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Die Sarazenin. Foto: Festival junger Künstler, Bayreuth
Die Sarazenin. Foto: Festival junger Künstler, Bayreuth
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Nächtliche Erscheinung und Inzest-Wunsch – Uraufführung von Wagners „Die Sarazenin" beim Festival Junger Künstler in Bayreuth

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Im Gegensatz zu Wagners Operntext „Die hohe Braut oder Bianca und Giuseppe oder Die Franzosen vor Nizza“, WWV 40, die in der Vertonung von Jan Bedrich Kittl zumindest in Prag von Zeit zu Zeit zu hören ist, und „Le Vaisseau fantôme, ou Le maudit des mers“, vertont von Pierre-Louis-Philippe Dietsch, die in diesem Jahr in mehreren Metropolen konzertant zur Aufführung kam, ist das Wagner-Jahr bislang seltsamerweise an „Wieland der Schmied“, WWV 82, vorbei gegangen.

Dabei wurde dieser Opernentwurf Wagners aus den Jahren 1849-50 besonders häufig von nachgeborenen Zeitgenossen auf die Bühne gebracht, so von Oscar Schlemm, den Komponisten Max Zenger, Kurt Hösel, Edmund von Mihalovich und Paul Graener, insbesondere von Jan Levoslav Bella, der mit dieser „Oper nach Richard Wagner“ die slowakische Nationaloper geschaffen hat. Siegmund von Hausegger komponierte „Wieland der Schmied“ als Symphonische Dichtung nach Richard Wagner, und noch Max Reinhardts Dramaturg und Dichter Carl Vollmoeller schuf mit Bezug auf Wagners Vorlage einen den Mythos modern parodierenden „Wieland“.

Bis zum Jahr des 200. Geburtstages von Richard Wagner hingegen musste Wagners „Die Sarazenin“, WWV 66, auf die erste Bühnenrealisierung warten.

Richard Wagners Libretto zu einer Großen Oper in 5 Akten, in Band 11 der Sämtlichen Schriften und Dichtungen erstmals veröffentlicht, verfügt über zahlreiche Topoi und Konstellationen, denen der Opernbesucher auch in den anderen Bühnenwerken des Bayreuther Meisters begegnet, vom Bastard bis zum Inzest(-Wunsch). 

In der Gestalt des Helden Manfred, eines illegitimen Sohnes von Kaiser Friedrich II., weist das Libretto deutliche Parallelen zur Titelfigur des vorangegangenen „Rienzi“, WWV 49, auf: auch der hat die Kirche als Gegner und wird mit Bann belegt und liebt seine Heldenschwester. Vermutlich war die „Rienzi“-Parallele auch der Grund, warum die kompositorische Ausführung durch Wagner unterblieben ist.

Der von der Sarazenin unter Bezugnahme auf die glorreiche Vergangenheit zu heroischem Handeln und zur Annahme des Königtums motivierte Manfred besitzt aber auch Züge von Wagners späteren Heldenfiguren. Und eine Szene Fatimas, die Manfred im Halbschlaf als nächtliche Weissagerin erscheint, nimmt jenen Auftritt Brünnhildes vorweg, mit dem sie im zweiten Aufzug der „Walküre“ Siegmund im Halbschlaf den Tod kündet. Wie später Brünnhilde, ist diese Handlungsträgerin gleichzeitig Überfigur und liebende Frau, mal Fatima, mal Sarazenin.

Spannend an Wagners Libretto, allzumal für eine heutige Aufführung, ist jedoch der Nahost-Bezug. Die Sarazenin verheißt „herrliche Zeiten, da Christ und Muselmann Brüder werden sollen“. Manfred liebt Fatima, der er sich nicht vermählen darf, denn auch sie ist – was er aber erst am Ende der Opernhandlung erfährt – ein illegitimes Kind von Friedrich II.

Dessen friedensreiches Wirken im Orient umreißt die Sarazenin u. a. mit den Worten: „Nennt ihr im Abendlande den großen Kaiser tot, so bringe ich von ihm lebende Kunde aus dem Morgenlande: nie stirbt er dort, denn ewig lebt sein hohes Angedenken. Tausend Lieder feiern seinen Ruhm [...]. Denn er, der große Kaiser, war nicht Christ, nicht Muselmann, er war ein Gott, und als ein Gott verehrt lebt er noch heut im Morgenland.“

Dessen „liebster Sohn“ Manfred bietet in persona also auch eine Parallele zu Wagners dramatischem Entwurf „Jesus von Nazareth“, WWV 80. Im 13. Jahrhundert verteidigt Manfred im süditalienischen Capua die humanistischen Errungenschaften seines Vaters. Aber die von ihm begehrte Frau wendet sich mit den Worten „Prophetin war ich, jetzt will ich dein Weib sein“, nicht an ihn, sondern an ihren Jugendgeliebten Nurredin.

Im 63. Jahr seines Bestehens brachte das von Sissy Thammer geleitete Festival Junger Künstler Bayreuth „Die Sarazenin“ erstmals auf die Bühne. Aber eben so gut wie auf Richard Wagner, hätte sich dieses Aufführungsprojekt auf den von Wagner verehrten Friedrich von Hohenstaufen berufen können, der insgesamt mit mehr Textanteilen vertreten ist als Wagner. Dessen Dichtung wurde auf fünf kurze Exzerpte aus der Rolle der Titelfigur geschrumpft.

Leider nicht deutlich wird so das Alleinstellungsmerkmal im Oeuvre Wagners, als seine einzige Arbeit mit musikethnologischen Strukturen: in Wagners Plan zu seiner Komposition sind ausdrücklich einige altägyptische Lieder integriert, und das Lied „O holder, lieber Palmenbaum, du meiner Liebe Dach!“, zieht sich als „Arabisches Nationallied“ leitmotivisch durch die Opernhandlung.

Zumindest dieses Lied erscheint mir als rudimentärer Bestandteil der Musik Wagners in einer Aufführung der „Sarazenin“ als unentbehrlich.

Von Wagners Handlung ist nichts übrig geblieben. Statt dessen hat Dramaturg und Regisseur Dirk Schattner die wenigen Text-Ausschnitte aus der Partie der Fatima mit einem Tatsachenereignis des 21. Jahrhunderts collagiert: eine junge, in Deutschland aufgewachsene Frau reist anlässlich der ägyptischen Revolution alleine in das Land ihrer Väter; ihr Foto, als nackte, nur mit einem blauen Büstenhalter bekleidete Leiche, hat Mediengeschichte gemacht.

Vladimir Ivanoffs musikalische Bearbeitung für zwölf Musiker auf der Bühne, 3 Ud-, ein Nay- und einen Quanun-Spieler, sowie Klavier, Violine, Kontrabass und (leider arg dominantes) Schlagzeug, mischt zunächst den Beginn des „Lohengrin“-Vorspiels und später wiederholt den des „Meistersinger-Vorspiels mit arabischen Klängen. Das tönt originell und weit weniger schräg als Paul Hindemiths Bearbeitung der Ouvertüre zum ‚Fliegenden Holländer’, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt“, aber häufig durch das Schlagzeug verrockt oder verjazzt.

Der Bezug zu „Lohengrin“, WWV 75, als einem scheinbar Fremden, doch zutiefst Vertrauten, mag nahe liegen, der Bezug zum Kunstthema der „Meistersinger“ hat sich mir jedoch nicht erschlossen. (Als Entstehungsjahr für das „Meistersinger“-Vorspiel gibt das Programmheft fälschlich 1868, das Jahr der Uraufführung der Oper, an, obgleich Wagner seine Ouvertüre bereits im Jahre 1862 uraufgeführt hat!)

Später ist dann laut Programmheft noch Wolframs „Wie Todesahnung“ aus dem „Tannhäuser“ zu hören, allerdings akustisch kaum nachvollziehbar zur Unkenntlichkeit verfremdet. (Ob da ursprünglich in der Konzeption „O du mein holder Abendstern“ den Bogen zu „O holder lieber Palmenbaum“ schlagen sollte?)

Daneben erklingt – für die spezifische Instrumentalformation arrangiert – Friedrich von Hohenstaufen als Dichter in vier italienischen Kompositionen des 14. Jahrhunderts. Außerdem wird ein Tanz „La Manfrediana“, ein arabisch traditioneller Kriegstanz, sowie Lieder von Guiot de Dijon aus dem 12. Jahrhundert und von Sigismondo D’India aus dem 16./17. Jahrhundert musiziert und von Osama A. T. Mustafa aus Palästina und Rebal Al-Khodari aus Syrien stimmungsvoll vorgetragen. Die Musiker werden vom Bearbeiter selbst dann dirigiert, wenn sie nur als Duo spielen.

Wie in George Taboris Beckett-Inszenierungen, markieren in Dirk Schattners Regie alle beteiligten Darsteller eine Probensituation. Inmitten des Europasaals im Jugend-Kulturzentrum sitzen sie um einen rechteckigen Tisch und machen sich fleißig Notate. Später falten die Frauen als Waffenproduktionsstätte Papierflieger und werfen sie ins Publikum; einer davon trifft einen Besucher direkt auf  den Kopf – was Lacher auslöst.

Der Regisseur spielt selbst mit. Er rezitiert vor Mikrofonen ein Eröffnungsgedicht, verweist später auf Wagners dramatischen Entwurf und stellt diesen in Frage: „Was sollen wir mit dieser Leiche?“ Später reflektiert er über die Frage, warum sich Mubarak vor seinem Sturz so lange halten konnte. In einem improvisierten Andenkenladen einer kopfbetuchten Orientalin erwirbt der Regisseur eine Pistole und ein Schwert, welches später sechs Damen zu einem der wenigen Texte der „Sarazenin“ in die Luft recken. Und einmal verteilt er, später dann die Händlerin, erklärende Texte an das ringsum sitzende Publikum.

Durchaus eindrucksvoll verkörpert Monika Sobetzko die junge Auslands-Ägypterin („Ich bin immer mein eigener Aufbruch gewesen.[...] Was muss ich tun um in dieser Liga mitzuspielen? “), hier als „Fatima 2“ bezeichnet, die der Schwester aus dem 13. Jahrhundert auf jenem Tisch begegnet, auf dem sie sich im Finale mit Blut übergießt.

Ein weiß gewandetes Tänzerpaar (Stefanie Schwimmbeck und Pawel Sakowicz) verführt expressive Bodentänze mit Folter- und Schussgefecht-Assoziationen; die Choreografie von Karel Vanek hängt am Ende über die Musik über.

Mit angenehmem Timbre verkörpert die blau gewanderte serbische Sopranistin Radoslava Vorgic Fatima 1 als Zeitgenossin, allerdings singt und rezitiert sie mit Mikrofonverstärkung. Die Vision der Sarazenin fehlt dabei nicht, aber Fatimas Satz, „Grauen und Entsetzen dir, wenn du mich hältst“, verfehlt ohne den Bezug zu ihrem Halbbruder Manfred die von Wagner intendierte Wirkung.

Nach einhundert Minuten pausenloser Aufführung gab es, insbesondere für das „Ensemble Sarband“, dankbareren Applaus des Publikums. Das bestand aus jenen Wagnerianern, die nach Beendigung der Festspiele noch zwei Tage für diese Rarität in Bayreuth geblieben waren, aus Bayreuther Musikfreunden und aus jungen Künstler-Kollegen.

Die Essenz von Wagners Plan zu seiner zweiten Großen Oper, die sich auf Schillers und Beethovens „Alle Menschen werden Brüder“ stützt, wurde in Bayreuth gleichwohl in die Tat umgesetzt: junge Menschen aus Deutschland, Osteuropa und arabischen Ländern haben in einem zehntägigen Workshop gemeinsam die historischen Linien vom Sizilien des 13. Jahrhunderts zu Wagners 19. Jahrhundert und dem Ägypten unserer Tage gezogen und als „Genreübergreifendes Gesamtkunstwerk mit Musik, Tanz und Theater“ (Pressemitteilung des Festivals Junger Künstler) erarbeitet.

Dieser Wag mit dem Ziel einer gemeinsamen Performance ist noch bei einem Gastspiel in Bonn zu erleben.

Weitere Aufführung: LVR - Landesmuseum Bonn, 1. September 2013

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