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Katharina Magiera (Floßhilde), Britta Stallmeister (Woglinde), Jenny Carlstedt (Wellgunde), Jochen Schmeckenbecher (Alberich) im Frankfurter „Rheingold“ Foto: Monika Rittershaus
Katharina Magiera (Floßhilde), Britta Stallmeister (Woglinde), Jenny Carlstedt (Wellgunde), Jochen Schmeckenbecher (Alberich) im Frankfurter „Rheingold“ Foto: Monika Rittershaus
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Rheingold, neomythisch: Vera Nemirova startet Frankfurts neuen „Ring“

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Ruth Berghaus, die als Regisseurin für den letzten kompletten „Ring des Nibelungen“ in der Frankfurter Ära Michael Gielen verantwortlich zeichnete, war eine der Lehrerinnen der bulgarischen Regisseurin Vera Nemirova, die – nach einem viel beachteten, ungewöhnlichen „Tannhäuser“ – von Intendant Bernd Loebe den Auftrag erhalten hatte, Richard Wagners Tetralogie zu inszenieren.

Die Bühnenbildlösung von Jens Kilian, eine schräg gelagerte Scheibe in vier konzentrischen, unabhängig zirkulierenden und kippbaren Ringen um eine zentrale Mittelversenkung, wirkt wie die Hightech-Version der Neubayreuther Scheibe von Wieland Wagner. Der innovative Wagner-Enkel ist im Programmheft der Frankfurter Oper auch mit seinem damals bahnbrechenden Aufsatz über Loge, als den einzig wirklich Freien, vertreten. Und so senkt sich Loge (Kurt Streit, souverän und anfänglich auch sehr frei im Rhythmus) auf einer Schaukel ins mythische Bühnengeschehen. Am Ende schwebt der luftige (Halb-)Gott frei über der Szene, während die übrigen Götter, nun in heutigem Abenddress, statt nach Walhall, in den erleuchteten Zuschauerraum ziehen, um in den Proszeniumslogen ihren Ortswechsel mit einem Gläschen Sekt zu begießen. Auf der Bühnenscheibe aber verbleiben jene gealterten Götter-Doubles, die zuvor, bei Loges Vision des versiegenden Götterstamms, in Erscheinung getreten waren.

Das gebrochene Handlungs-Ende ist das einzig wirklich Ungewöhnliche (und für machen Besucher Befremdliche) an dem spielerisch ausgefeilten, intensiven Theaterabend. Besonders herausgearbeitet ist die Beziehung zwischen der Kind gebliebenen Freia (Barbara Zechmeister) und dem sie leidenschaftlich begehrenden Fasolt (Alfred Reiter): Der Riese hüllt sie in ein Brautkleid und kümmert sich – im Gegensatz zu Freias göttlicher Verwandtschaft – liebenswert um die Bedürfnisse dieser Jugendlichen. Und Freia, daran besteht kein Zweifel, liebt diesen Fasolt, den „lieb [zu] gewinnen“, bereits der Komponist im Jahre 1854 Emilie Ritter gebeten hatte. Der sozialrevolutionäre Ansatz Richard Wagners wird – auch unter Berufung auf George Bernard Shaw im Programmheft – forciert, indem die Nibelungen nicht Schmuck und Waffen, sondern Geldscheine produzieren, mit denen sich Fafner sein Gewand schließlich so vollstopft, dass er beinahe schon zum Drachen mutiert (Kostüme: Ingeborg Bernerth).

Fricka (Martina Dike) ist noch ganz die liebreizende Gattin, um die Wotan geworben hatte und durch die er in die Kaste der Mächtigen aufgestiegen war; eigenhändig bindet sie ihrem Mann die Schnürsenkel. Terje Stensvold ist ein gestandener, seine Partie sicher beherrschender, aber arg nasaler Wotan. Den Gegenspieler Alberich gestaltet Jochen Schmeckenbecher als einen Möchtergern-Lebemann und Freund des Showbusiness, der auch unter der Tarnkappe sichtbar agiert. Mit herabgelassenen Hosen wird der aus Nibelheim entführte Alberich an Wotans Speer wie an einen Marterpfahl gefesselt. Neben Artauds Theater der Grausamkeiten (beim jeweiligen Ring-Raub) treten zauberhafte, weiblich empfundene Bilder, wie das der libidinösen Rheintöchter oder das der korpulenten, halbnackten Urmutter mit drei an ihr klammernden Kindern, den späteren Nornen. (Erdas betont nackte, große Brüste erscheinen wiederum als ein Zitat Wieland Wagners) Die Erda von Meredith Arwady zählt stimmlich zu den herausragenden Leistungen des Abends. Die Rheintöchter (Britta Stallmeister, Jenny Carlstedt und Katharian Magiera) überzeugen solistisch, weniger jedoch als Terzett. Die Zwischenspiele sind durchinszeniert, eine Videoprojektion gibt es nur zu Beginn, als Bild des Urwassers, auf dem Boden der Spielfläche.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester beginnt im total finsteren Orchestergraben, Sebastian Weigle dirigiert mit abgedunkelter Taschenlampe. Ein starker Effekt, leider am Premierenabend gestört durch das penetrante Klingeln eines Handys. Außer einigen Ansatzproblemen im Blech eine saubere Orchester-Leistung, der die langjährige Wagner-Tradition anzumerken ist. Weigle trägt die Solisten und unterstützt weitestgehend das szenische Geschehen. Nemirovas Neuinszenierung schafft im Brechtschen Sinne die Spaltung des Publikums: Lautstarker Jubel, aber auch heftige Buhrufe für das Regieteam der schon lange ausverkauften „Rheingold“-Premiere, der in der kommenden Spielzeit „Die Walküre“ und in der darauffolgenden Spielzeit die letzten beiden Teile des „Ring“ folgen werden.

Weitere Aufführungen: 7., 15., 22. Mai, 3., 6. und 12. Juni 2010

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