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Janice Baird und Gun-Brit Barkmin. Foto: Oper Leipzig, Andreas Birkigt
Janice Baird und Gun-Brit Barkmin. Foto: Oper Leipzig, Andreas Birkigt
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Mythos modern – Kopenhagens Konwitschny landet mit „Elektra“ in Leipzig

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Die Uraufführung gab es 1909 in Dresden, aber die Geschichte ist Jahrtausende älter. Die Oper „Elektra“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, der eine gleichnamige Tragödie bereits 1903 veröffentlichte, geht auf das vierte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurück. Seinerzeit bedichtete Sophokles den blutrünstigen Stoff. Wie aktuell das Ganze geblieben ist, untersuchte Opernregisseur Peter Konwitschny 2005 in seiner Eröffnungsinszenierung der neuen Oper von Kopenhagen, die auch am Staatstheater Stuttgart zu sehen war.

Nun also die Übernahme an die Oper Leipzig. Seit Peter Konwitschny dort Chefregisseur ist, mutiert das Haus zu einer Wiederaufbereitungsanlage seiner allüberall vollbrachten Inszenierungen. Lediglich der absichtsvoll in Kontrast zu Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ gestellte „Gluck-Ring“ brachte Neues nach Leipzig. Nicht immer glückvoll.

„Elektra“ ist zwar eine Weiterreichung, eine Übernahme, doch zur Premiere in der Messestadt wirkte sie dermaßen frisch, dass man sie für eine Neuproduktion hätte halten können. Und ehrlich: Wen ficht es an, dass Dänen und Schwaben diesen Regieeinfall schon vor den Sachsen zu Gesicht bekamen? Obendrein stimmt die Dramaturgie, fügt sich „Elektra“ schrecklich genau in das mythologische Geflecht des scheinbar ewigen Kreislaufs von Opfer – Rache – Opfer, wie bei Glucks „Alkestis“ und „Iphigenie in Aulis“ schon angeklungen. Auch die Fortsetzungen mit „Iphigenie auf Tauris“ und „Armida“ weisen diesen Weg.

Allerdings wirkt die inszenatorische Handschrift in dieser Annäherung wesentlich stringenter und überzeugender als die beiden bisherigen Gluck-Opern in ihren Bonbon-Farben. Der Einakter startet mit einem Vorspiel auf der Bühne. Nicht etwa vorm Vorhang, sondern vor einem raumgreifenden Spiegel in der Größe des gesamten Portals. Aha, reflektiert wissend das Publikum im Saal, dieses Spiel, es geht uns alle an. Da tollt zunächst einmal ein glücklicher Vater mit seinen drei Kindern ausgelassen in der Badewanne herum, es ist der Kriegsheimkehrer Agamemnon, der nach dem Trojanischen Krieg das Wiedersehen mit Elektra, Chrysothemis und Orest genießt. Doch der Familienfrieden ist schon vorbei, bevor überhaupt die eigentliche Strauss-Oper beginnt. Der Auftritt seiner Frau Klytämnestra und ihres Liebhabers Aegisth beenden die Szene im Bade und so auch das Leben des Königs. Die Mordwaffe, ein Beil, sowie Leiche und Wanne prägen symbolisch den weiteren Abend. Die riesige Spiegelwand aber öffnet sich und gibt den Blick frei in den Bühnenraum, der von vorbeiziehenden Wolkenlandschaften beherrscht ist. Blutig rote Ziffern an der Rückwand lassen die Zeit rückwärts laufen, beginnend mit 01:17 – so kurz aber kann diese Oper nicht sein. Es wächst die Ahnung, zur Nullstunde geht es dem mörderischen Paar an den Kragen. Und das allein wäre noch nicht mal die halbe Wahrheit.

Jeans und T-Shirt muss Elektra tragen
Bis dahin jedoch fügen sich die Schwestern Elektra und Chrysothemis scheinbar in ihre Rollen und dienen am Hof. Bruder Orest als möglicher Thronfolger ist besser gleich vom Königssitz vertrieben worden. Eindringlich werden die erlittenen Traumata aus Vatermord und Hoffnungslosigkeit beschrieben. Elektra als unmittelbare Zeugin des Anschlags bleibt die Widerspenstige, trägt Schlabber-T-Shirt und Jeans. Chrysothemis ist eher fügsam, sucht im nicht ganz blütenweißen Kleid einen Weg ins Leben nach vorn. Umso mehr, als die Nachricht vom Tod Orests verbreitet wird. Immer mal wieder schiebt Elektra die Wanne mit dem toten Vater als Unrechtsmetapher ins Zentrum der Bühne, doch das Königshaus duldet solch Mahnen nicht. Der Griff zum Beil als mögliche Sühne steht auch als Bild einer Kette von Mord und Mord und Mord.

Währenddessen verfärbt sich der Himmel, bei 00:37 ist er entflammt, zehn Minuten später scheint es einen Lichtblick zu geben, mit dem aufsteigenden Mond erscheint ein Fremder am Hof, der Orests Tod noch einmal bestätigt – was bei der schrillen Königin Klytämnestra, die nach dem Gatten-Mord nie wieder Ruhe fand, für einen befreiten Triumph sorgt. Elektra aber ist verzweifelt, gibt sich derart unverstellt, dass der Fremde sie als seine Schwester erkennt und sich als Orest vorzustellen wagt. Welche Dramatik in dieser Wiederbegegnung! Psychologisch deutlich dabei, wie sehr das Geschwisterpaar vom Leid des bisherigen Lebens gezeichnet ist. Hier wird noch einmal klar, wie schlüssig das erfundene Vorspiel funktioniert.

Die Zeit scheint nun aber zu eilen, dem Nullpunkt zu. Der Himmel verdunkelt sich, zur Nachtstunde bricht blutige Rache aus. Orest schwingt das Beil wider die Mutter und ihren selbstgefälligen Galan.

Im Schnellvorlauf aus der Antike ins Jetzt
Die Oper „Elektra“ geht an dieser Stelle bekanntlich noch weiter, ebenso die Regieeinfälle Peter Konwitschnys, der sich hier einmal wieder in altgewohnter Stärke als Mahner beweist. Nach dem Doppelmord, der den Totschlag des Vaters sühnen soll, strömt plötzlich der ganze Hofstaat auf die Bühne. Aus den Wolkenbildern werden Feuerwerke, über die Musik gellen Maschinengewehre mit ihren Salven, zuletzt ist der Boden mit Leichen übersät. So kann das Elektra nicht gewollt haben, sie erschaudert neben dem Bruder, der aus Rache von Opfer zum Täter geworden ist, zum Massenmörder.

Die Verhältnisse, die sind nicht gut. Sie waren es nicht zu Sophokles' Zeiten und auch nicht zur Entstehungszeit der „Elektra“, als Europa geradewegs auf den Ersten Weltkrieg zusteuerte. Mit all den heutigen Waffengängen im Namen von Göttern und Geldern zeigt die Menschheit noch täglich, wie wenig Vernunft sie anzunehmen bereit war. All das macht diese Inszenierung sehr deutlich, ohne es als plattes Manifest zu zelebrieren. An keiner Stelle missbraucht sich der Regisseur da als Holzhämmerer, sondern beweist sich stets als Theatermann, der etwas von Psychologie und Personenführung versteht, der Bilder schaffen kann, die Stimmung herstellen und dem Publikum Inhalt vermitteln.

Als einziger Kritikpunkt, um endlich auf die Musik dieses fulminanten Strauss-Opus' zu kommen, wären das lautstarke Gewehrfeuer zu nennen, das sich, bedrohlich zwar, marternd über Gesang und Orchester legt.

Denn: Was das Gewandhausorchester an diesem Abend geleistet hat, das gehört zu den rar gewordenen Sternstunden im Leipziger Musiktheaterbetrieb. Unter der musikalischen Leitung von GMD Ulf Schirmer, der ab kommender Spielzeit auch die Intendanz der Oper Leipzig übernehmen wird, blühte der Klangkörper überbordend auf, ohne jedoch nur ein einziges Mal die Prägnanz dem Volumen zu opfern. Namentlich die lautstarken Bläsersätze gerieten fulminant, fügten sich ein in den groß angelegten Bogen einer Ausnahmepräsentation. Doch so gut wie nie sind damit die Gesangsparte überdeckt worden. Eine exzentrische Klytämnestra wurde von Doris Soffel gegeben, die so stimmstark wie schrill der Figur die inneren Zerrissenheiten nachzeichnete. Ihre Töchter Elektra und Chrysothemis waren von Janice Baird und Gun-Brit Barkmin in aller Widersprüchlickeit gespielt und gesungen, wobei vor allem die stählern strahlende Baird mit einer erstaunlichen Biegsamkeit ihrer Stimme brillierte, Barkmin hingegen für den sensiblen Kontrast zuständig war. Verehrungswürdig war die eine wie die andere – und alle drei wurden vom Premierenpublikum lautstark bejubelt.

Ebenbürtig die Aufseherin (Ulrike Helzel) und ihre fünf Mägde. Der Orest wurde von Tuomas Pursio schier unanfechtbar in Siegerpose gezeichnet, brachte sein vokales Potential zur bestens dosierten Blüte. Auch der Aegisth von Viktor Sawaley tönte klar, stark und überzeugend, ein despotisches Abbild zweifelsfreier Machthaber.

Mit dieser lauthals gefeierten Produktion – dem Regisseur Peter Konwitschny und seinem Ausstatter Hans-Joachim Schlieker hallten vereinzelte, in den massiven Bravo-Rufen rasch erstickte Buhs entgegen – dürfte die Oper Leipzig wieder da anknüpfen können, wo sie sich jahrelang behaupten durfte: Musiktheater auf der Basis von Partitur und Libretto zu zelebrieren, das aus heutiger Perspektive untersucht, worin der nachhaltige Wert dieser Gattung Oper respektive des einzelnen Werkes besteht. Hohe musikalische und darstellerische Qualitäten, gepaart mit einem Inszenierungskonzept, das sowohl den Text als auch die Musik im historischen Kontext versteht und somit auch ernst nimmt. Wobei „historisch“ eine Verbindung aus Entstehungs- hinein in die Aufführungszeit meinen sollte.

Aufführungen: 24. April, 1. Mai, 13., 18. Juni 2011

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