Hauptbild
arina Prudenskaya (VENUS), Peter Seiffert (TANNHÄUSER) und Tänzer/innen. Foto: Bernd Uhlig
arina Prudenskaya (VENUS), Peter Seiffert (TANNHÄUSER) und Tänzer/innen. Foto: Bernd Uhlig
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Opern-Tanztheater – Sasha Waltz inszenierte „Tannhäuser“ an der Berliner Staatsoper

Publikationsdatum
Body

Die Neuinszenierung des „Tannhäuser“ an der Staatsoper Berlin katapultiert sich in die Reihe der spannendsten und zwingendsten jüngsten Wagner-Interpretationen. Die Inszenierung der Choreographin Sasha Waltz, in der tief lotenden, allerdings extrem gedehnten Interpretation von Daniel Barenboim, spaltet das Publikum der Staatsoper im Schillertheater. Was manche Besucher „widerlich“ finden, ist insbesondere die intensive Deutung des Ortes der „höllischen Lust“, die für eine der musikalisch kühnsten Szenen des Musiktheaters im 19. Jahrhundert hier bei den Venusberg-Choreographien von Bejart bis Neumeier anknüpft.

Leider wurde entgegen der ursprünglichen Ankündigung der Staatsoper nicht Richard Wagners „Pariser Fassung“ gespielt, sondern dessen zweite „Dresdener Fassung“, in welche als Zutat das nachkomponierte große Bacchanale integriert wurde, mit jenem nahtlosen Übergang von der Ouvertüre zur ersten Szene, wie sie Wagner in seiner Fassung letzter Hand, der Rückübersetzung seiner 1861 für den Pariser „Tannhauser“ erweiterten Komposition 1875 für die Erstaufführung in Wien, realisiert hat. Diese Mischfassung, die auch in anderen Häusern praktiziert wird und die in Bayreuth Wieland Wagner und Götz Friedrich ebenfalls gewählt hatten, ist in der Berliner Staatsoper allerdings unverständlich, weil durch nichts begründet. Gerade die exzentrische Choreographin könnte aus der hier weggefallenen erweiterten Szene zwischen Venus und Tannhäuser und dem erneuten Aufblitzen der mit französischem Esprit aufgeladenen Musik im zweiten Aufzug, sowie in der Schlussszene des 3. Aufzuges zusätzliches Feuer schlagen, und dem Dirigenten Daniel Barenboim sollte jene französische, klangliche Sinnlichkeit besonders liegen, welche mehr als die Partituren von Wagners „Tristan“ und „Parsifal“ die Inspirationsquelle des französischen Impressionismus war.

Sasha Waltz, die an der Staatsoper bereits „Dido und Aeneas“ und „Medea“ inszeniert hat, zeichnet erstmals für eine romantische Oper als Regisseurin verantwortlich. Doch tanzen nicht die Mitglieder ihrer Company Sasha Waltz & Guests, sondern neun Paare einer für diese Produktion frei zusammengestellten, von Waltz zu einem faszinierend dichten, stimmigen Ensemble zusammengeschweißten Formation, die gleichermaßen Ballettfunktion hat, wie auch als ein hochwertig bestückter Bewegungschor von Kleindarstellern fungiert, welche in allen Bildern dieser Opernhandlung, in wechselnden Funktionen und Rollen, zum Einsatz kommen.

Sascha Waltz hat jedoch nicht nur die Tänzer choreografiert, sondern mit wechselndem Geschick die Solisten und den Staatsopernchor in ihre choreografische Sprache eingebunden: Bewegungen des Tanztheaters verknüpfen – in allerdings sehr unterschiedlicher Qualität und Ausprägung – singende und tanzende Darsteller.

Aufführung mit Teleobjektiv

Wie ein gigantischer Gebärkanal, zugleich wie das Teleobjektiv eines Fotoapparats, schiebt sich während der Ouvertüre eine Bühnenwand Richtung Orchestergraben. Durch die runde Öffnung der Linse rutschen auf Plastikbelag, mit ihren Körpern quietschend, die größtenteils nackten Gespielinnen und Gespielen der Venus durch die Röhre. Lasziv gestalten sie Wagners wüst umtreibende, für Paris durch Kastagnetten (wie zuvor nur in seinem ebenfalls aufmüpfigen Jugendwerk „Das Liebesverbot“) aufgeheizte Musik. Mit „Naht euch dem Strande!“ tritt Venus auf, vier Damen geleiten Tannhäuser ebenfalls über die Schwelle der hinteren runden Öffnung, wobei sich für den korpulenten Sängerdarsteller einige Stufen erleichternd in die Röhre schieben. Dann wird er eingebunden in einen heftig wogenden Gruppensex mit den Damen und Herren der Venus-Crew. Tannhäusers „Zu viel! Zu viel!“ wird als seine erotische Überforderung gedeutet. Denn immer wieder neu flutet stromgleich die Gruppe der nur mit Suspensorien bekleideten TänzerInnnen, in ihrer Mitte ein vollbärtiger glatzköpfiger Kraftprotz, der dem germanischen Strömkarl in Wagners Libretto zur umfangreichen Venusberg-Szene zu entsprechen scheint.

Stehender Dampf, blau beleuchtet, ist nach dem Verschwinden des hochtechnisierten Uterus eine hinreichende Definition des frühlingshaften Wartburgtals, und im dritten Aufzug, rotbraun beleuchtet, das herbstliche Pendant. Dem uniform mit Mänteln, Hüten und Pilgerstäben ausgestatteten Pilgerchor (Kostüme: Bernd Skodzig), der sich auch gemäßigt tanztheatermäßig bewegt, geht – nun ebenfalls als Pilger gewandet – die Tanzgruppe voran.

Den Solisten der Jagdgesellschaft sind sechs tanzende Doubles zugeordnet, – und plötzlich wird für den Rezipienten deutlich, dass der junge Wagner hier, wie zuvor in seiner Oper „Der fliegende Holländer“, die gesellschaftlichen Bereiche der Konvention durchaus tänzerisch komponiert hat. Dabei vollzieht der eine oder andere Solist auch Sprünge und Drehungen, – vorbildlich der später bei seinem Sologesang im Sängerkrieg mit berückendem Piano intonierende Peter Sonn als Walter von der Vogelweide.

So löst sich die choreografierte Aufbereitung des ersten Finales, im Zusammenspiel mit Barenboims Interpretation, durchaus stimmig ein, als sei sie vom Komponisten intendiert. Den Schlusspunkt des erstes Aufzuges bildet die diagonal über die Bühne schreitende, den jagenden Sängern nachfolgende Bühnenmusik.

Im Bühnenbild von Pia Maier-Schriever und Sasha Waltz bilden drei Theatersessel das einzige Interieur der Wartburg, inmitten von Wänden aus locker hängenden Palisaden; als beim Einzug der Gäste das Licht im Auditorium des Schillertheaters aufgedreht wird, erkennt der Besucher, dass diese Struktur die freie Fortsetzung der Wandgestaltung des Zuschauerraums ist. So wird die Staatskapelle zum Zentrum des Geschehens.

Zuvor hatte sich Wolfram seine Brille geputzt und hinter den Palisaden die mit einem Kuss auf die Lippen endende Begegnung zwischen Tannhäuser und Elisabeth observiert. Erfreulicherweise erklingt in Berlin auch die oft gestrichene Moll-Stelle, wo sich das Duett der Liebenden durch Wolframs Verzichtserklärung zum Terzett weitet.

Bekanntlich hatte bei der französischen Erstaufführung des „Tannhauser“ im Jahre 1861 der ortsansässige, in der Regel das Opernhaus erst zum Mittelakt betretende Jockey-Club für einen Skandal gesorgt, zumal Wagner sich geweigert hatte, ein Ballett in den zweiten Aufzug zu integrieren. Nun löst Sasha Waltz löst die Forderung des Jockey-Clubs spät ein, indem ihre TänzerInnen auch in der Wartburghalle eine wichtige Funktion übernehmen. Sie folgen zwei Fahnenschwingern beim Einzug in die Wartburg und gehen den Gästen vorbildlich tanzend voran. Später reagieren sie besonders eindrucksstark auf die unterschiedlichen Darbietungen des Sängerwettstreits. Wie Wasserrosen bilden die Damen am Boden einen Kreis um die Sänger und setzen sich dann auf die Rücken der ihnen in Hundestellung ergebenen Partner. Während der Ansprache des Landgrafen begründen die Bewegungen der Tänzer-Darsteller die sparsamen Orchesterakzente im Rezitativ. Die Damen der Doppeltanzpaare bieten – um mit Wagners letztem Aufsatz zu sprechen – „exstatische Zuckungen“ der Füße.

Die Herren lassen die Brüste der Frauen wippen, und ein beachtlicher Teil des Chores beteiligt sich an dieser exzentrischen Darstellung lustvollen Mitempfindens mit den lasziven Inhalten von Tannhäusers Gesang.

Textliche Wiederholungen finden in der Neuinszenierung keine szenische Erklärung, aber bei der Aufforderung des Landgrafen, „greifet in die Saiten“, ziehen die Wettstreitenden – in Ermangelung von Harfen – Papiere aus den Seiten ihrer Jackentaschen und werfen diese als Lose in eine von den vier weiblichen Edelknaben tanzend mit sich mitgeführte Plexiglaskugel.

Die Aufforderung des Landgrafen, „Könnt ihr der Liebe Wesen mir ergründen“, wirkt bei den Tänzern nach, die dieses Wesen dann unter den Rücken ihrer Partnerinnen zu ergründen suchen. Sichtbar singt der Damenchor hinter den Palisaden den a cappella-Einsatz der jungen Pilger, und in Einsamkeit tritt Tannhäuser seinen Weg nach Rom in die Bühnentiefe an.

Im Vorspiel zum dritten Aufzug bebildert Sascha Waltz die Bußpfade der Pilger. Einer von ihnen schleppt eine Betende auf dem Rücken. Bei der Heimkehr folgen die Pilger mit unbelaubten Büschen einer Prozession mit einem kopfüber Gekreuzigten und einer auf den Schultern getragenen, lebenden Madonna.

Wolfram, der die todgeweihte Elisabeth, die ihre Schuhe nach dem Gebet einsam stehen ließ, zu stützen versucht, strauchelt selbst und kommt ins Liegen, bis er beim Lied an den Abendstern für einen immer wieder abbrechenden, partnerlosen langsamen Walzer wieder aufkommt.

Gedanklich, wie auch gestisch-tänzerisch müsste Tannhäuser das Zentrum dieser neuen Lesart bilden. Doch Heldentenor Peter Seiffert ist in seinem Habitus tänzerischen Gesten diametral entgegen gesetzt. Das bedeutet offenbar keine Verweigerung, denn er zeigt sich für das Gruppen-Gekose im Venusberg ebenso offen, wie für Waltz’ neue Ideen im zweiten Aufzug, wo er vor seinem ersten Lied beim Wettstreit schnell noch eine raucht und dann Wolfram den Vogel zeigt.

Wie ein Fährmann tritt er mit seinem Wanderstab wieder auf, doch gestaltet er vor dem Souffleurkasten, jenseits einer regielichen Neusicht, das, was man von ihm bereits kennt. Also bebildert die Regisseurin seine Erzählung der Pilgerfahrt als Rückblick auf einer anderen Ebene. Tannhäuser stirbt am Kopf der als Leiche auf die Bühne getragenen Elisabeth, deren Leib von den jungen Pilgern „mit frischem Grün“ bedeckt wird.

Waltz’ Konzept löst sich am besten bei Peter Mattei ein. Der gestaltet den Wolfram fern vom Kavaliersbariton vergangener Dezennien als einen stimmlichen Draufgänger von enormer Intensität und mit der Fähigkeit zu körperlich-tänzerischem Ausdruck.

Ann Petersen macht Elisabeth im silbergrauen Abendkleid zu unserer Zeitgenossin, mit sehr schönen Piani, doch im Mezzoforte und Forte klingt ihre Stimme längst nicht so angenehm, wie in den verhaltenen Passagen, und mit den hohen Lagen scheint sie schlichtweg überfordert.

Hochdramatisch gestaltet die körperlich schlanke, hochgewachsene Marina Prudenskaya die Venus, die während ihres Gesanges von drei ihrer männlichen Grazien getragen wird. Tänzerisch agiert auch Hannah Wifgardt als Hirtenknabe, mit dreifacher Drehung beim „Mai“, wofür ihr am Ende der Phrase, beim „liebe[n] Mai“ Atem und Stimme versagen.

René Pape liegt die Partie des Landgrafen hörbar wenig. Seine Stimme klingt leider längst nicht mehr so wohltönend wie bei seinen Bayreuther Auftritten. Am Premierenabend hatte er merklich Text-Probleme und kämpfte mit den breiten Tempi des Dirigenten.

Florian Schabel als Biterolf übersteigt im Namen der Konvention doch deren Gesetze und damit das fürstliche (Theater-)Gestühl. Das Ensemble der Sänger ist – neben den bereits erwähnten Solisten mit Jürgen Sacher (Heinrich der Schreiber) und Jan Martiník (Reinmar von Zweter) trefflich besetzt.

Nach einem nicht ganz homogenen ersten Pilgerchor, gewinnt der von Martin Wright einstudierte Chor der Staatsoper enorme Qualität.

Bereits im ersten Aufzug fiel neben Barenboims ungemein differenzierter Ausdeutung seine (neue) Vorliebe für breite Tempi auf. Während sich dieser Dirigent beim Bayreuther „Ring“ in der Inszenierung von Harry Kupfer durch frische Tempi ausgezeichnet hatte, nimmt er Wagners Romantische Oper nun extrem breit, – geradezu als gelte es, die Aufführungsdauer von WWV 70 auf jene der späten Musikdramen anzuheben. Schweißausbrüche peinigten den Dirigenten, als die erste Jagdgesellschafts- Bühnenmusik hinter der Szene nur mit Kicksern gelang.

Die Aufführung begann, für Berlin ungewöhnlich früh, bereits zu einem Zeitpunkt, da in Bayreuth die Festspielaufführungen beginnen, um 16:00 Uhr, dann allerdings verspätet wegen der Live-Rundfunk-Übertragung durch den rbb. Die Premiere wurde auch von Kameras aufgezeichnet, so dass wohl eine DVD von dieser Produktion zu erwarten ist.

Publikumsunmut, bereits nach dem ersten Aufzug („Die Tänzer stören!“), ballte sich beim Schlussapplaus zu gebündelten Buhrufen für die Regisseurin – und nach dem solidarischen Küsschen von Barenboim zu Waltz und vice versa auch für den musikalischen Hausherrn, der zuvor, beim Applaus-Auftritt mit seiner trefflich disponierten Staatskapelle noch Ovationen geerntet hatte.

Weitere Aufführungen: 16., 20. und  27. April 2014.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!