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Ensemble und Mitglieder der Zürcher Singakademie, Claudio Monteverdi: L'Orfeo Premiere am 20.07.2014 im Prinzregententheater. Foto Wilfried Hösl
Ensemble und Mitglieder der Zürcher Singakademie, Claudio Monteverdi: L'Orfeo Premiere am 20.07.2014 im Prinzregententheater. Foto Wilfried Hösl
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Orfeos düsterer Todestraum – Monteverdis „L’Orfeo“ mit Christian Gerhaher im Münchner Prinzregententheater

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Keine Spur von arkadischem Thrakien: in düsterem Schwarz-Grau zeigt die Bühne von Patrick Bannwart einen Weltausschnitt nach einer Katastrophe, leere Holzpaletten am Rande, ein paar Müllhäufchen. Auch das „La Musica“-Engelchen von Angela Brower wirkt schon ein wenig zerzaust. Doch zu ihrer Ankündigung der Geschichte von Orpheus, dem begnadeten Sänger, wachsen aus den kleinen Müllhäufchen meterhohe Blumen empor – es ist das poetischste Bild der ganzen Inszenierung.

Denn dann lässt Regisseur David Boesch seiner kindlich spielerischen Phantasie die Zügel schießen. Seine Hirten und Nymphen sind eine hippe Flower-Power-Group, die mit ihrem alten VW-Bus auf die Bühne rollt, zu Monteverdis rhythmisch fulminanten Ritornellen schon mal ein bisschen rockt. Sein Hadeswächter Charon scheint aus eher einer hollywoodesken Fantasy-Unterwelt hereinzurollen – auf einem von untoten Totenkopfwesen umwuselten “Mad-Max“-Gefährt, an dessen Boden ein verdrecktes „Taxi“-Schild leuchtet.

Pluto lümmelt im Plastikfauteuil als rundum behaarter Prolo, dem seltsamerweise sein Feuergewerbe nicht einmal die Armhaare weggesengt hat. Seine für die Rückkehr Euridices lockend bittende Gattin Proserpina, die in einer Sternen-Robe mit Grandezza vor einem Sternenhintergrung auftretende und betörend singende Anna Bonitatibus, hat einen ausnahmsweise hoheitsvollen Auftritt. Denn für die Liebesglut zwischen Orfeo und Euridice, für den künstlerisch überirdischen Wagemut Orfeos nach ihrem Tod, für seinen Blick in den Todesabgrund – also für die exemplarisch über unsere Existenz hinausweisenden Höhen und Tiefen wagt Boesch keine überwältigenden Visionen. Prompt ist sein Gott Apoll nur ein mit einer Krücke hereinhumpelnder, heruntergekommener Vagabund. Er reicht dem Sohn zum Weg „in den Himmel“ das Messer zum Selbstmord – und wie in einem Todestraum sieht Orfeo noch einmal die spaßige Hochzeitsgesellschaft, nimmt seine Euridice und legt sich mit ihr zusammen in ein Grab in der Bühnenmitte, an dem dann La Musica trauert.

Doch vielleicht hat Orfeos Todestraum schon viel früher begonnen, denn er wühlt sich schon bei Euridices Begräbnis in ihr Grab – das wird nicht eindeutig klar. An die unvergesslich bewegende, einen Gutteil des Publikums – den Kritiker eingeschlossen – zu Tränen rührende Achim-Freyer-Inszenierung von 1999/2000 reicht Boeschs Szenerie nicht heran.

In ihr steht Christian Gerhaher oftmals eher neben sich. Im Vergleich zu seinem Frankfurter Orfeo-Debüt 2005 ist sein Sänger nun ein handfesteres Mannsbild. Gesanglich bleiben in seinem herrlich strömenden Bariton keine Wünsche offen, doch Boeschs Personenregie gelingt keine poetisch-lyrische Aura mit und um diesen Orfeo. Das liegt auch nicht an Ivor Boltons phänomenalem Dirigat. Das aus Originalklang-Spezialisten und Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters geformte „Monteverdi-Continuo-Ensemble“ erntete schon für die erst von Hinten, dann vor der Seite und schließlich aus dem hochgefahrenen Graben erklingenden Fanfaren Beifall – und dann zauberten Chitarrona, Zink, Lirone oder Harfe zusammen mit den Streichern jene mal fein gesponnenen, mal dramatisch hochschießenden Klänge, wie sie wohl besser auch nicht im Mantua von 1606 erklungen sind. Die sechzehn Mitglieder der „Zürcher Singakademie“ steuerten als Hippies oder Totengeister zu dem herrlichen übrigen Ensemble eine bestechende Klangkulisse bei. Vokales Glück in dieser zweiten Festspielpremiere – mit brausendem Jubel überschüttet, in dem einige wenige Buhs für das Regie-Team untergingen.

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