtenden Dichter, sondern glücklicherweise auch das Publikum aus dem Häuschen. Denn die Sopranistin Janet Williams obsiegt mit ihrer Persönlichkeit, Ausdruckskraft und Intensität.

Die vom Bühnenbildner Fred Berndt inszenierte szenische Rezitation kommt äußerst schwer in Gang. Hänger des Hauptdarstellers und der mit stark differenzierendem Text laut vernehmliche Souffleur wirken peinlich. Erst wenn Prückner, eingehüllt in eine rote Decke, Koboldsprünge vollführt und über die Bühnenschräge purzelt, wird das textliche Monodram zum Theater, – wenn auch gegen Ende des ersten Teils jedoch erschlagen von der Videoprojektion eines flammenden Infernos. Dass zahlreiche Besucher nach der Pause nicht wiederkehrten, ist bedauerlich, denn zumindest in musikalischer Hinsicht war der Abend ein Gewinn.

Mit seinem Debüt als Bühnenkomponist zeigt Uri Rom, wie er kompositorisch mit den Stilen von Renaissance bis Moderne zu spielen versteht, und wie er, ohne den großen Bogen aus den Augen zu verlieren, für eine eigene Note sorgt. Der breit gefächerten stilistischen Vielfalt entspricht der multifunktionale Einsatz des fünfköpfigen Instrumental-Ensembles, dessen Gitarrist auch das Schlagwerk bedient, während der Klarinettist auch die Flöte spielt. Kühn mischt Rom Harfe mit Elektrogitarre, Oboe d´amore mit Saxophon und wirkungsvollen Schlagzeug-Akzenten. Ein neuntöniges Thema, der im Text angesprochenen Symbolik der Zahl Neun für Beatrice entsprechend, schafft eine verklammert leitmotivische Verzahnung der Affekte.

Der Komponist vermag auch, einen „süßen“ Gesang zu schreiben, Vorlagen zu schaffen für die Nuancenvielfalt der Sopranistin zwischen Bel canto (wiederholt auch in italienischer Sprache) und Balladenton, Theatermusik im besten Sinne. Roms Tonsprache alludiert Madrigale, Strawinsky und Puccini. Und wenn im Fiebertraum Dantes Beatrice sein Herz verspeist, so setzt der Komponist exzessiven Sprechgesang à la Schönbergs „Pierrot Lunaire“ ein, dem opernhafte Ariosi folgen, in einer frei schwebenden Tonalität.

Häufig überlagert die Musik bereits die Monologe des Dichters, und angesichts der Qualität der Musik nimmt das applausfreudige Publikum die Schauspiel-Szenen als tragikomische Conference zwischen den Gesangsnummern in Kauf. 

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